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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Teresa de Jesus

Heilige seiner Zeit geschaut und vollbracht hat? Zum Helden seines Romans
konnte er freilich einen Mönch nicht wählen; das hätte die Inquisition nicht
erlaubt, und eine Mönchsgeschichte mit erotischen Novellen zu schmücken, das
hätte allenfalls dem italienischen, aber nimmermehr dem spanischen Volksgeiste
entsprochen. Damit sollen die Heiligengeschichten nicht auf das Niveau der
Rittergeschichten herabgesetzt werden. Während die weltliche Caballeroromantik
Spanien in Politik, Wirtschaftsleben und Wissenschaft zum Ritter von der
traurigen Gestalt heruntergebracht hat, darf es sich rühmen, durch die Visionen,
die Ignaz von Loyola in Mcinresa empfangen hatte, in den Gang der Welt¬
geschichte bestimmend eingegriffen zu haben. Es soll nur bemerklich gemacht
werden, daß es dasselbe Überwiegen der mit hoher Willensenergie gepaarten
Phantasietätigkeit gewesen ist, was beide Erscheinungen hervorgebracht hat,
und niemand kann die frappante Ähnlichkeit beider entgehn, wenn er liest,
wie Ranke in seiner Geschichte der Päpste die Fahnenwacht beschreibt, die
Ignaz auf dem Monserat abgehalten hat, ehe er nach Manresa ging. Ist
nun eine solche Persönlichkeit von vornherein nicht isoliert zu denken, so ist
ja eben schon gesagt worden, daß sie ein Produkt des damaligen spanischen
Volksgeistes war, der sich übrigens bis heute nicht wesentlich geändert zu
haben scheint. In der Tat sehen wir Loyola von vielen ähnlichen Gestalten
umgeben, die seine Wirkung verstärkten.

Die bedeutendste darunter ist Teresa de Cepeda y Ahumada, die sich als
Nonne Teresa de Jesus*) genannt hat. Sie wurde 1515 als das sechste von
den zwölf Kindern des Ritters Cepeda zu Avila in Altkastilien geboren. Von
ihren sehr frommen Eltern erbten diese Kinder eine schwärmerische Frömmig¬
keit, und sehr jung entwarf Teresa mit einem ihrer Brüder abenteuerliche
Pläne. Vierzehnjährig, verfiel sie auf das Lesen von Ritterromanen, wurde
kokett und benahm sich im Verkehr mit jungen Männern so, daß ihr Vater
es geraten fand, sie zur Erziehung in ein Kloster zu schicken. Nicht dieses
jedoch, sondern erst eine schwere Krankheit bekehrte sie und bestimmte sie,
nach zweijährigem Aufenthalt im Elternhause gegen den Willen des Vaters
heimlich in das Kloster der Karmelitinnen einzutreten; zugleich entfloh ihr
Bruder Antonio in ein Männerkloster. Der Vater gab nachträglich seine
Einwilligung und nahm sie, als ihr die Abtötungen des Noviziats eine neue
schwere Erkrankung zugezogen hatten, wieder in sein Haus auf. In einem
Kurort verschlimmerten ungeschickte Ärzte ihren Zustand dermaßen, daß sie,
nach Hause zurückgekehrt, vier Tage lang in einer starrkrampfühnlichen Ohr-



*) Leben der heiligen Teresa von Jesus, von ihr selbst geschrieben; aus dem Spanischen
übersetzt von Jda Gräfin Hahn-Hahn; Mainz, 1867. -- Die sämtlichen Schriften der heiligen
Theresia, deutsch in vier Bänden von Gallus Schwab und or. Magnus Jocham; Regens-
burg, 1869. -- Briefe der heiligen Theresia, deutsch in zwei Bänden von Ludwig Clarus;
Regensburg, 1852. -- Der Artikel "Die heilige Theresia" von Zöckler in der Real-Enzyklopädie
für protestantische Theologie und Kirche von Herzog und Pult.
Teresa de Jesus

