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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürsorgeerziehung

von wo aus er seine in Dresden verheiratete Mutter jeden Sonntag besucht.
In den nationalen Kämpfen, die er vor Augen hat, ist er ein begeisterter
deutscher Patriot geworden und will Offizier werden. Sein Gesuch um Auf¬
nahme in ein Kadettenhaus wird zurückgewiesen mit der kurzen Begründung,
daß unehelich Geborne unter keinen Umständen aufgenommen werden. Das
wirkte auf den Burschen sehr niederschlagend, und zunächst beschloß er, gar
nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Liebevollem Zuspruch der Ver¬
wandten und des Vormundschaftsrichters ist es gelungen, ihn aufzurichten,
"wie aber mag es jungen Leuten von nicht ehelicher Geburt ergehn, denen eine
ähnliche Abweisung widerfährt, ohne daß das Wohlwollen aller ihnen nahe¬
kommenden Menschen ein solches Gegengewicht bietet?" Was das zunächst
und unbedingt Notwendige betrifft, den Unterhalt des Kindes, so ist dazu
selbstverständlich der Vater verpflichtet. "Ist es nicht ein schreiendes Unrecht
gegen diese Kinder, wenn man zur Bestrafung der unsittlichen Mutter oder
um Erpressungen vorzubeugen die "Einrede der mehreren Beischläfer" zum
gesetzlichen Grunde für die Verweigerung der Unterhaltungszahlung gemacht
hat? Sollte man nicht vielmehr solidarische Haftbarkeit der beteiligten Männer
einführen? Allerdings wird man gleichzeitig dafür sorgen müssen, daß die
Alimente nur für das Kind verwandt werden. Unter dieser Voraussetzung
aber: fort mit der exosvtio xlorium." Freilich sei es meist sehr schwierig, die
Väter zur Erfüllung ihrer Pflicht zu zwingen, namentlich wenn sie Lohnarbeiter
sind, die ihren Wohnort oft wechseln. Man müsse mit schweren Strafen und
mit Arbeitzwaug gegen die Pflichtvergessenen einschreiten. "Man macht so viele
Gesetze zum Schutze der Arbeiter, daß man das Privilegium unehrenhafter
Arbeiter, ihre unehelichen Kinder im Stich zu lassen, wahrlich nicht länger
aufrecht zu erhalten braucht." Es handle sich dabei nicht bloß um das
Schicksal der armen Kinder, sondern es dränge ein unmittelbares öffentliches
Interesse, weil die Unehelichen einen sehr hohen Prozentsatz der Verwahrlosten
ausmachen.

Das zweite Hauptstück ist "die Kämpfer" überschrieben. Als erster wird
der Strafrichter vorgeführt, der jedoch schon deswegen wenig in Betracht komme,
weil er es in jedem Falle nur mit einer einzelnen Strafttat zu tun hat. "Was
diese eine Tat dem Richter sagt, ist maßgebend für das, was er ohne Rücksicht
auf Zweckmäßigkeitsgründe zu tun hat. Man mag zu den Grundsätzen des
Strafrechts stehn, wie man will, das wird man zugeben müssen, daß bei dem
Kampfe um das sittliche Wohl der Jugend nicht von der Frage nach Schuld
und Vergeltung ausgegangen werden darf. Ich stehe nicht an, zu behaupten,
daß es nach meiner persönlichen Überzeugung überhaupt uicht richtig ist, den
Gedanken an Schuld und Vergeltung als leitendes Prinzip an die Spitze des
Kampfes gegen das Verbrechen zu stelle"; hier genügt es aber, festzustellen,
daß dieser Gedanke jedenfalls für die Behandlung der Jugend nicht paßt."
Für diese kommen drei Fragen in Betracht, die zu beantworten für gewöhnlich


Fürsorgeerziehung

von wo aus er seine in Dresden verheiratete Mutter jeden Sonntag besucht.
In den nationalen Kämpfen, die er vor Augen hat, ist er ein begeisterter
deutscher Patriot geworden und will Offizier werden. Sein Gesuch um Auf¬
nahme in ein Kadettenhaus wird zurückgewiesen mit der kurzen Begründung,
daß unehelich Geborne unter keinen Umständen aufgenommen werden. Das
wirkte auf den Burschen sehr niederschlagend, und zunächst beschloß er, gar
nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. Liebevollem Zuspruch der Ver¬
wandten und des Vormundschaftsrichters ist es gelungen, ihn aufzurichten,
„wie aber mag es jungen Leuten von nicht ehelicher Geburt ergehn, denen eine
ähnliche Abweisung widerfährt, ohne daß das Wohlwollen aller ihnen nahe¬
kommenden Menschen ein solches Gegengewicht bietet?" Was das zunächst
und unbedingt Notwendige betrifft, den Unterhalt des Kindes, so ist dazu
selbstverständlich der Vater verpflichtet. „Ist es nicht ein schreiendes Unrecht
gegen diese Kinder, wenn man zur Bestrafung der unsittlichen Mutter oder
um Erpressungen vorzubeugen die »Einrede der mehreren Beischläfer« zum
gesetzlichen Grunde für die Verweigerung der Unterhaltungszahlung gemacht
hat? Sollte man nicht vielmehr solidarische Haftbarkeit der beteiligten Männer
einführen? Allerdings wird man gleichzeitig dafür sorgen müssen, daß die
Alimente nur für das Kind verwandt werden. Unter dieser Voraussetzung
aber: fort mit der exosvtio xlorium." Freilich sei es meist sehr schwierig, die
Väter zur Erfüllung ihrer Pflicht zu zwingen, namentlich wenn sie Lohnarbeiter
sind, die ihren Wohnort oft wechseln. Man müsse mit schweren Strafen und
mit Arbeitzwaug gegen die Pflichtvergessenen einschreiten. „Man macht so viele
Gesetze zum Schutze der Arbeiter, daß man das Privilegium unehrenhafter
Arbeiter, ihre unehelichen Kinder im Stich zu lassen, wahrlich nicht länger
aufrecht zu erhalten braucht." Es handle sich dabei nicht bloß um das
Schicksal der armen Kinder, sondern es dränge ein unmittelbares öffentliches
Interesse, weil die Unehelichen einen sehr hohen Prozentsatz der Verwahrlosten
ausmachen.

Das zweite Hauptstück ist „die Kämpfer" überschrieben. Als erster wird
der Strafrichter vorgeführt, der jedoch schon deswegen wenig in Betracht komme,
weil er es in jedem Falle nur mit einer einzelnen Strafttat zu tun hat. „Was
diese eine Tat dem Richter sagt, ist maßgebend für das, was er ohne Rücksicht
auf Zweckmäßigkeitsgründe zu tun hat. Man mag zu den Grundsätzen des
Strafrechts stehn, wie man will, das wird man zugeben müssen, daß bei dem
Kampfe um das sittliche Wohl der Jugend nicht von der Frage nach Schuld
und Vergeltung ausgegangen werden darf. Ich stehe nicht an, zu behaupten,
daß es nach meiner persönlichen Überzeugung überhaupt uicht richtig ist, den
Gedanken an Schuld und Vergeltung als leitendes Prinzip an die Spitze des
Kampfes gegen das Verbrechen zu stelle»; hier genügt es aber, festzustellen,
daß dieser Gedanke jedenfalls für die Behandlung der Jugend nicht paßt."
Für diese kommen drei Fragen in Betracht, die zu beantworten für gewöhnlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/278>, abgerufen am 24.07.2024.