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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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pas Tagebuch des Grafen Blumenthal von ^370/7^

bei Sedan u. a. Was aber nicht bekannt war, das war die zahlenmäßige Angabe
der dadurch bei den einzelnen Geschützen erreichbaren Schußweite. Und deshalb
gai> der Oberst von Rieff dem ihm schon im Frieden zu ähnlichen Aufgaben
unterstellten Feuerwerksleutnant Prehn (nicht Zeugleutnant; die falsche Titulatur
und die Bemerkung "der davon mehr verstände wie Rieff", sind bezeichnend)
den Befehl, rechnungsmäßig die größtmögliche Schußweite zu ermitteln. Das
ist geschehn, und davon ist denn auch dem Prinzen Hohenlohe Meldung gemacht
worden. In der Tat haben dann auch später einige Geschütze mit dieser künstlich
vermehrten Erhöhung gefeuert, aber es sind dadurch auch alsbald, wie voraus-
gesehn worden war, eine Anzahl Lafetten unbrauchbar geworden. Auf die
operativen Anordnungen des Artillerieangriffs ist die Maßregel nachweisbar
ohne Einfluß geblieben. Die von vornherein in geringem Umfang angeordnete
Beschießung ist vielmehr eine allgemein übliche Maßregel. Jeder Laie, der die
Berichte über die zahlreichen Belagerungen von 1870/71 durchblättert, wird da
ersehen, daß bei der artilleristischen Niederkämpfung der feindlichen Festungs¬
werke in der Regel als Begleitmaßregel eine müßige nächtliche Beschießung der
Festung stattfindet zu dem Zweck, die Besatzung und Bevölkerung zu beunruhigen
und die meist in der Nacht stattfindenden Transporte von Munition und Lebens¬
mitteln nach den angegriffnen Werken zu stören. In diesem Sinne ist auch
der Vorschlag des Oberst von Rieff, gleich von Anfang an einige Granaten in
die Festung zu werfen, erfolgt und von dem Prinzen Hohenlohe alsbald ge¬
billigt worden. Der General von Blumenthal aber untersagte die Ausführung;
auf Antrag des Prinzen Hohenlohe hat dann der König ausdrücklich befohlen,
daß der Vorschlag ausgeführt werde. Dieser Sachlage entspricht auch der Be¬
schießungsbefehl vom 29. Dezember, der eine spätere kräftige Beschießung
vorsieht, also eine frühere schwache Beschießung zur Beunruhigung der Be¬
satzung schon im Auge hat.

Damit fällt doch jeder Versuch, die Darstellung des Generals von Müller
zuwiderlegen, in sich zusammen; besonders aber muß die Annahme, der König
habe sich in seinen Entschließungen schwankend gezeigt, entschieden zurück¬
gewiesen werden.

Will man nun der Frage näher treten, wie denn die in Frage stehende
Äußerung Blumenthals zu deuten sei, so muß man sich vor allem gegenwärtig
halten, daß die so schroff ablehnenden Urteile des Tagebuchs, also Worte wie
"kindisch", "fähnrichsmäßig" usw. im leidenschaftlichen Streit der Meinungen
niedergeschrieben sind, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und besser,
wenigstens in dieser Form, noch nicht sobald hätten veröffentlicht werden sollen.
Es wird doch niemand im Ernst glauben, daß der Kriegsminister von Roon,
auf dessen Vorschläge sich diese Worte zunächst beziehen, nicht ganz genau
gewußt hätte, was er wollte. Gerade als Kriegsminister war er über die Fragen
des Festungskrieges besser unterrichtet als irgendein Jnfcmteriegeneral in
Versailles. Was er erstrebte, liegt deutlich zutage; er wollte offenbar, daß


pas Tagebuch des Grafen Blumenthal von ^370/7^

bei Sedan u. a. Was aber nicht bekannt war, das war die zahlenmäßige Angabe
der dadurch bei den einzelnen Geschützen erreichbaren Schußweite. Und deshalb
gai> der Oberst von Rieff dem ihm schon im Frieden zu ähnlichen Aufgaben
unterstellten Feuerwerksleutnant Prehn (nicht Zeugleutnant; die falsche Titulatur
und die Bemerkung „der davon mehr verstände wie Rieff", sind bezeichnend)
den Befehl, rechnungsmäßig die größtmögliche Schußweite zu ermitteln. Das
ist geschehn, und davon ist denn auch dem Prinzen Hohenlohe Meldung gemacht
worden. In der Tat haben dann auch später einige Geschütze mit dieser künstlich
vermehrten Erhöhung gefeuert, aber es sind dadurch auch alsbald, wie voraus-
gesehn worden war, eine Anzahl Lafetten unbrauchbar geworden. Auf die
operativen Anordnungen des Artillerieangriffs ist die Maßregel nachweisbar
ohne Einfluß geblieben. Die von vornherein in geringem Umfang angeordnete
Beschießung ist vielmehr eine allgemein übliche Maßregel. Jeder Laie, der die
Berichte über die zahlreichen Belagerungen von 1870/71 durchblättert, wird da
ersehen, daß bei der artilleristischen Niederkämpfung der feindlichen Festungs¬
werke in der Regel als Begleitmaßregel eine müßige nächtliche Beschießung der
Festung stattfindet zu dem Zweck, die Besatzung und Bevölkerung zu beunruhigen
und die meist in der Nacht stattfindenden Transporte von Munition und Lebens¬
mitteln nach den angegriffnen Werken zu stören. In diesem Sinne ist auch
der Vorschlag des Oberst von Rieff, gleich von Anfang an einige Granaten in
die Festung zu werfen, erfolgt und von dem Prinzen Hohenlohe alsbald ge¬
billigt worden. Der General von Blumenthal aber untersagte die Ausführung;
auf Antrag des Prinzen Hohenlohe hat dann der König ausdrücklich befohlen,
daß der Vorschlag ausgeführt werde. Dieser Sachlage entspricht auch der Be¬
schießungsbefehl vom 29. Dezember, der eine spätere kräftige Beschießung
vorsieht, also eine frühere schwache Beschießung zur Beunruhigung der Be¬
satzung schon im Auge hat.

