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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen

Aber Mr. Haldane hält trotz dieser Schwierigkeiten, die ihm bereitet
werden, mit eiserner Energie an den Plänen seiner Heeresreformen fest, hofft
mit Zuversicht, sie bis zu einem glücklichen Ende durchzuführen und ohne
allgemeine Wehrpflicht doch ein kriegstüchtiges Volk in Waffen zu schaffen.
Den Schlußstein dieser Ideen hat der Minister mit der soeben organisierten
Territorialarmee gelegt. Ist sie auch noch nicht in allen ihren Einzelheiten
fertig, so stehn doch die fundamentalen Bedingungen so weit fest, daß sich das
ganze Gebäude übersehen und folgerichtig beurteilen läßt. Danach wird die
Territorialarmee gebildet sein aus den bisherigen Freiwilligen und der
Ieomanry, die bisher in Verbunden von verschiedner Stärke und ungleichem
militärischen Wert zusammengestellt waren und sich deshalb in Kriegszeiten
zu einheitlicher Verwendung wenig geeignet haben. Mr. Haldane rechnet
mit 300000 Mann, die, in vierzehn Divisionen und vierzehn Kavalleriebrigaden
gegliedert, ausreichen sollen, jede feindliche Invasion ins Mutterland erfolg¬
reich abzuweisen. Die Verteilung der Territorialdivisionen richtet sich nach
der bestehenden alten Einrichtung in Grafschaften, die zugleich die Verwaltung
und die Rekrutierung der Territorialdivisionen in die Hand zu nehmen haben.
An der Spitze dieser Verwaltung oder dieses Verbandes (pound^ Woowtion)
steht der Lordleutnant, der Lordstellvertreter des Königs für die Provinz.
Diese von dem Lordleutnant zu übernehmende Rolle ist übrigens nicht neu.
die Lordleutnants wurden unter Heinrich dem Achten zur Kontrolle der mili¬
tärischen Streitkräfte des Landes geschaffen. Im Jahre 1662 erhielten sie
die Aufsicht über die Miliz, ihre Funktionen wurden aber 1882 der Krone
übertragen. Darauf kehrten die Lordleutnants zu ihren ursprünglichen Auf¬
gaben, wenn auch nur in administrativer Beziehung, zurück. Nun da die
Lordleutnants wieder in ihre frühern Ämter eingesetzt sind, hat König Eduard
es sich nicht nehmen lassen, sie persönlich auf die Wichtigkeit dieses Regierungs¬
aktes hinzuweisen. In seiner Ansprache führte der König aus, daß er den
Statthaltern mit der Pflicht der Fürsorge für das Territorialheer ein altes
Ehrenrecht zurückgebe, "das die Statthalter in England, Schottland und
Wales vormals mit Stolz übten", und er forderte sie auf, sich die Unter¬
stützung aller vaterländisch gesinnten Männer zu gewinnen.

Neben dem Präsidenten des Grafschaftsverbandes fungiert ein onairman,
ein Direktor, auf dessen Intelligenz und militärisches Interesse ein ganz be¬
sondrer Wert gelegt wird; an der Seite des Direktors steht ein Sekretär.
Die Organisation verfügt über einen Rat. dessen Aufgabe es ist, festzustellen,
wie jede Grafschaft am besten ihren Anteil zu der Division stellen kann.
Vier oder fünf Grafschaften bilden einen Regimentsverband, und jeder Regi¬
mentsverband hat eine Division zu bilden. In diesem Augenblick sind die
dahin zielenden Arbeiten noch nicht so weit abgeschlossen, daß jeder Grafschaft
die Zahl der Truppen mitgeteilt werden konnte, die sie für ihre Territorial-
divistvn beizusteuern habe. Aber den Verbänden ist doch ein Übersichtsentwurf


Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen

Aber Mr. Haldane hält trotz dieser Schwierigkeiten, die ihm bereitet
werden, mit eiserner Energie an den Plänen seiner Heeresreformen fest, hofft
mit Zuversicht, sie bis zu einem glücklichen Ende durchzuführen und ohne
allgemeine Wehrpflicht doch ein kriegstüchtiges Volk in Waffen zu schaffen.
Den Schlußstein dieser Ideen hat der Minister mit der soeben organisierten
Territorialarmee gelegt. Ist sie auch noch nicht in allen ihren Einzelheiten
fertig, so stehn doch die fundamentalen Bedingungen so weit fest, daß sich das
ganze Gebäude übersehen und folgerichtig beurteilen läßt. Danach wird die
Territorialarmee gebildet sein aus den bisherigen Freiwilligen und der
Ieomanry, die bisher in Verbunden von verschiedner Stärke und ungleichem
militärischen Wert zusammengestellt waren und sich deshalb in Kriegszeiten
zu einheitlicher Verwendung wenig geeignet haben. Mr. Haldane rechnet
mit 300000 Mann, die, in vierzehn Divisionen und vierzehn Kavalleriebrigaden
gegliedert, ausreichen sollen, jede feindliche Invasion ins Mutterland erfolg¬
reich abzuweisen. Die Verteilung der Territorialdivisionen richtet sich nach
der bestehenden alten Einrichtung in Grafschaften, die zugleich die Verwaltung
und die Rekrutierung der Territorialdivisionen in die Hand zu nehmen haben.
An der Spitze dieser Verwaltung oder dieses Verbandes (pound^ Woowtion)
steht der Lordleutnant, der Lordstellvertreter des Königs für die Provinz.
Diese von dem Lordleutnant zu übernehmende Rolle ist übrigens nicht neu.
die Lordleutnants wurden unter Heinrich dem Achten zur Kontrolle der mili¬
tärischen Streitkräfte des Landes geschaffen. Im Jahre 1662 erhielten sie
die Aufsicht über die Miliz, ihre Funktionen wurden aber 1882 der Krone
übertragen. Darauf kehrten die Lordleutnants zu ihren ursprünglichen Auf¬
gaben, wenn auch nur in administrativer Beziehung, zurück. Nun da die
Lordleutnants wieder in ihre frühern Ämter eingesetzt sind, hat König Eduard
es sich nicht nehmen lassen, sie persönlich auf die Wichtigkeit dieses Regierungs¬
aktes hinzuweisen. In seiner Ansprache führte der König aus, daß er den
Statthaltern mit der Pflicht der Fürsorge für das Territorialheer ein altes
Ehrenrecht zurückgebe, „das die Statthalter in England, Schottland und
Wales vormals mit Stolz übten", und er forderte sie auf, sich die Unter¬
stützung aller vaterländisch gesinnten Männer zu gewinnen.

