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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

erheben, daß die politischen Mächte nicht das Recht haben sollten, die Forderungen
ihrer Untertanen mit bewaffneter Hand einzutreiben. Auf dem letzten pan¬
amerikanischen Kongreß war die Stimmung dafür sehr groß, doch zauberten die
Vereinigten Staaten begreiflicherweise, für diese auch gegen sie gerichtete Lehre
einzutreten. Die Südamerikaner verlangten, daß darüber auf der Friedens¬
konferenz im Haag 1907 verhandelt werden solle; andernfalls wollten sie diese
gar nicht beschicken. Schließlich kam unter nordamerikanischer Führung eine
im Haag sanktionierte Vereinbarung zustande, deren entscheidender Para¬
graph 1 lautet: "Die Vertragsmächte sind übereingekommen, bei der Eintreibung
von Vertragsschulden, die bei der Regierung eines Landes von der Regierung
eines andern Landes für deren Angehörige eingefordert werden, nicht zur
Waffengewalt zu schreiten. Diese Bestimmung findet jedoch keine Anwendung,
wenn der Schuldncrstaat ein Anerbieten schiedsrichterlicher Erledigung ablehnt
oder unbeantwortet läßt oder im Fall der Annahme den Abschluß des Schieds-
vertrags vereitelt oder nach dem Schiedsverfahren dem Schiedsspruch nicht
nachkommt."

Das Prestige der Vereinigten Staaten ist immer im Wachsen. Es hat
bedeutend gewonnen durch die Aussendung der atlantischen Kriegsflotte nach
dem Stillen Ozean, um der neu entstandnen japanischen Großmacht begreiflich
zu machen, daß sie sich an keinem Punkte Amerikas vergreifen dürfe. Noch
weit greifbarer ist die Macht des Nordens an der Landenge von Panama
geworden. Schon 1900 ist es den Staatsmännern zu Washington gelungen,
das auf dem Clayton-Bulwer-Vertrag von 1850 beruhende Mit-Erbauungs¬
recht Großbritanniens aufzuheben und die ganze Kanalsache in ihre Hand zu
bringen.

Zahllose male ist die Vermutung gehegt und ausgesprochen worden, daß
die Vereinigten Staaten daran gingen, weitere Teile Amerikas zu erobern.
Der spanische Krieg gab den stärksten Anlaß dazu. Er führte mit kaum
nennenswerten Opfern zu der Erwerbung Portoricos und der Philippinen.
Von Cuba vermutete man ein gleiches. Die Regierung bewahrte jedoch in der
ehrenhaftesten Weise die Erinnerung an ihre vorher abgegebnen Erklärungen,
daß sie Cuba befreien aber nicht erobern wolle; sie blieb ihnen treu. Sie half
Cuba, sich als eine unabhängige Republik einzurichten. Ihr Militär besetzte das
Land nur zeitweilig. Sie machte Vorbehalte dahin, daß ihr Cuba einen zu einem
Kriegshafen geeigneten Platz abtreten müsse, daß Cuba nichts von seinem Gebiet
an eine fremde Macht veräußern oder verpachten dürfe, daß es ohne Zustimmung
der Vereinigten Staaten keine Anleihen aufnehmen dürfe; sie behielt sich ein
gewisses Einmischungsrecht vor. Endlich schloß sie nachher einen Zoll¬
bevorzugungsvertrag ab, der die cubanische Zuckerproduktion so begünstigt, daß
die deutsche Zuckerausfuhr nach den Vereinigten Staaten aufgehört hat. Auf
Cuba beginnt sich der Segen einer geordneten Regierung geltend zu machen.


Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

erheben, daß die politischen Mächte nicht das Recht haben sollten, die Forderungen
ihrer Untertanen mit bewaffneter Hand einzutreiben. Auf dem letzten pan¬
amerikanischen Kongreß war die Stimmung dafür sehr groß, doch zauberten die
Vereinigten Staaten begreiflicherweise, für diese auch gegen sie gerichtete Lehre
einzutreten. Die Südamerikaner verlangten, daß darüber auf der Friedens¬
konferenz im Haag 1907 verhandelt werden solle; andernfalls wollten sie diese
gar nicht beschicken. Schließlich kam unter nordamerikanischer Führung eine
im Haag sanktionierte Vereinbarung zustande, deren entscheidender Para¬
graph 1 lautet: „Die Vertragsmächte sind übereingekommen, bei der Eintreibung
von Vertragsschulden, die bei der Regierung eines Landes von der Regierung
eines andern Landes für deren Angehörige eingefordert werden, nicht zur
Waffengewalt zu schreiten. Diese Bestimmung findet jedoch keine Anwendung,
wenn der Schuldncrstaat ein Anerbieten schiedsrichterlicher Erledigung ablehnt
oder unbeantwortet läßt oder im Fall der Annahme den Abschluß des Schieds-
vertrags vereitelt oder nach dem Schiedsverfahren dem Schiedsspruch nicht
nachkommt."

Das Prestige der Vereinigten Staaten ist immer im Wachsen. Es hat
bedeutend gewonnen durch die Aussendung der atlantischen Kriegsflotte nach
dem Stillen Ozean, um der neu entstandnen japanischen Großmacht begreiflich
zu machen, daß sie sich an keinem Punkte Amerikas vergreifen dürfe. Noch
weit greifbarer ist die Macht des Nordens an der Landenge von Panama
geworden. Schon 1900 ist es den Staatsmännern zu Washington gelungen,
das auf dem Clayton-Bulwer-Vertrag von 1850 beruhende Mit-Erbauungs¬
recht Großbritanniens aufzuheben und die ganze Kanalsache in ihre Hand zu
bringen.

