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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Arbeitskammern

herrscht unter den beratenden Mitgliedern Jnteresscnglcichheit, bei den Arbeits¬
kammern der schärfste Interessengegensatz. Jene Gruppe von Körperschaften
berät Dinge, die oft nur mittelbar die materiellen Interessen des einzelnen
Betriebs der in der Körperschaft vertretnen Unternehmer angehn, oder bei
denen es sich doch um materielle Opfer dem Staate gegenüber handelt;
Arbeitskammern beraten viel häufiger, vielleicht sogar der Regel nach, Fragen,
deren Erledigung den unmittelbaren materiellen Vorteil oder Nachteil der ge¬
samten einen Hälfte der Kammermitglieder angeht. Es gehört ein übergroßer
Optimismus dazu, anzunehmen, daß unter solchen Verhältnissen die Arbeits¬
kammern geeignet wären, den wirtschaftlichen Frieden zu Pflegen. Die gemein¬
schaftlichen gewerblichen und wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer und
Arbeiter mögen in manchen Fällen -- nicht in allen -- in der Tat gemein¬
schaftlich vom Standpunkte der Volkswirtschaft sein, vom privatwirtschaftlichen
Standpunkt des Unternehmers sowohl wie des Arbeiters sind sie gegnerische
Interessen, und das wird sich bei den Beratungen der Arbeitskammern deutlich
zeigen. Man muß den Dingen doch gerade ins Auge sehen, wenn man zu
klarer Einsicht und zu vernünftigen Entschlüssen kommen will.

Wenn man die Sachlage so auffaßt, wird man nicht immer von einem
Übelwollen der Unternehmer reden dürfen, wenn sie Arbeiterforderungen nicht
nachgeben, denn alle Sozialpolitik ist abhängig vom technischen Stande der
Industrie, von ihrer Organisation (Syndikate) und vom Verhältnis der In¬
dustrie zum Wettbewerb auf dem Weltmarkte. Man kann deshalb nicht immer
sagen, daß die Industrie früher gesündigt hat, weil sie heute unter ganz
andern technischen wirtschaftlichen Verhältnissen sozialpolitisch mehr tragen
kann, als sie früher unter andern Verhältnissen getragen hat. Solche und
andre Gedanken in einer Arbeitskammer zu entwickeln und vor allem zur
Anerkennung zu bringen, wird aber nach Ansicht der Industrie eine unmög¬
liche Aufgabe bleiben, weil da nach menschlichem Ermessen immer die gereizte
Stimmung des Kampfes herrschen wird. Es ist leicht ausgesprochen, die
Arbeitskammern müssen erzieherisch auf beide Teile wirken, aber schwer durch¬
geführt. Und was tuu, wenn das Experiment mißlingt? Wenn man zwei
Parteien in einer Arbeitskammer zusammengeschmiedet hat, die sich trotz bestem
Willen nicht versteh"? Dann hat man arbeitsunfähige Körperschaften, die
jährlich Niesensummcn kosten und ihren Zweck verfehlen. Nach den vor¬
liegenden tatsächlichen Verhältnissen würde man etwa 300 bis 500 Arbeits¬
kammern in Deutschland einrichten müssen, die einen jährlichen Kostenaufwand
von 15 bis 20 Millionen Mark erfordern und von den Unternehmern allein
getragen werden sollen.

Immerhin wird sich vielleicht bei allgemeinern Angelegenheiten, bei sozial¬
politischen Nebenfragen (man darf diesen Ausdruck nicht mißverstehen!) ein
Weg der Verständigung finden, man wird bei Fragen des Arbeiterschutzes,
der Verbesserung der hygienischen und der Wohlfahrtseinrichtungen manchen


Arbeitskammern

herrscht unter den beratenden Mitgliedern Jnteresscnglcichheit, bei den Arbeits¬
kammern der schärfste Interessengegensatz. Jene Gruppe von Körperschaften
berät Dinge, die oft nur mittelbar die materiellen Interessen des einzelnen
Betriebs der in der Körperschaft vertretnen Unternehmer angehn, oder bei
denen es sich doch um materielle Opfer dem Staate gegenüber handelt;
Arbeitskammern beraten viel häufiger, vielleicht sogar der Regel nach, Fragen,
deren Erledigung den unmittelbaren materiellen Vorteil oder Nachteil der ge¬
samten einen Hälfte der Kammermitglieder angeht. Es gehört ein übergroßer
Optimismus dazu, anzunehmen, daß unter solchen Verhältnissen die Arbeits¬
kammern geeignet wären, den wirtschaftlichen Frieden zu Pflegen. Die gemein¬
schaftlichen gewerblichen und wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer und
Arbeiter mögen in manchen Fällen — nicht in allen — in der Tat gemein¬
schaftlich vom Standpunkte der Volkswirtschaft sein, vom privatwirtschaftlichen
Standpunkt des Unternehmers sowohl wie des Arbeiters sind sie gegnerische
Interessen, und das wird sich bei den Beratungen der Arbeitskammern deutlich
zeigen. Man muß den Dingen doch gerade ins Auge sehen, wenn man zu
klarer Einsicht und zu vernünftigen Entschlüssen kommen will.