Neben dem Präsidenten des Grafschaftsverbandes fungiert ein onairman,
ein Direktor, auf dessen Intelligenz und militärisches Interesse ein ganz be¬
sondrer Wert gelegt wird; an der Seite des Direktors steht ein Sekretär.
Die Organisation verfügt über einen Rat. dessen Aufgabe es ist, festzustellen,
wie jede Grafschaft am besten ihren Anteil zu der Division stellen kann.
Vier oder fünf Grafschaften bilden einen Regimentsverband, und jeder Regi¬
mentsverband hat eine Division zu bilden. In diesem Augenblick sind die
dahin zielenden Arbeiten noch nicht so weit abgeschlossen, daß jeder Grafschaft
die Zahl der Truppen mitgeteilt werden konnte, die sie für ihre Territorial-
divistvn beizusteuern habe. Aber den Verbänden ist doch ein Übersichtsentwurf


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[0311] Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen Aber Mr. Haldane hält trotz dieser Schwierigkeiten, die ihm bereitet werden, mit eiserner Energie an den Plänen seiner Heeresreformen fest, hofft mit Zuversicht, sie bis zu einem glücklichen Ende durchzuführen und ohne allgemeine Wehrpflicht doch ein kriegstüchtiges Volk in Waffen zu schaffen. Den Schlußstein dieser Ideen hat der Minister mit der soeben organisierten Territorialarmee gelegt. Ist sie auch noch nicht in allen ihren Einzelheiten fertig, so stehn doch die fundamentalen Bedingungen so weit fest, daß sich das ganze Gebäude übersehen und folgerichtig beurteilen läßt. Danach wird die Territorialarmee gebildet sein aus den bisherigen Freiwilligen und der Ieomanry, die bisher in Verbunden von verschiedner Stärke und ungleichem militärischen Wert zusammengestellt waren und sich deshalb in Kriegszeiten zu einheitlicher Verwendung wenig geeignet haben. Mr. Haldane rechnet mit 300000 Mann, die, in vierzehn Divisionen und vierzehn Kavalleriebrigaden gegliedert, ausreichen sollen, jede feindliche Invasion ins Mutterland erfolg¬ reich abzuweisen. Die Verteilung der Territorialdivisionen richtet sich nach der bestehenden alten Einrichtung in Grafschaften, die zugleich die Verwaltung und die Rekrutierung der Territorialdivisionen in die Hand zu nehmen haben. An der Spitze dieser Verwaltung oder dieses Verbandes (pound^ Woowtion) steht der Lordleutnant, der Lordstellvertreter des Königs für die Provinz. Diese von dem Lordleutnant zu übernehmende Rolle ist übrigens nicht neu. die Lordleutnants wurden unter Heinrich dem Achten zur Kontrolle der mili¬ tärischen Streitkräfte des Landes geschaffen. Im Jahre 1662 erhielten sie die Aufsicht über die Miliz, ihre Funktionen wurden aber 1882 der Krone übertragen. Darauf kehrten die Lordleutnants zu ihren ursprünglichen Auf¬ gaben, wenn auch nur in administrativer Beziehung, zurück. Nun da die Lordleutnants wieder in ihre frühern Ämter eingesetzt sind, hat König Eduard es sich nicht nehmen lassen, sie persönlich auf die Wichtigkeit dieses Regierungs¬ aktes hinzuweisen. In seiner Ansprache führte der König aus, daß er den Statthaltern mit der Pflicht der Fürsorge für das Territorialheer ein altes Ehrenrecht zurückgebe, „das die Statthalter in England, Schottland und Wales vormals mit Stolz übten", und er forderte sie auf, sich die Unter¬ stützung aller vaterländisch gesinnten Männer zu gewinnen. Neben dem Präsidenten des Grafschaftsverbandes fungiert ein onairman, ein Direktor, auf dessen Intelligenz und militärisches Interesse ein ganz be¬ sondrer Wert gelegt wird; an der Seite des Direktors steht ein Sekretär. Die Organisation verfügt über einen Rat. dessen Aufgabe es ist, festzustellen, wie jede Grafschaft am besten ihren Anteil zu der Division stellen kann. Vier oder fünf Grafschaften bilden einen Regimentsverband, und jeder Regi¬ mentsverband hat eine Division zu bilden. In diesem Augenblick sind die dahin zielenden Arbeiten noch nicht so weit abgeschlossen, daß jeder Grafschaft die Zahl der Truppen mitgeteilt werden konnte, die sie für ihre Territorial- divistvn beizusteuern habe. Aber den Verbänden ist doch ein Übersichtsentwurf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/311>, abgerufen am 24.07.2024.