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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen

dann wird auch das englische Volk im Interesse der Selbsterhaltung den heutigen
Widerstand gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht aufgeben müssen.

Es ist vielleicht nicht unabsichtlich, daß sich fast zugleich mit dieser voll¬
ständigen Reorganisation des gesamten englischen Heerwesens auch ein Wechsel
im Oberkommando der Armee vollzogen hat, der um so größere Beachtung
finden muß. als er im Zusammenhang steht mit großen politischen Fragen.
Der Feldmarschall und Generalinspekteur der britischen Truppen im Mutter¬
lande, der Herzog von Connaught, ist nämlich aus dieser militärischen Stellung
ausgeschieden, um den Oberbefehl über das neu geschaffne Mittelmeerkommando
mit dem Sitz in La Valetta auf Malta zu übernehmen. Zum Nachfolger des
Herzogs in England ist General John French ausersehn, der bisher das
Armeekorps in Aldershot kommandierte und sich namentlich im Burenkrieg als
kühner Neiterführer hervorgetan hat. Auch wurde der General viel genannt,
als von dem Abschluß einer angeblichen Militärkonvention zwischen Frankreich
und England die Rede war, und es hieß, der englische Feldherr sei der
intellektuelle Urheber eines solchen Abkommens gewesen. In England ist man
nun recht geteilter Meinung über die neue Stellung des bisherigen Armee¬
generalinspekteurs und ist vielfach geneigt, sie im Vergleich mit den bisherigen
Funktionen als eine Zurücksetzung anzusehn. Das würde aber um so auffallender
sein, als sich der Herzog von Connaught nicht nur bei allen seinen Unter¬
gebnen einer außerordentlichen Beliebtheit erfreute, sondern auch in sämtlichen
militärischen Kreisen für einen sehr tüchtigen, energischen und kenntnisreichen
Offizier gehalten wird. Es trifft deshalb bei näherm Eingehn auf die Pläne
der englischen Regierung im Mittelmeer wohl die Annahme zu, daß bei einer
rein zahlenmäßigen Gegenüberstellung der Truppen, die dem Kommandierenden
in Malta im Vergleich zu früher zur Verfügung stehn werden, allerdings ein
starker Unterschied ist, daß aber im übrigen der zukünftigen Stellung des
Herzogs eine weit höhere Bedeutung zukommt und ihr größere Aufgaben
bestimmt sein werden, als sie dem Generalinspekteur der Armee im Mutterlande
"blagen. Denn in Wirklichkeit ist doch dieses Generalinspektorat keineswegs das
hohe militärische Amt, wie wir es uns vorstellen. Im Gegenteil sind die Be¬
fugnisse des Generalinspekteurs sehr eng begrenzt, sie bestehn im wesentlichen
aus dem Recht, die Truppen und das Material zu besichtigen und auf Kriegs¬
brauchbarkeit und Bereitschaft zu prüfen. Irgendwelche Anordnungen oder
Maßnahmen zu treffen, um vorhcmdne Schäden abzustellen oder Mängel zu
beseitigen, ist der Generalinspekteur nach eignem Ermessen nicht berechtigt, auch
stehn die Verwaltungsangelegenheiten des Heeres in keiner Weise unter seinem
Befehl. Vielmehr muß er sich in allen solchen Fällen zunächst erst mit den
berschiednen Waffeninspckteuren. von denen die englische Hcercsorganisation
fünf kennt, ins Einvernehmen setzen, und alsdann erstattet er dem Armeerat
(^rin^ Coupon) Bericht, der den vorgebrachten Wünschen näher tritt und über
sie entscheidet. Vor der Tür dieses Armeerats, der erst im Jahre 1904 ins


Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen

dann wird auch das englische Volk im Interesse der Selbsterhaltung den heutigen
Widerstand gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht aufgeben müssen.

