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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

Grund übertriebner Preise im Inlande ihren Überschuß erzwungen wohlfeil
nach dem Auslande abstößt. Die mächtigen Trusts ziehen den Hauptvorteil
aus dieser Politik. Sie sind es, die die Kassen der republikanischen Partei
füllen und für die Propaganda durch Wort und Schrift unglaubliche Summen
aufwenden. Sie sind dabei mit Noosevelt in Streit geraten, denn ihm wurde
dieses System zu arg. Wohin sich der Sieg neigen wird, weiß man noch nicht.
Der Drang nach Erwerbung solcher Märkte ist jahrzehntcalt. Er trat schon
Ende der siebziger Jahre auf. und zwar als Versuch, die Monroelehre auch auf
den Handel anzuwenden. Der europäische Handel sollte soweit wie möglich
durch den amerikanischen ersetzt werden. Aus Gründen, deren Entwicklung uns
hier zu weit führen würde, hatten die übrigen amerikanischen Staaten wenig
Neigung, darauf einzugehn.

Bald tauchte für diese Bestrebungen der Name "Panamerikanismus" auf.
Ein eifriger und einflußreicher Politiker der republikanischen Partei, Senator
Blaine (mehrmals Staatssekretär des Auswärtigen, auch Präsidentschaftskandidat),
betrieb sie lange Zeit. Er strebte einen engen Zusammenschluß ganz Amerikas
auf vielen Gebieten. Münze. Maß. Gewicht. Rechtsschutz. Schiedsgericht.
Monroedoktrin. vor allem aber gegenseitige Zollbcgünstigung an. Unter seiner
Ägide tagte 1889/90 ein panamerikanischer Kongreß in Washington. Er starb
im Januar 1893. doch blieb sein Gedanke am Leben, denn 1901/02 trat zum
zweitenmal in Mexiko. 1906 zum drittenmal in Rio de Janeiro ein solcher
Kongreß zusammen. Vorübergehend wurden ansehnliche Erfolge erreicht. Es
gelang Blaine. mit verschieden amerikanischen Staaten und sogar mit Kolonien
europäischer Mächte sogenannte Gegenseitigkeitsverträge abzuschließen, kraft denen
jene den Nordamerikanern und wiederum diese ihnen Zollermäßigungen zu¬
gestanden, an denen Europa keinen Anteil hatte. Die Kleinern fanden jedoch,
daß sie sich dabei nicht gut stünden, und so erloschen die Verträge allmählich
wieder, wozu auch beitrug, daß für 1892 bis 1896 die relativ freihändlerische
demokratische Partei in den Vereinigten Staaten ans Ruder gekommen war.

In den letzten Jahren ist der Panamerikanismus auch offiziell wieder
aufgenommen worden. Staatssekretär Rook benutzte die Abhaltung des pan¬
amerikanischen Kongresses in Rio de Janeiro, um eine Rundreise durch die
Hauptstädte der südumerikanischen Republiken zu machen. Überall wurde er
herzlich aufgenommen, besonders in der Kongreßstadt Rio de Janeiro, und hier
trug er auch einen realen Erfolg davon, einen neuen Gcgenseitigkeitsvertrag.
Vorläufig blieb dieser jedoch vereinzelt. Natürlich wurde in Europa das
Wiederaufleben der Versuche, die nordamerikanischen Erzeugnisse in andern
Teilen der westlichen Halbkugel zollpolitisch zu begünstigen, mißfällig auf¬
genommen. Es geschah jedoch nichts dagegen. Europa ist viel zu zersplittert,
als daß es sich zu gemeinsamen Schritten aufraffen könnte.

Spuren von Zusammenschlüssen Amerikas sind auch sonst noch hervor¬
getreten. Von Argentinien ging die Drago-Calvolehre aus: zum Grundsatz zu


Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

Grund übertriebner Preise im Inlande ihren Überschuß erzwungen wohlfeil
nach dem Auslande abstößt. Die mächtigen Trusts ziehen den Hauptvorteil
aus dieser Politik. Sie sind es, die die Kassen der republikanischen Partei
füllen und für die Propaganda durch Wort und Schrift unglaubliche Summen
aufwenden. Sie sind dabei mit Noosevelt in Streit geraten, denn ihm wurde
dieses System zu arg. Wohin sich der Sieg neigen wird, weiß man noch nicht.
Der Drang nach Erwerbung solcher Märkte ist jahrzehntcalt. Er trat schon
Ende der siebziger Jahre auf. und zwar als Versuch, die Monroelehre auch auf
den Handel anzuwenden. Der europäische Handel sollte soweit wie möglich
durch den amerikanischen ersetzt werden. Aus Gründen, deren Entwicklung uns
hier zu weit führen würde, hatten die übrigen amerikanischen Staaten wenig
Neigung, darauf einzugehn.