Heilige seiner Zeit geschaut und vollbracht hat? Zum Helden seines Romans
konnte er freilich einen Mönch nicht wählen; das hätte die Inquisition nicht
erlaubt, und eine Mönchsgeschichte mit erotischen Novellen zu schmücken, das
hätte allenfalls dem italienischen, aber nimmermehr dem spanischen Volksgeiste
entsprochen. Damit sollen die Heiligengeschichten nicht auf das Niveau der
Rittergeschichten herabgesetzt werden. Während die weltliche Caballeroromantik
Spanien in Politik, Wirtschaftsleben und Wissenschaft zum Ritter von der
traurigen Gestalt heruntergebracht hat, darf es sich rühmen, durch die Visionen,
die Ignaz von Loyola in Mcinresa empfangen hatte, in den Gang der Welt¬
geschichte bestimmend eingegriffen zu haben. Es soll nur bemerklich gemacht
werden, daß es dasselbe Überwiegen der mit hoher Willensenergie gepaarten
Phantasietätigkeit gewesen ist, was beide Erscheinungen hervorgebracht hat,
und niemand kann die frappante Ähnlichkeit beider entgehn, wenn er liest,
wie Ranke in seiner Geschichte der Päpste die Fahnenwacht beschreibt, die
Ignaz auf dem Monserat abgehalten hat, ehe er nach Manresa ging. Ist
nun eine solche Persönlichkeit von vornherein nicht isoliert zu denken, so ist
ja eben schon gesagt worden, daß sie ein Produkt des damaligen spanischen
Volksgeistes war, der sich übrigens bis heute nicht wesentlich geändert zu
haben scheint. In der Tat sehen wir Loyola von vielen ähnlichen Gestalten
umgeben, die seine Wirkung verstärkten.

Die bedeutendste darunter ist Teresa de Cepeda y Ahumada, die sich als
Nonne Teresa de Jesus*) genannt hat. Sie wurde 1515 als das sechste von
den zwölf Kindern des Ritters Cepeda zu Avila in Altkastilien geboren. Von
ihren sehr frommen Eltern erbten diese Kinder eine schwärmerische Frömmig¬
keit, und sehr jung entwarf Teresa mit einem ihrer Brüder abenteuerliche
Pläne. Vierzehnjährig, verfiel sie auf das Lesen von Ritterromanen, wurde
kokett und benahm sich im Verkehr mit jungen Männern so, daß ihr Vater
es geraten fand, sie zur Erziehung in ein Kloster zu schicken. Nicht dieses
jedoch, sondern erst eine schwere Krankheit bekehrte sie und bestimmte sie,
nach zweijährigem Aufenthalt im Elternhause gegen den Willen des Vaters
heimlich in das Kloster der Karmelitinnen einzutreten; zugleich entfloh ihr
Bruder Antonio in ein Männerkloster. Der Vater gab nachträglich seine
Einwilligung und nahm sie, als ihr die Abtötungen des Noviziats eine neue
schwere Erkrankung zugezogen hatten, wieder in sein Haus auf. In einem
Kurort verschlimmerten ungeschickte Ärzte ihren Zustand dermaßen, daß sie,
nach Hause zurückgekehrt, vier Tage lang in einer starrkrampfühnlichen Ohr-



