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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Las Tagebuch des Grafen Blumenthal von ^870/71.

entsprechend der kraftvollen Offensive, die den ganzen Feldzug kennzeichnet,
auch gegen Preis offensiv, das heißt mit einer wirklichen Belagerung vor¬
gegangen werde. Wenn er zunächst nur ein Bombardement aus acht Geschützen
vorschlug, weil für mehr die Munition nicht vorhanden war, so war er sich
zweifellos klar darüber, daß das einen entscheidenden Erfolg nicht haben werde.
Er wollte offenbar nur den möglichst baldigen Beginn des Artillerieangriffs,
weil er sicher wußte, daß wenn der König den Angriff erst befohlen hätte,
auch alsbald die Mittel zur erfolgreichen Durchführung bereitgestellt würden.
Und gerade dieser selbe Gedanke war es auch, der die Schießer, also die
Artillerieoffiziere, aber auch den König und Moltke, denn auch sie zählen seit
dem 17. Dezember zu den Schießern, von einem vorzeitigen Angriff abhielt.
Sie wollten den Angriff erst dann, wenn auch die Sicherheit gegeben war, ihn
mit Erfolg durchzuführen.

Es muß dabei entschieden dem Versuch, Moltke und Blumenthal als einerlei
Meinung hinzustellen, entgegengetreten werden. Der König und Moltke waren,
solange die Einschließungsarmee durch die sich im Norden und im Süden Frank¬
reichs bildenden Entsatzarmeen bedroht war. in Übereinstimmung mit Blumenthal
der Ansicht, daß da eine ernstliche Belagerung nicht möglich sei; und das mit
vollem Recht. Denn es ist klar, daß wenn sich Metz auch nur vierzehn Tage
länger gehalten hätte, die Einschließung von Paris hätte aufgegeben werden
müssen, und also die dann etwa schon aufgestellten Belagerungsgeschütze ver¬
loren gegangen wären. Als aber die erste Armee im Norden, die zweite Armee
im Süden in ihre die Einschließung deckenden Stellungen eingerückt waren, hat
der König persönlich (vom 28. November ab) die Beschießung sehr entschieden
betrieben, und ebenso Moltke spätestens vom 17. Dezember ab, wo er sie als
"notwendig" bezeichnete. Da nun tatsächlich alle Anordnungen über die Be¬
schießung vom Könige oder von Moltke verfügt sind, so wird der Vorwurf,
daß sie das Verdienst des Königs oder seines genialen Generalstabschefs
herabsetzen, mit Recht gegen alle die erhoben, die jetzt an der Beschießung zu
nörgeln versuchen.

Blumenthal aber ist immer ein Nichtschicßer geblieben; er hat zwar an¬
fänglich am 7. und 10. Oktober die Übertragung des Oberbefehls über den
artilleristischen Südangriff mit voller Zuversicht auf Erfolg angenommen; bei
näherer Prüfung der Verhältnisse aber kam er zu der Überzeugung, daß mit
den vorhandnen Mitteln ein Erfolg nicht möglich sei, und diese Überzeugung
hat er mit Entschiedenheit vertreten. Das war sein Recht und sogar seine
Pflicht, und niemand wird ihn deshalb tadeln dürfen. Gleichwohl war es.
wie der Verlauf ergab, ein Irrtum, der vorwiegend darin seinen Grund hat,
daß er über die Überlegenheit der preußischen Belagerungsgeschütze über die
französischen nicht genügend unterrichtet war. Seine Äußerung vom 23. De¬
zember kann also nur den Sinn haben, daß er damals noch hoffte, den Be¬
ginn der Beschießung und damit diese selbst hintertreiben zu können. In


Las Tagebuch des Grafen Blumenthal von ^870/71.

entsprechend der kraftvollen Offensive, die den ganzen Feldzug kennzeichnet,
auch gegen Preis offensiv, das heißt mit einer wirklichen Belagerung vor¬
gegangen werde. Wenn er zunächst nur ein Bombardement aus acht Geschützen
vorschlug, weil für mehr die Munition nicht vorhanden war, so war er sich
zweifellos klar darüber, daß das einen entscheidenden Erfolg nicht haben werde.
Er wollte offenbar nur den möglichst baldigen Beginn des Artillerieangriffs,
weil er sicher wußte, daß wenn der König den Angriff erst befohlen hätte,
auch alsbald die Mittel zur erfolgreichen Durchführung bereitgestellt würden.
Und gerade dieser selbe Gedanke war es auch, der die Schießer, also die
Artillerieoffiziere, aber auch den König und Moltke, denn auch sie zählen seit
dem 17. Dezember zu den Schießern, von einem vorzeitigen Angriff abhielt.
Sie wollten den Angriff erst dann, wenn auch die Sicherheit gegeben war, ihn
mit Erfolg durchzuführen.

Es muß dabei entschieden dem Versuch, Moltke und Blumenthal als einerlei
Meinung hinzustellen, entgegengetreten werden. Der König und Moltke waren,
solange die Einschließungsarmee durch die sich im Norden und im Süden Frank¬
reichs bildenden Entsatzarmeen bedroht war. in Übereinstimmung mit Blumenthal
der Ansicht, daß da eine ernstliche Belagerung nicht möglich sei; und das mit
vollem Recht. Denn es ist klar, daß wenn sich Metz auch nur vierzehn Tage
länger gehalten hätte, die Einschließung von Paris hätte aufgegeben werden
müssen, und also die dann etwa schon aufgestellten Belagerungsgeschütze ver¬
loren gegangen wären. Als aber die erste Armee im Norden, die zweite Armee
im Süden in ihre die Einschließung deckenden Stellungen eingerückt waren, hat
der König persönlich (vom 28. November ab) die Beschießung sehr entschieden
betrieben, und ebenso Moltke spätestens vom 17. Dezember ab, wo er sie als
„notwendig" bezeichnete. Da nun tatsächlich alle Anordnungen über die Be¬
schießung vom Könige oder von Moltke verfügt sind, so wird der Vorwurf,
daß sie das Verdienst des Königs oder seines genialen Generalstabschefs
herabsetzen, mit Recht gegen alle die erhoben, die jetzt an der Beschießung zu
nörgeln versuchen.

Blumenthal aber ist immer ein Nichtschicßer geblieben; er hat zwar an¬
fänglich am 7. und 10. Oktober die Übertragung des Oberbefehls über den
artilleristischen Südangriff mit voller Zuversicht auf Erfolg angenommen; bei
näherer Prüfung der Verhältnisse aber kam er zu der Überzeugung, daß mit
den vorhandnen Mitteln ein Erfolg nicht möglich sei, und diese Überzeugung
hat er mit Entschiedenheit vertreten. Das war sein Recht und sogar seine
Pflicht, und niemand wird ihn deshalb tadeln dürfen. Gleichwohl war es.
wie der Verlauf ergab, ein Irrtum, der vorwiegend darin seinen Grund hat,
daß er über die Überlegenheit der preußischen Belagerungsgeschütze über die
französischen nicht genügend unterrichtet war. Seine Äußerung vom 23. De¬
zember kann also nur den Sinn haben, daß er damals noch hoffte, den Be¬
ginn der Beschießung und damit diese selbst hintertreiben zu können. In


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/321>, abgerufen am 25.07.2024.