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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen

eine Kavalleriedivision gebildet worden, mit der Bestimmung, im Kriegsfalle
die strategische Aufklärung weit vor der Front des Heeres zu übernehmen.
Und endlich sind zu dem neuorganisierten Feldheere, neben den Etappen¬
truppen, noch sogenannte Armeetrnppen getreten, die außerhalb des Divisions¬
verbandes stehn und eine ganz eigenartige Zusammensetzung aufweisen. Den
Hauptbestand bilden zwei berittene Brigaden, die jede aus einem Kavallerie¬
regiment, zwei Eskadrons Ieomanry und zwei Bataillonen bcrittner Infanterie
besteht. Ihre Aufgabe soll sein, in der Rolle der Divisionskavallerie den
Aufklärungs- und Sicherheitsdienst unmittelbar vor der Front der Truppe zu
übernehmen, der sie zugeteilt sind. Die Kriegsstärke des Feldheeres ist auf
150000 Mann bemessen. Es wird die Frage sein, ob dieser Stand im ge¬
gebnen Augenblick tatsächlich erreicht werden wird, da mindestens 60000 Re¬
servisten dazu notwendig sind.

Angesichts der Tatsache, daß die englische Armee nie Überfluß an brauch¬
barer Reservemannschaft gehabt hat, weil nach siebenjähriger aktiver, häufig
in den Tropen verbrachter Dienstzeit sehr viele Leute einen Teil ihrer Feld¬
dienstfähigkeit eingebüßt haben, sind Zweifel an dem Vorhandensein eines so
hohen Reserveaufgebots, wie es verlangt wird, zum mindesten berechtigt. Der
Kriegsminister ist sich dieser Schwierigkeit natürlich voll bewußt, und deshalb
geht sein Plan dahin, durch Anwerbung von Milizen schon im Frieden
etwaige Lücken an der Vollzähligkeit des mobilen Feldheeres zu decken. Indem
Mr. Haldcme die Bedingungen für eine solche Werbung viel günstiger ge¬
stellt hat als früher, hofft er jährlich 20000 Milizen aufbringen zu können.
Möglich ist, daß dieses Deckungsprojekt Erfolg bringt. Bedenklich erscheint
nur, daß sich die Leute auf sechs Jahre verpflichten sollen, und daß die Aus¬
bildungszeit der Rekruten gegen jetzt mehr als verdoppelt ist und in Zukunft
63 Tage dauern wird. Auch ein Wiederholungskurs von 27 Tagen im
zweiten Dienstjahr und von 14 Tagen in jedem darauffolgenden Jahre wird
bei der notorischen Abneigung jedes freien Bürgers gegen den Dienstzwang
vielleicht manchen stutzig machen und von der Unterzeichnung des Werbe¬
kontrakts abbringen. Noch schwerer wiegend als diese Bedenken gegen die
Möglichkeit, genügende Milizen zur Ergänzung des Feldheeres anzuwerben,
erscheinen die Einwände, die aus ernst zu nehmenden Milizkreisen gegen die
Haldcmeschen Vorschläge mit der Begründung vorgebracht werden, daß sie darin
eine empfindliche Schmülerung ihrer spätern Rechte, eine geringere Einschätzung
ihres militärischen Wertes sehen müßten. In der alten Heeresorganisation
Hütten die Miliztruppen einen selbständigen Teil der Armee gebildet, der in
Kriegs- und Friedenszeiten sein Bestes eingesetzt habe zur Verteidigung des
Vaterlandes. Dadurch, daß jetzt die Milizformationen aufgelöst würden und
die Leute teils in das stehende Heer, teils in Ersatztruppenteile eingestellt
werden sollten, rüttle die Regierung an den Grundpfeilern einer durch Jahre
bewährten Institution und gefährde dadurch die Wehrkraft der Nation.


Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen

eine Kavalleriedivision gebildet worden, mit der Bestimmung, im Kriegsfalle
die strategische Aufklärung weit vor der Front des Heeres zu übernehmen.
Und endlich sind zu dem neuorganisierten Feldheere, neben den Etappen¬
truppen, noch sogenannte Armeetrnppen getreten, die außerhalb des Divisions¬
verbandes stehn und eine ganz eigenartige Zusammensetzung aufweisen. Den
Hauptbestand bilden zwei berittene Brigaden, die jede aus einem Kavallerie¬
regiment, zwei Eskadrons Ieomanry und zwei Bataillonen bcrittner Infanterie
besteht. Ihre Aufgabe soll sein, in der Rolle der Divisionskavallerie den
Aufklärungs- und Sicherheitsdienst unmittelbar vor der Front der Truppe zu
übernehmen, der sie zugeteilt sind. Die Kriegsstärke des Feldheeres ist auf
150000 Mann bemessen. Es wird die Frage sein, ob dieser Stand im ge¬
gebnen Augenblick tatsächlich erreicht werden wird, da mindestens 60000 Re¬
servisten dazu notwendig sind.

