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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Abschluß der großen englischen Ljeeresreformen

Wird bis in die fernste Zukunft so bleiben, und daher müssen wir zum Schutze
an dieser Stelle unsre militärischen Vorbereitungen treffen. Denn in einem
großen Kampfe gegen die gesamten Streitlüste einer bedeutenden Macht wird
der Ausgang davon abhängen, wie wir vor allem unsre militärischen Maßnahmen
im Mittelmeer, in Ägypten und im Sudan eingerichtet haben. In Gibraltar,
Malta und Ägypten haben wir ja schon starke Stützpunkte für unsre Flotte.
Nun wird es nur noch darauf ankommen, daß wir die Garnisonen an der
Weltwasserstraße besser organisieren und ausbilden, damit sie sich beim Angriff
gut verteidigen können und sich gegebnenfalls auch als Expeditionskorps ver¬
wenden lassen. Aber dazu gehört ein besonders befähigter General an die Spitze
des Ganzen."

Inzwischen hat General French das Kommando über die englische Armee
im Mutterlande übernommen. Diese Gelegenheit hat der Höchstkommandierende
benutzt, gleichsam als Armeebefehl seine taktischen Anschauungen, die grund¬
legend für die Ausbildung der ihm unterstellten Truppen sein sollen, bekannt
zu geben. Er hat dazu eine lehrreiche Kritik herangezogen, die er an das
Aldershotkorps, das er bis jetzt befehligte, nach den letzten Herbstübungen
gehalten hat. und die auch für uns höchst interessant ist, weil sie uns einen
Einblick gibt in die Grundsätze, nach denen das englische Heer gegenwärtig
ausgebildet und geleitet wird.

Sehr günstig beurteilt der General zunächst die Leistungen seiner In¬
fanterie; sie sei einzig in ihrer Art (sui gönsris) und habe nirgendwo ein
Seitenstück (oovw-part). Besonders hervorgehoben zu werden verdiene die ge¬
schickte Angriffsweise der Truppen der Division Grierson gegen die gegnerische
Stellung bei Chillon. Völlig der feindlichen Sicht entzogen, wäre die Entwicklung
der vordem Schützenlinie vor sich gegangen, und dahinter hätten die Sturm¬
kolonnen in aller Ruhe und in guter Deckung abgewartet, bis die eigne Artillerie
hinreichend den Angriff vorbereitet hatte, um dann den entscheidenden Stoß
durchzuführen. Das Zusammenwirken der drei durch Waldungen getrennten
Brigaden hierbei sei mustergiltig zu nennen. Als sehr nachteilig für die
Ausbildung der Infanterie werden die geringen Stunde der Einheiten bezeichnet,
und es wird gefordert, daß durch geeignete Mittel diese ungünstigen Verhält¬
nisse geändert werden. Bei den heutigen Einrichtungen komme es alljährlich
vor, daß Tausende von Leuten niemals an Manövern teilnahmen. Die Urlaubs¬
zeit müsse daher auf die Monate Oktober und November verlegt und die
Einberufung der Rekruten bis zum November verschoben werden, damit man
auf diese Weise genügend ausgebildete Mannschaft im September unter der
Fahne habe.

Nicht so günstig wie über die Infanterie lauten die Urteile des ehemaligen
Korpskommandeurs über die Kavallerie. Es wird ausgesprochen, daß die
Regimenter an sich gut seien, das Pferdematerial und die Reitausbildung der
Leute mit jedem Jahre besser würden, aber die Führung der Reiterei im Felde


Der Abschluß der großen englischen Ljeeresreformen

Wird bis in die fernste Zukunft so bleiben, und daher müssen wir zum Schutze
an dieser Stelle unsre militärischen Vorbereitungen treffen. Denn in einem
großen Kampfe gegen die gesamten Streitlüste einer bedeutenden Macht wird
der Ausgang davon abhängen, wie wir vor allem unsre militärischen Maßnahmen
im Mittelmeer, in Ägypten und im Sudan eingerichtet haben. In Gibraltar,
Malta und Ägypten haben wir ja schon starke Stützpunkte für unsre Flotte.
Nun wird es nur noch darauf ankommen, daß wir die Garnisonen an der
Weltwasserstraße besser organisieren und ausbilden, damit sie sich beim Angriff
gut verteidigen können und sich gegebnenfalls auch als Expeditionskorps ver¬
wenden lassen. Aber dazu gehört ein besonders befähigter General an die Spitze
des Ganzen."

Inzwischen hat General French das Kommando über die englische Armee
im Mutterlande übernommen. Diese Gelegenheit hat der Höchstkommandierende
benutzt, gleichsam als Armeebefehl seine taktischen Anschauungen, die grund¬
legend für die Ausbildung der ihm unterstellten Truppen sein sollen, bekannt
zu geben. Er hat dazu eine lehrreiche Kritik herangezogen, die er an das
Aldershotkorps, das er bis jetzt befehligte, nach den letzten Herbstübungen
gehalten hat. und die auch für uns höchst interessant ist, weil sie uns einen
Einblick gibt in die Grundsätze, nach denen das englische Heer gegenwärtig
ausgebildet und geleitet wird.

