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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Arbeitskammern

ihn hinwegging, weil der Friedensschluß zwischen dem einzelnen Unternehmer
und seinem Arbeiterausschuß den Kampf zersplittert, ihm seine Geschlossenheit
nimmt, auf der allein der Erfolg beruhen kann. Daß sich die Arbeiterver¬
treter in einer Arbeitskammer dem Einfluß der Gewerkschaften entziehen sollten
oder könnten, ist unmöglich.

Der Gedanke, der Arbeitskammer einen ausschlaggebenden Einfluß in den
Hauptfragen des Arbeitsverhältnisses zu geben und den Einfluß der Gewerk¬
schaften so zu brechen, könnte vielleicht Wurzel schlagen, wenn die Gewerk¬
schaften nicht mit politischen Parteien untrennbar verbunden wären. Auf diesem
Zusammenhang aber beruht die Stellung der Sozialdemokratie und des Zentrums,
und der Umstand, daß die freisinnigen und christlich-sozialen Parteien politisch ohn¬
mächtig sind, erklärt die verhältnismüßige Machtlosigkeit der Hirsch-Dunckerschen
Gewerkvereine und der evangelischen Arbeitervereine, und umgekehrt sind diese
Parteien ohnmächtig, weil sie die Arbeitermassen nicht hinter sich haben. Einer
politischen und sozialpolitischen Neutralisierung der Gewerkschaftsarbeit in den
Arbeitskammern -- und das ist der Grundgedanke des Gesetzentwurfs auf die
kürzeste Formel gebracht -- können deshalb selbst die politischen Parteien, die
heute zum Teil, wie das Zentrum, für Arbeitskammern eintreten, aus Gründen
der Selbsterhaltung nicht zustimmen, und damit fallen die Hoffnungen auf die
Arbeitskammern.

Nun hat man gesagt, die Arbeitervertretungen seien schon aus dem Grunde
notwendig, um eine Körperschaft zu schaffen, die auch die Nichtorganisierten
Arbeiter umfaßt, und man hofft offenbar, daß diese den organisierten Arbeitern
ein Gegengewicht gemäßigter Anschauungen, denen sich die der Unternehmer
nähern könnten, bieten würden. Aber abgesehn davon, daß wir auch bei An¬
wendung der Verhältniswahl nicht an eine starke Gruppe Nichtorganisierter
Arbeiter in den Arbeitskammern glauben können, sondern von den Arbeits¬
kammern eher eine Stärkung der gewerkschaftlichen Organisationen erwarten,
wird auch der Einfluß einer solchen Gruppe nicht in dem gehofften Sinne
wirksam werden. Außerdem kann den Nichtorganisierten Arbeitern doch eine
stärkere Vertretung nur zufallen, wenn sie sich auch organisieren. Eine solche
Organisation aber kann man nach der Ansicht der Vertreter des paritätischen
Prinzips nur dann vaterlandsfreundlich und unternehmerfreundlich erhalten,
wenn diese Arbeiter sehn, daß auch die Unternehmer mit ihnen in paritätischen
Körperschaften verkehren wollen. Man vergißt dabei nur, daß jede Arbeiter¬
organisation gegen das Unternehmertum gerichtet sein muß. Der Gedanke, von
feiten der Unternehmer alles zu tun, was dazu dienen kann, die Arbeiter nach
der vaterlandstreuen Seite zu ziehn, ist sicherlich sehr beachtenswert, aber eine
Verwirklichung liegt doch wohl mehr in den allgemeinen politischen Ein¬
richtungen, und er allein genügt bei weitem nicht, die schweren Bedenken zu
zerstören, die gegen Arbeitskammern bestehn. Denn man wird den sozialen
Frieden in diesen Kammern niemals fördern können.


Arbeitskammern

ihn hinwegging, weil der Friedensschluß zwischen dem einzelnen Unternehmer
und seinem Arbeiterausschuß den Kampf zersplittert, ihm seine Geschlossenheit
nimmt, auf der allein der Erfolg beruhen kann. Daß sich die Arbeiterver¬
treter in einer Arbeitskammer dem Einfluß der Gewerkschaften entziehen sollten
oder könnten, ist unmöglich.

Der Gedanke, der Arbeitskammer einen ausschlaggebenden Einfluß in den
Hauptfragen des Arbeitsverhältnisses zu geben und den Einfluß der Gewerk¬
schaften so zu brechen, könnte vielleicht Wurzel schlagen, wenn die Gewerk¬
schaften nicht mit politischen Parteien untrennbar verbunden wären. Auf diesem
Zusammenhang aber beruht die Stellung der Sozialdemokratie und des Zentrums,
und der Umstand, daß die freisinnigen und christlich-sozialen Parteien politisch ohn¬
mächtig sind, erklärt die verhältnismüßige Machtlosigkeit der Hirsch-Dunckerschen
Gewerkvereine und der evangelischen Arbeitervereine, und umgekehrt sind diese
Parteien ohnmächtig, weil sie die Arbeitermassen nicht hinter sich haben. Einer
politischen und sozialpolitischen Neutralisierung der Gewerkschaftsarbeit in den
Arbeitskammern — und das ist der Grundgedanke des Gesetzentwurfs auf die
kürzeste Formel gebracht — können deshalb selbst die politischen Parteien, die
heute zum Teil, wie das Zentrum, für Arbeitskammern eintreten, aus Gründen
der Selbsterhaltung nicht zustimmen, und damit fallen die Hoffnungen auf die
Arbeitskammern.

Nun hat man gesagt, die Arbeitervertretungen seien schon aus dem Grunde
notwendig, um eine Körperschaft zu schaffen, die auch die Nichtorganisierten
Arbeiter umfaßt, und man hofft offenbar, daß diese den organisierten Arbeitern
ein Gegengewicht gemäßigter Anschauungen, denen sich die der Unternehmer
nähern könnten, bieten würden. Aber abgesehn davon, daß wir auch bei An¬
wendung der Verhältniswahl nicht an eine starke Gruppe Nichtorganisierter
Arbeiter in den Arbeitskammern glauben können, sondern von den Arbeits¬
kammern eher eine Stärkung der gewerkschaftlichen Organisationen erwarten,
wird auch der Einfluß einer solchen Gruppe nicht in dem gehofften Sinne
wirksam werden. Außerdem kann den Nichtorganisierten Arbeitern doch eine
stärkere Vertretung nur zufallen, wenn sie sich auch organisieren. Eine solche
Organisation aber kann man nach der Ansicht der Vertreter des paritätischen
Prinzips nur dann vaterlandsfreundlich und unternehmerfreundlich erhalten,
wenn diese Arbeiter sehn, daß auch die Unternehmer mit ihnen in paritätischen
Körperschaften verkehren wollen. Man vergißt dabei nur, daß jede Arbeiter¬
organisation gegen das Unternehmertum gerichtet sein muß. Der Gedanke, von
feiten der Unternehmer alles zu tun, was dazu dienen kann, die Arbeiter nach
der vaterlandstreuen Seite zu ziehn, ist sicherlich sehr beachtenswert, aber eine
Verwirklichung liegt doch wohl mehr in den allgemeinen politischen Ein¬
richtungen, und er allein genügt bei weitem nicht, die schweren Bedenken zu
zerstören, die gegen Arbeitskammern bestehn. Denn man wird den sozialen
Frieden in diesen Kammern niemals fördern können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/366>, abgerufen am 24.07.2024.