*) Leben der heiligen Teresa von Jesus, von ihr selbst geschrieben; aus dem Spanischen
übersetzt von Jda Gräfin Hahn-Hahn; Mainz, 1867. — Die sämtlichen Schriften der heiligen
Theresia, deutsch in vier Bänden von Gallus Schwab und or. Magnus Jocham; Regens-
burg, 1869. — Briefe der heiligen Theresia, deutsch in zwei Bänden von Ludwig Clarus;
Regensburg, 1852. — Der Artikel „Die heilige Theresia" von Zöckler in der Real-Enzyklopädie
für protestantische Theologie und Kirche von Herzog und Pult.
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[0378] Teresa de Jesus Heilige seiner Zeit geschaut und vollbracht hat? Zum Helden seines Romans konnte er freilich einen Mönch nicht wählen; das hätte die Inquisition nicht erlaubt, und eine Mönchsgeschichte mit erotischen Novellen zu schmücken, das hätte allenfalls dem italienischen, aber nimmermehr dem spanischen Volksgeiste entsprochen. Damit sollen die Heiligengeschichten nicht auf das Niveau der Rittergeschichten herabgesetzt werden. Während die weltliche Caballeroromantik Spanien in Politik, Wirtschaftsleben und Wissenschaft zum Ritter von der traurigen Gestalt heruntergebracht hat, darf es sich rühmen, durch die Visionen, die Ignaz von Loyola in Mcinresa empfangen hatte, in den Gang der Welt¬ geschichte bestimmend eingegriffen zu haben. Es soll nur bemerklich gemacht werden, daß es dasselbe Überwiegen der mit hoher Willensenergie gepaarten Phantasietätigkeit gewesen ist, was beide Erscheinungen hervorgebracht hat, und niemand kann die frappante Ähnlichkeit beider entgehn, wenn er liest, wie Ranke in seiner Geschichte der Päpste die Fahnenwacht beschreibt, die Ignaz auf dem Monserat abgehalten hat, ehe er nach Manresa ging. Ist nun eine solche Persönlichkeit von vornherein nicht isoliert zu denken, so ist ja eben schon gesagt worden, daß sie ein Produkt des damaligen spanischen Volksgeistes war, der sich übrigens bis heute nicht wesentlich geändert zu haben scheint. In der Tat sehen wir Loyola von vielen ähnlichen Gestalten umgeben, die seine Wirkung verstärkten. Die bedeutendste darunter ist Teresa de Cepeda y Ahumada, die sich als Nonne Teresa de Jesus*) genannt hat. Sie wurde 1515 als das sechste von den zwölf Kindern des Ritters Cepeda zu Avila in Altkastilien geboren. Von ihren sehr frommen Eltern erbten diese Kinder eine schwärmerische Frömmig¬ keit, und sehr jung entwarf Teresa mit einem ihrer Brüder abenteuerliche Pläne. Vierzehnjährig, verfiel sie auf das Lesen von Ritterromanen, wurde kokett und benahm sich im Verkehr mit jungen Männern so, daß ihr Vater es geraten fand, sie zur Erziehung in ein Kloster zu schicken. Nicht dieses jedoch, sondern erst eine schwere Krankheit bekehrte sie und bestimmte sie, nach zweijährigem Aufenthalt im Elternhause gegen den Willen des Vaters heimlich in das Kloster der Karmelitinnen einzutreten; zugleich entfloh ihr Bruder Antonio in ein Männerkloster. Der Vater gab nachträglich seine Einwilligung und nahm sie, als ihr die Abtötungen des Noviziats eine neue schwere Erkrankung zugezogen hatten, wieder in sein Haus auf. In einem Kurort verschlimmerten ungeschickte Ärzte ihren Zustand dermaßen, daß sie, nach Hause zurückgekehrt, vier Tage lang in einer starrkrampfühnlichen Ohr- *) Leben der heiligen Teresa von Jesus, von ihr selbst geschrieben; aus dem Spanischen übersetzt von Jda Gräfin Hahn-Hahn; Mainz, 1867. — Die sämtlichen Schriften der heiligen Theresia, deutsch in vier Bänden von Gallus Schwab und or. Magnus Jocham; Regens- burg, 1869. — Briefe der heiligen Theresia, deutsch in zwei Bänden von Ludwig Clarus; Regensburg, 1852. — Der Artikel „Die heilige Theresia" von Zöckler in der Real-Enzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche von Herzog und Pult.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/378>, abgerufen am 24.07.2024.