Damit fällt doch jeder Versuch, die Darstellung des Generals von Müller
zuwiderlegen, in sich zusammen; besonders aber muß die Annahme, der König
habe sich in seinen Entschließungen schwankend gezeigt, entschieden zurück¬
gewiesen werden.

Will man nun der Frage näher treten, wie denn die in Frage stehende
Äußerung Blumenthals zu deuten sei, so muß man sich vor allem gegenwärtig
halten, daß die so schroff ablehnenden Urteile des Tagebuchs, also Worte wie
„kindisch", „fähnrichsmäßig" usw. im leidenschaftlichen Streit der Meinungen
niedergeschrieben sind, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und besser,
wenigstens in dieser Form, noch nicht sobald hätten veröffentlicht werden sollen.
Es wird doch niemand im Ernst glauben, daß der Kriegsminister von Roon,
auf dessen Vorschläge sich diese Worte zunächst beziehen, nicht ganz genau
gewußt hätte, was er wollte. Gerade als Kriegsminister war er über die Fragen
des Festungskrieges besser unterrichtet als irgendein Jnfcmteriegeneral in
Versailles. Was er erstrebte, liegt deutlich zutage; er wollte offenbar, daß


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[0320] pas Tagebuch des Grafen Blumenthal von ^370/7^ bei Sedan u. a. Was aber nicht bekannt war, das war die zahlenmäßige Angabe der dadurch bei den einzelnen Geschützen erreichbaren Schußweite. Und deshalb gai> der Oberst von Rieff dem ihm schon im Frieden zu ähnlichen Aufgaben unterstellten Feuerwerksleutnant Prehn (nicht Zeugleutnant; die falsche Titulatur und die Bemerkung „der davon mehr verstände wie Rieff", sind bezeichnend) den Befehl, rechnungsmäßig die größtmögliche Schußweite zu ermitteln. Das ist geschehn, und davon ist denn auch dem Prinzen Hohenlohe Meldung gemacht worden. In der Tat haben dann auch später einige Geschütze mit dieser künstlich vermehrten Erhöhung gefeuert, aber es sind dadurch auch alsbald, wie voraus- gesehn worden war, eine Anzahl Lafetten unbrauchbar geworden. Auf die operativen Anordnungen des Artillerieangriffs ist die Maßregel nachweisbar ohne Einfluß geblieben. Die von vornherein in geringem Umfang angeordnete Beschießung ist vielmehr eine allgemein übliche Maßregel. Jeder Laie, der die Berichte über die zahlreichen Belagerungen von 1870/71 durchblättert, wird da ersehen, daß bei der artilleristischen Niederkämpfung der feindlichen Festungs¬ werke in der Regel als Begleitmaßregel eine müßige nächtliche Beschießung der Festung stattfindet zu dem Zweck, die Besatzung und Bevölkerung zu beunruhigen und die meist in der Nacht stattfindenden Transporte von Munition und Lebens¬ mitteln nach den angegriffnen Werken zu stören. In diesem Sinne ist auch der Vorschlag des Oberst von Rieff, gleich von Anfang an einige Granaten in die Festung zu werfen, erfolgt und von dem Prinzen Hohenlohe alsbald ge¬ billigt worden. Der General von Blumenthal aber untersagte die Ausführung; auf Antrag des Prinzen Hohenlohe hat dann der König ausdrücklich befohlen, daß der Vorschlag ausgeführt werde. Dieser Sachlage entspricht auch der Be¬ schießungsbefehl vom 29. Dezember, der eine spätere kräftige Beschießung vorsieht, also eine frühere schwache Beschießung zur Beunruhigung der Be¬ satzung schon im Auge hat. Damit fällt doch jeder Versuch, die Darstellung des Generals von Müller zuwiderlegen, in sich zusammen; besonders aber muß die Annahme, der König habe sich in seinen Entschließungen schwankend gezeigt, entschieden zurück¬ gewiesen werden. Will man nun der Frage näher treten, wie denn die in Frage stehende Äußerung Blumenthals zu deuten sei, so muß man sich vor allem gegenwärtig halten, daß die so schroff ablehnenden Urteile des Tagebuchs, also Worte wie „kindisch", „fähnrichsmäßig" usw. im leidenschaftlichen Streit der Meinungen niedergeschrieben sind, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und besser, wenigstens in dieser Form, noch nicht sobald hätten veröffentlicht werden sollen. Es wird doch niemand im Ernst glauben, daß der Kriegsminister von Roon, auf dessen Vorschläge sich diese Worte zunächst beziehen, nicht ganz genau gewußt hätte, was er wollte. Gerade als Kriegsminister war er über die Fragen des Festungskrieges besser unterrichtet als irgendein Jnfcmteriegeneral in Versailles. Was er erstrebte, liegt deutlich zutage; er wollte offenbar, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/320>, abgerufen am 24.07.2024.