Wenn man die Sachlage so auffaßt, wird man nicht immer von einem
Übelwollen der Unternehmer reden dürfen, wenn sie Arbeiterforderungen nicht
nachgeben, denn alle Sozialpolitik ist abhängig vom technischen Stande der
Industrie, von ihrer Organisation (Syndikate) und vom Verhältnis der In¬
dustrie zum Wettbewerb auf dem Weltmarkte. Man kann deshalb nicht immer
sagen, daß die Industrie früher gesündigt hat, weil sie heute unter ganz
andern technischen wirtschaftlichen Verhältnissen sozialpolitisch mehr tragen
kann, als sie früher unter andern Verhältnissen getragen hat. Solche und
andre Gedanken in einer Arbeitskammer zu entwickeln und vor allem zur
Anerkennung zu bringen, wird aber nach Ansicht der Industrie eine unmög¬
liche Aufgabe bleiben, weil da nach menschlichem Ermessen immer die gereizte
Stimmung des Kampfes herrschen wird. Es ist leicht ausgesprochen, die
Arbeitskammern müssen erzieherisch auf beide Teile wirken, aber schwer durch¬
geführt. Und was tuu, wenn das Experiment mißlingt? Wenn man zwei
Parteien in einer Arbeitskammer zusammengeschmiedet hat, die sich trotz bestem
Willen nicht versteh»? Dann hat man arbeitsunfähige Körperschaften, die
jährlich Niesensummcn kosten und ihren Zweck verfehlen. Nach den vor¬
liegenden tatsächlichen Verhältnissen würde man etwa 300 bis 500 Arbeits¬
kammern in Deutschland einrichten müssen, die einen jährlichen Kostenaufwand
von 15 bis 20 Millionen Mark erfordern und von den Unternehmern allein
getragen werden sollen.

Immerhin wird sich vielleicht bei allgemeinern Angelegenheiten, bei sozial¬
politischen Nebenfragen (man darf diesen Ausdruck nicht mißverstehen!) ein
Weg der Verständigung finden, man wird bei Fragen des Arbeiterschutzes,
der Verbesserung der hygienischen und der Wohlfahrtseinrichtungen manchen


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[0364] Arbeitskammern herrscht unter den beratenden Mitgliedern Jnteresscnglcichheit, bei den Arbeits¬ kammern der schärfste Interessengegensatz. Jene Gruppe von Körperschaften berät Dinge, die oft nur mittelbar die materiellen Interessen des einzelnen Betriebs der in der Körperschaft vertretnen Unternehmer angehn, oder bei denen es sich doch um materielle Opfer dem Staate gegenüber handelt; Arbeitskammern beraten viel häufiger, vielleicht sogar der Regel nach, Fragen, deren Erledigung den unmittelbaren materiellen Vorteil oder Nachteil der ge¬ samten einen Hälfte der Kammermitglieder angeht. Es gehört ein übergroßer Optimismus dazu, anzunehmen, daß unter solchen Verhältnissen die Arbeits¬ kammern geeignet wären, den wirtschaftlichen Frieden zu Pflegen. Die gemein¬ schaftlichen gewerblichen und wirtschaftlichen Interessen der Unternehmer und Arbeiter mögen in manchen Fällen — nicht in allen — in der Tat gemein¬ schaftlich vom Standpunkte der Volkswirtschaft sein, vom privatwirtschaftlichen Standpunkt des Unternehmers sowohl wie des Arbeiters sind sie gegnerische Interessen, und das wird sich bei den Beratungen der Arbeitskammern deutlich zeigen. Man muß den Dingen doch gerade ins Auge sehen, wenn man zu klarer Einsicht und zu vernünftigen Entschlüssen kommen will. Wenn man die Sachlage so auffaßt, wird man nicht immer von einem Übelwollen der Unternehmer reden dürfen, wenn sie Arbeiterforderungen nicht nachgeben, denn alle Sozialpolitik ist abhängig vom technischen Stande der Industrie, von ihrer Organisation (Syndikate) und vom Verhältnis der In¬ dustrie zum Wettbewerb auf dem Weltmarkte. Man kann deshalb nicht immer sagen, daß die Industrie früher gesündigt hat, weil sie heute unter ganz andern technischen wirtschaftlichen Verhältnissen sozialpolitisch mehr tragen kann, als sie früher unter andern Verhältnissen getragen hat. Solche und andre Gedanken in einer Arbeitskammer zu entwickeln und vor allem zur Anerkennung zu bringen, wird aber nach Ansicht der Industrie eine unmög¬ liche Aufgabe bleiben, weil da nach menschlichem Ermessen immer die gereizte Stimmung des Kampfes herrschen wird. Es ist leicht ausgesprochen, die Arbeitskammern müssen erzieherisch auf beide Teile wirken, aber schwer durch¬ geführt. Und was tuu, wenn das Experiment mißlingt? Wenn man zwei Parteien in einer Arbeitskammer zusammengeschmiedet hat, die sich trotz bestem Willen nicht versteh»? Dann hat man arbeitsunfähige Körperschaften, die jährlich Niesensummcn kosten und ihren Zweck verfehlen. Nach den vor¬ liegenden tatsächlichen Verhältnissen würde man etwa 300 bis 500 Arbeits¬ kammern in Deutschland einrichten müssen, die einen jährlichen Kostenaufwand von 15 bis 20 Millionen Mark erfordern und von den Unternehmern allein getragen werden sollen. Immerhin wird sich vielleicht bei allgemeinern Angelegenheiten, bei sozial¬ politischen Nebenfragen (man darf diesen Ausdruck nicht mißverstehen!) ein Weg der Verständigung finden, man wird bei Fragen des Arbeiterschutzes, der Verbesserung der hygienischen und der Wohlfahrtseinrichtungen manchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/364>, abgerufen am 24.07.2024.