Es ist vielleicht nicht unabsichtlich, daß sich fast zugleich mit dieser voll¬
ständigen Reorganisation des gesamten englischen Heerwesens auch ein Wechsel
im Oberkommando der Armee vollzogen hat, der um so größere Beachtung
finden muß. als er im Zusammenhang steht mit großen politischen Fragen.
Der Feldmarschall und Generalinspekteur der britischen Truppen im Mutter¬
lande, der Herzog von Connaught, ist nämlich aus dieser militärischen Stellung
ausgeschieden, um den Oberbefehl über das neu geschaffne Mittelmeerkommando
mit dem Sitz in La Valetta auf Malta zu übernehmen. Zum Nachfolger des
Herzogs in England ist General John French ausersehn, der bisher das
Armeekorps in Aldershot kommandierte und sich namentlich im Burenkrieg als
kühner Neiterführer hervorgetan hat. Auch wurde der General viel genannt,
als von dem Abschluß einer angeblichen Militärkonvention zwischen Frankreich
und England die Rede war, und es hieß, der englische Feldherr sei der
intellektuelle Urheber eines solchen Abkommens gewesen. In England ist man
nun recht geteilter Meinung über die neue Stellung des bisherigen Armee¬
generalinspekteurs und ist vielfach geneigt, sie im Vergleich mit den bisherigen
Funktionen als eine Zurücksetzung anzusehn. Das würde aber um so auffallender
sein, als sich der Herzog von Connaught nicht nur bei allen seinen Unter¬
gebnen einer außerordentlichen Beliebtheit erfreute, sondern auch in sämtlichen
militärischen Kreisen für einen sehr tüchtigen, energischen und kenntnisreichen
Offizier gehalten wird. Es trifft deshalb bei näherm Eingehn auf die Pläne
der englischen Regierung im Mittelmeer wohl die Annahme zu, daß bei einer
rein zahlenmäßigen Gegenüberstellung der Truppen, die dem Kommandierenden
in Malta im Vergleich zu früher zur Verfügung stehn werden, allerdings ein
starker Unterschied ist, daß aber im übrigen der zukünftigen Stellung des
Herzogs eine weit höhere Bedeutung zukommt und ihr größere Aufgaben
bestimmt sein werden, als sie dem Generalinspekteur der Armee im Mutterlande
»blagen. Denn in Wirklichkeit ist doch dieses Generalinspektorat keineswegs das
hohe militärische Amt, wie wir es uns vorstellen. Im Gegenteil sind die Be¬
fugnisse des Generalinspekteurs sehr eng begrenzt, sie bestehn im wesentlichen
aus dem Recht, die Truppen und das Material zu besichtigen und auf Kriegs¬
brauchbarkeit und Bereitschaft zu prüfen. Irgendwelche Anordnungen oder
Maßnahmen zu treffen, um vorhcmdne Schäden abzustellen oder Mängel zu
beseitigen, ist der Generalinspekteur nach eignem Ermessen nicht berechtigt, auch
stehn die Verwaltungsangelegenheiten des Heeres in keiner Weise unter seinem
Befehl. Vielmehr muß er sich in allen solchen Fällen zunächst erst mit den
berschiednen Waffeninspckteuren. von denen die englische Hcercsorganisation
fünf kennt, ins Einvernehmen setzen, und alsdann erstattet er dem Armeerat
(^rin^ Coupon) Bericht, der den vorgebrachten Wünschen näher tritt und über
sie entscheidet. Vor der Tür dieses Armeerats, der erst im Jahre 1904 ins


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[0313] Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen dann wird auch das englische Volk im Interesse der Selbsterhaltung den heutigen Widerstand gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht aufgeben müssen. Es ist vielleicht nicht unabsichtlich, daß sich fast zugleich mit dieser voll¬ ständigen Reorganisation des gesamten englischen Heerwesens auch ein Wechsel im Oberkommando der Armee vollzogen hat, der um so größere Beachtung finden muß. als er im Zusammenhang steht mit großen politischen Fragen. Der Feldmarschall und Generalinspekteur der britischen Truppen im Mutter¬ lande, der Herzog von Connaught, ist nämlich aus dieser militärischen Stellung ausgeschieden, um den Oberbefehl über das neu geschaffne Mittelmeerkommando mit dem Sitz in La Valetta auf Malta zu übernehmen. Zum Nachfolger des Herzogs in England ist General John French ausersehn, der bisher das Armeekorps in Aldershot kommandierte und sich namentlich im Burenkrieg als kühner Neiterführer hervorgetan hat. Auch wurde der General viel genannt, als von dem Abschluß einer angeblichen Militärkonvention zwischen Frankreich und England die Rede war, und es hieß, der englische Feldherr sei der intellektuelle Urheber eines solchen Abkommens gewesen. In England ist man nun recht geteilter Meinung über die neue Stellung des bisherigen Armee¬ generalinspekteurs und ist vielfach geneigt, sie im Vergleich mit den bisherigen Funktionen als eine Zurücksetzung anzusehn. Das würde aber um so auffallender sein, als sich der Herzog von Connaught nicht nur bei allen seinen Unter¬ gebnen einer außerordentlichen Beliebtheit erfreute, sondern auch in sämtlichen militärischen Kreisen für einen sehr tüchtigen, energischen und kenntnisreichen Offizier gehalten wird. Es trifft deshalb bei näherm Eingehn auf die Pläne der englischen Regierung im Mittelmeer wohl die Annahme zu, daß bei einer rein zahlenmäßigen Gegenüberstellung der Truppen, die dem Kommandierenden in Malta im Vergleich zu früher zur Verfügung stehn werden, allerdings ein starker Unterschied ist, daß aber im übrigen der zukünftigen Stellung des Herzogs eine weit höhere Bedeutung zukommt und ihr größere Aufgaben bestimmt sein werden, als sie dem Generalinspekteur der Armee im Mutterlande »blagen. Denn in Wirklichkeit ist doch dieses Generalinspektorat keineswegs das hohe militärische Amt, wie wir es uns vorstellen. Im Gegenteil sind die Be¬ fugnisse des Generalinspekteurs sehr eng begrenzt, sie bestehn im wesentlichen aus dem Recht, die Truppen und das Material zu besichtigen und auf Kriegs¬ brauchbarkeit und Bereitschaft zu prüfen. Irgendwelche Anordnungen oder Maßnahmen zu treffen, um vorhcmdne Schäden abzustellen oder Mängel zu beseitigen, ist der Generalinspekteur nach eignem Ermessen nicht berechtigt, auch stehn die Verwaltungsangelegenheiten des Heeres in keiner Weise unter seinem Befehl. Vielmehr muß er sich in allen solchen Fällen zunächst erst mit den berschiednen Waffeninspckteuren. von denen die englische Hcercsorganisation fünf kennt, ins Einvernehmen setzen, und alsdann erstattet er dem Armeerat (^rin^ Coupon) Bericht, der den vorgebrachten Wünschen näher tritt und über sie entscheidet. Vor der Tür dieses Armeerats, der erst im Jahre 1904 ins

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/313>, abgerufen am 24.07.2024.