Sehr günstig beurteilt der General zunächst die Leistungen seiner In¬
fanterie; sie sei einzig in ihrer Art (sui gönsris) und habe nirgendwo ein
Seitenstück (oovw-part). Besonders hervorgehoben zu werden verdiene die ge¬
schickte Angriffsweise der Truppen der Division Grierson gegen die gegnerische
Stellung bei Chillon. Völlig der feindlichen Sicht entzogen, wäre die Entwicklung
der vordem Schützenlinie vor sich gegangen, und dahinter hätten die Sturm¬
kolonnen in aller Ruhe und in guter Deckung abgewartet, bis die eigne Artillerie
hinreichend den Angriff vorbereitet hatte, um dann den entscheidenden Stoß
durchzuführen. Das Zusammenwirken der drei durch Waldungen getrennten
Brigaden hierbei sei mustergiltig zu nennen. Als sehr nachteilig für die
Ausbildung der Infanterie werden die geringen Stunde der Einheiten bezeichnet,
und es wird gefordert, daß durch geeignete Mittel diese ungünstigen Verhält¬
nisse geändert werden. Bei den heutigen Einrichtungen komme es alljährlich
vor, daß Tausende von Leuten niemals an Manövern teilnahmen. Die Urlaubs¬
zeit müsse daher auf die Monate Oktober und November verlegt und die
Einberufung der Rekruten bis zum November verschoben werden, damit man
auf diese Weise genügend ausgebildete Mannschaft im September unter der
Fahne habe.

Nicht so günstig wie über die Infanterie lauten die Urteile des ehemaligen
Korpskommandeurs über die Kavallerie. Es wird ausgesprochen, daß die
Regimenter an sich gut seien, das Pferdematerial und die Reitausbildung der
Leute mit jedem Jahre besser würden, aber die Führung der Reiterei im Felde


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[0315] Der Abschluß der großen englischen Ljeeresreformen Wird bis in die fernste Zukunft so bleiben, und daher müssen wir zum Schutze an dieser Stelle unsre militärischen Vorbereitungen treffen. Denn in einem großen Kampfe gegen die gesamten Streitlüste einer bedeutenden Macht wird der Ausgang davon abhängen, wie wir vor allem unsre militärischen Maßnahmen im Mittelmeer, in Ägypten und im Sudan eingerichtet haben. In Gibraltar, Malta und Ägypten haben wir ja schon starke Stützpunkte für unsre Flotte. Nun wird es nur noch darauf ankommen, daß wir die Garnisonen an der Weltwasserstraße besser organisieren und ausbilden, damit sie sich beim Angriff gut verteidigen können und sich gegebnenfalls auch als Expeditionskorps ver¬ wenden lassen. Aber dazu gehört ein besonders befähigter General an die Spitze des Ganzen." Inzwischen hat General French das Kommando über die englische Armee im Mutterlande übernommen. Diese Gelegenheit hat der Höchstkommandierende benutzt, gleichsam als Armeebefehl seine taktischen Anschauungen, die grund¬ legend für die Ausbildung der ihm unterstellten Truppen sein sollen, bekannt zu geben. Er hat dazu eine lehrreiche Kritik herangezogen, die er an das Aldershotkorps, das er bis jetzt befehligte, nach den letzten Herbstübungen gehalten hat. und die auch für uns höchst interessant ist, weil sie uns einen Einblick gibt in die Grundsätze, nach denen das englische Heer gegenwärtig ausgebildet und geleitet wird. Sehr günstig beurteilt der General zunächst die Leistungen seiner In¬ fanterie; sie sei einzig in ihrer Art (sui gönsris) und habe nirgendwo ein Seitenstück (oovw-part). Besonders hervorgehoben zu werden verdiene die ge¬ schickte Angriffsweise der Truppen der Division Grierson gegen die gegnerische Stellung bei Chillon. Völlig der feindlichen Sicht entzogen, wäre die Entwicklung der vordem Schützenlinie vor sich gegangen, und dahinter hätten die Sturm¬ kolonnen in aller Ruhe und in guter Deckung abgewartet, bis die eigne Artillerie hinreichend den Angriff vorbereitet hatte, um dann den entscheidenden Stoß durchzuführen. Das Zusammenwirken der drei durch Waldungen getrennten Brigaden hierbei sei mustergiltig zu nennen. Als sehr nachteilig für die Ausbildung der Infanterie werden die geringen Stunde der Einheiten bezeichnet, und es wird gefordert, daß durch geeignete Mittel diese ungünstigen Verhält¬ nisse geändert werden. Bei den heutigen Einrichtungen komme es alljährlich vor, daß Tausende von Leuten niemals an Manövern teilnahmen. Die Urlaubs¬ zeit müsse daher auf die Monate Oktober und November verlegt und die Einberufung der Rekruten bis zum November verschoben werden, damit man auf diese Weise genügend ausgebildete Mannschaft im September unter der Fahne habe. Nicht so günstig wie über die Infanterie lauten die Urteile des ehemaligen Korpskommandeurs über die Kavallerie. Es wird ausgesprochen, daß die Regimenter an sich gut seien, das Pferdematerial und die Reitausbildung der Leute mit jedem Jahre besser würden, aber die Führung der Reiterei im Felde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/315>, abgerufen am 24.07.2024.