Angesichts der Tatsache, daß die englische Armee nie Überfluß an brauch¬
barer Reservemannschaft gehabt hat, weil nach siebenjähriger aktiver, häufig
in den Tropen verbrachter Dienstzeit sehr viele Leute einen Teil ihrer Feld¬
dienstfähigkeit eingebüßt haben, sind Zweifel an dem Vorhandensein eines so
hohen Reserveaufgebots, wie es verlangt wird, zum mindesten berechtigt. Der
Kriegsminister ist sich dieser Schwierigkeit natürlich voll bewußt, und deshalb
geht sein Plan dahin, durch Anwerbung von Milizen schon im Frieden
etwaige Lücken an der Vollzähligkeit des mobilen Feldheeres zu decken. Indem
Mr. Haldcme die Bedingungen für eine solche Werbung viel günstiger ge¬
stellt hat als früher, hofft er jährlich 20000 Milizen aufbringen zu können.
Möglich ist, daß dieses Deckungsprojekt Erfolg bringt. Bedenklich erscheint
nur, daß sich die Leute auf sechs Jahre verpflichten sollen, und daß die Aus¬
bildungszeit der Rekruten gegen jetzt mehr als verdoppelt ist und in Zukunft
63 Tage dauern wird. Auch ein Wiederholungskurs von 27 Tagen im
zweiten Dienstjahr und von 14 Tagen in jedem darauffolgenden Jahre wird
bei der notorischen Abneigung jedes freien Bürgers gegen den Dienstzwang
vielleicht manchen stutzig machen und von der Unterzeichnung des Werbe¬
kontrakts abbringen. Noch schwerer wiegend als diese Bedenken gegen die
Möglichkeit, genügende Milizen zur Ergänzung des Feldheeres anzuwerben,
erscheinen die Einwände, die aus ernst zu nehmenden Milizkreisen gegen die
Haldcmeschen Vorschläge mit der Begründung vorgebracht werden, daß sie darin
eine empfindliche Schmülerung ihrer spätern Rechte, eine geringere Einschätzung
ihres militärischen Wertes sehen müßten. In der alten Heeresorganisation
Hütten die Miliztruppen einen selbständigen Teil der Armee gebildet, der in
Kriegs- und Friedenszeiten sein Bestes eingesetzt habe zur Verteidigung des
Vaterlandes. Dadurch, daß jetzt die Milizformationen aufgelöst würden und
die Leute teils in das stehende Heer, teils in Ersatztruppenteile eingestellt
werden sollten, rüttle die Regierung an den Grundpfeilern einer durch Jahre
bewährten Institution und gefährde dadurch die Wehrkraft der Nation.


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[0310] Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen eine Kavalleriedivision gebildet worden, mit der Bestimmung, im Kriegsfalle die strategische Aufklärung weit vor der Front des Heeres zu übernehmen. Und endlich sind zu dem neuorganisierten Feldheere, neben den Etappen¬ truppen, noch sogenannte Armeetrnppen getreten, die außerhalb des Divisions¬ verbandes stehn und eine ganz eigenartige Zusammensetzung aufweisen. Den Hauptbestand bilden zwei berittene Brigaden, die jede aus einem Kavallerie¬ regiment, zwei Eskadrons Ieomanry und zwei Bataillonen bcrittner Infanterie besteht. Ihre Aufgabe soll sein, in der Rolle der Divisionskavallerie den Aufklärungs- und Sicherheitsdienst unmittelbar vor der Front der Truppe zu übernehmen, der sie zugeteilt sind. Die Kriegsstärke des Feldheeres ist auf 150000 Mann bemessen. Es wird die Frage sein, ob dieser Stand im ge¬ gebnen Augenblick tatsächlich erreicht werden wird, da mindestens 60000 Re¬ servisten dazu notwendig sind. Angesichts der Tatsache, daß die englische Armee nie Überfluß an brauch¬ barer Reservemannschaft gehabt hat, weil nach siebenjähriger aktiver, häufig in den Tropen verbrachter Dienstzeit sehr viele Leute einen Teil ihrer Feld¬ dienstfähigkeit eingebüßt haben, sind Zweifel an dem Vorhandensein eines so hohen Reserveaufgebots, wie es verlangt wird, zum mindesten berechtigt. Der Kriegsminister ist sich dieser Schwierigkeit natürlich voll bewußt, und deshalb geht sein Plan dahin, durch Anwerbung von Milizen schon im Frieden etwaige Lücken an der Vollzähligkeit des mobilen Feldheeres zu decken. Indem Mr. Haldcme die Bedingungen für eine solche Werbung viel günstiger ge¬ stellt hat als früher, hofft er jährlich 20000 Milizen aufbringen zu können. Möglich ist, daß dieses Deckungsprojekt Erfolg bringt. Bedenklich erscheint nur, daß sich die Leute auf sechs Jahre verpflichten sollen, und daß die Aus¬ bildungszeit der Rekruten gegen jetzt mehr als verdoppelt ist und in Zukunft 63 Tage dauern wird. Auch ein Wiederholungskurs von 27 Tagen im zweiten Dienstjahr und von 14 Tagen in jedem darauffolgenden Jahre wird bei der notorischen Abneigung jedes freien Bürgers gegen den Dienstzwang vielleicht manchen stutzig machen und von der Unterzeichnung des Werbe¬ kontrakts abbringen. Noch schwerer wiegend als diese Bedenken gegen die Möglichkeit, genügende Milizen zur Ergänzung des Feldheeres anzuwerben, erscheinen die Einwände, die aus ernst zu nehmenden Milizkreisen gegen die Haldcmeschen Vorschläge mit der Begründung vorgebracht werden, daß sie darin eine empfindliche Schmülerung ihrer spätern Rechte, eine geringere Einschätzung ihres militärischen Wertes sehen müßten. In der alten Heeresorganisation Hütten die Miliztruppen einen selbständigen Teil der Armee gebildet, der in Kriegs- und Friedenszeiten sein Bestes eingesetzt habe zur Verteidigung des Vaterlandes. Dadurch, daß jetzt die Milizformationen aufgelöst würden und die Leute teils in das stehende Heer, teils in Ersatztruppenteile eingestellt werden sollten, rüttle die Regierung an den Grundpfeilern einer durch Jahre bewährten Institution und gefährde dadurch die Wehrkraft der Nation.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/310>, abgerufen am 24.07.2024.