Zahllose male ist die Vermutung gehegt und ausgesprochen worden, daß
die Vereinigten Staaten daran gingen, weitere Teile Amerikas zu erobern.
Der spanische Krieg gab den stärksten Anlaß dazu. Er führte mit kaum
nennenswerten Opfern zu der Erwerbung Portoricos und der Philippinen.
Von Cuba vermutete man ein gleiches. Die Regierung bewahrte jedoch in der
ehrenhaftesten Weise die Erinnerung an ihre vorher abgegebnen Erklärungen,
daß sie Cuba befreien aber nicht erobern wolle; sie blieb ihnen treu. Sie half
Cuba, sich als eine unabhängige Republik einzurichten. Ihr Militär besetzte das
Land nur zeitweilig. Sie machte Vorbehalte dahin, daß ihr Cuba einen zu einem
Kriegshafen geeigneten Platz abtreten müsse, daß Cuba nichts von seinem Gebiet
an eine fremde Macht veräußern oder verpachten dürfe, daß es ohne Zustimmung
der Vereinigten Staaten keine Anleihen aufnehmen dürfe; sie behielt sich ein
gewisses Einmischungsrecht vor. Endlich schloß sie nachher einen Zoll¬
bevorzugungsvertrag ab, der die cubanische Zuckerproduktion so begünstigt, daß
die deutsche Zuckerausfuhr nach den Vereinigten Staaten aufgehört hat. Auf
Cuba beginnt sich der Segen einer geordneten Regierung geltend zu machen.


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[0268] Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse erheben, daß die politischen Mächte nicht das Recht haben sollten, die Forderungen ihrer Untertanen mit bewaffneter Hand einzutreiben. Auf dem letzten pan¬ amerikanischen Kongreß war die Stimmung dafür sehr groß, doch zauberten die Vereinigten Staaten begreiflicherweise, für diese auch gegen sie gerichtete Lehre einzutreten. Die Südamerikaner verlangten, daß darüber auf der Friedens¬ konferenz im Haag 1907 verhandelt werden solle; andernfalls wollten sie diese gar nicht beschicken. Schließlich kam unter nordamerikanischer Führung eine im Haag sanktionierte Vereinbarung zustande, deren entscheidender Para¬ graph 1 lautet: „Die Vertragsmächte sind übereingekommen, bei der Eintreibung von Vertragsschulden, die bei der Regierung eines Landes von der Regierung eines andern Landes für deren Angehörige eingefordert werden, nicht zur Waffengewalt zu schreiten. Diese Bestimmung findet jedoch keine Anwendung, wenn der Schuldncrstaat ein Anerbieten schiedsrichterlicher Erledigung ablehnt oder unbeantwortet läßt oder im Fall der Annahme den Abschluß des Schieds- vertrags vereitelt oder nach dem Schiedsverfahren dem Schiedsspruch nicht nachkommt." Das Prestige der Vereinigten Staaten ist immer im Wachsen. Es hat bedeutend gewonnen durch die Aussendung der atlantischen Kriegsflotte nach dem Stillen Ozean, um der neu entstandnen japanischen Großmacht begreiflich zu machen, daß sie sich an keinem Punkte Amerikas vergreifen dürfe. Noch weit greifbarer ist die Macht des Nordens an der Landenge von Panama geworden. Schon 1900 ist es den Staatsmännern zu Washington gelungen, das auf dem Clayton-Bulwer-Vertrag von 1850 beruhende Mit-Erbauungs¬ recht Großbritanniens aufzuheben und die ganze Kanalsache in ihre Hand zu bringen. Zahllose male ist die Vermutung gehegt und ausgesprochen worden, daß die Vereinigten Staaten daran gingen, weitere Teile Amerikas zu erobern. Der spanische Krieg gab den stärksten Anlaß dazu. Er führte mit kaum nennenswerten Opfern zu der Erwerbung Portoricos und der Philippinen. Von Cuba vermutete man ein gleiches. Die Regierung bewahrte jedoch in der ehrenhaftesten Weise die Erinnerung an ihre vorher abgegebnen Erklärungen, daß sie Cuba befreien aber nicht erobern wolle; sie blieb ihnen treu. Sie half Cuba, sich als eine unabhängige Republik einzurichten. Ihr Militär besetzte das Land nur zeitweilig. Sie machte Vorbehalte dahin, daß ihr Cuba einen zu einem Kriegshafen geeigneten Platz abtreten müsse, daß Cuba nichts von seinem Gebiet an eine fremde Macht veräußern oder verpachten dürfe, daß es ohne Zustimmung der Vereinigten Staaten keine Anleihen aufnehmen dürfe; sie behielt sich ein gewisses Einmischungsrecht vor. Endlich schloß sie nachher einen Zoll¬ bevorzugungsvertrag ab, der die cubanische Zuckerproduktion so begünstigt, daß die deutsche Zuckerausfuhr nach den Vereinigten Staaten aufgehört hat. Auf Cuba beginnt sich der Segen einer geordneten Regierung geltend zu machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/268>, abgerufen am 24.07.2024.