Bald tauchte für diese Bestrebungen der Name „Panamerikanismus" auf.
Ein eifriger und einflußreicher Politiker der republikanischen Partei, Senator
Blaine (mehrmals Staatssekretär des Auswärtigen, auch Präsidentschaftskandidat),
betrieb sie lange Zeit. Er strebte einen engen Zusammenschluß ganz Amerikas
auf vielen Gebieten. Münze. Maß. Gewicht. Rechtsschutz. Schiedsgericht.
Monroedoktrin. vor allem aber gegenseitige Zollbcgünstigung an. Unter seiner
Ägide tagte 1889/90 ein panamerikanischer Kongreß in Washington. Er starb
im Januar 1893. doch blieb sein Gedanke am Leben, denn 1901/02 trat zum
zweitenmal in Mexiko. 1906 zum drittenmal in Rio de Janeiro ein solcher
Kongreß zusammen. Vorübergehend wurden ansehnliche Erfolge erreicht. Es
gelang Blaine. mit verschieden amerikanischen Staaten und sogar mit Kolonien
europäischer Mächte sogenannte Gegenseitigkeitsverträge abzuschließen, kraft denen
jene den Nordamerikanern und wiederum diese ihnen Zollermäßigungen zu¬
gestanden, an denen Europa keinen Anteil hatte. Die Kleinern fanden jedoch,
daß sie sich dabei nicht gut stünden, und so erloschen die Verträge allmählich
wieder, wozu auch beitrug, daß für 1892 bis 1896 die relativ freihändlerische
demokratische Partei in den Vereinigten Staaten ans Ruder gekommen war.

In den letzten Jahren ist der Panamerikanismus auch offiziell wieder
aufgenommen worden. Staatssekretär Rook benutzte die Abhaltung des pan¬
amerikanischen Kongresses in Rio de Janeiro, um eine Rundreise durch die
Hauptstädte der südumerikanischen Republiken zu machen. Überall wurde er
herzlich aufgenommen, besonders in der Kongreßstadt Rio de Janeiro, und hier
trug er auch einen realen Erfolg davon, einen neuen Gcgenseitigkeitsvertrag.
Vorläufig blieb dieser jedoch vereinzelt. Natürlich wurde in Europa das
Wiederaufleben der Versuche, die nordamerikanischen Erzeugnisse in andern
Teilen der westlichen Halbkugel zollpolitisch zu begünstigen, mißfällig auf¬
genommen. Es geschah jedoch nichts dagegen. Europa ist viel zu zersplittert,
als daß es sich zu gemeinsamen Schritten aufraffen könnte.

Spuren von Zusammenschlüssen Amerikas sind auch sonst noch hervor¬
getreten. Von Argentinien ging die Drago-Calvolehre aus: zum Grundsatz zu


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[0267] Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse Grund übertriebner Preise im Inlande ihren Überschuß erzwungen wohlfeil nach dem Auslande abstößt. Die mächtigen Trusts ziehen den Hauptvorteil aus dieser Politik. Sie sind es, die die Kassen der republikanischen Partei füllen und für die Propaganda durch Wort und Schrift unglaubliche Summen aufwenden. Sie sind dabei mit Noosevelt in Streit geraten, denn ihm wurde dieses System zu arg. Wohin sich der Sieg neigen wird, weiß man noch nicht. Der Drang nach Erwerbung solcher Märkte ist jahrzehntcalt. Er trat schon Ende der siebziger Jahre auf. und zwar als Versuch, die Monroelehre auch auf den Handel anzuwenden. Der europäische Handel sollte soweit wie möglich durch den amerikanischen ersetzt werden. Aus Gründen, deren Entwicklung uns hier zu weit führen würde, hatten die übrigen amerikanischen Staaten wenig Neigung, darauf einzugehn. Bald tauchte für diese Bestrebungen der Name „Panamerikanismus" auf. Ein eifriger und einflußreicher Politiker der republikanischen Partei, Senator Blaine (mehrmals Staatssekretär des Auswärtigen, auch Präsidentschaftskandidat), betrieb sie lange Zeit. Er strebte einen engen Zusammenschluß ganz Amerikas auf vielen Gebieten. Münze. Maß. Gewicht. Rechtsschutz. Schiedsgericht. Monroedoktrin. vor allem aber gegenseitige Zollbcgünstigung an. Unter seiner Ägide tagte 1889/90 ein panamerikanischer Kongreß in Washington. Er starb im Januar 1893. doch blieb sein Gedanke am Leben, denn 1901/02 trat zum zweitenmal in Mexiko. 1906 zum drittenmal in Rio de Janeiro ein solcher Kongreß zusammen. Vorübergehend wurden ansehnliche Erfolge erreicht. Es gelang Blaine. mit verschieden amerikanischen Staaten und sogar mit Kolonien europäischer Mächte sogenannte Gegenseitigkeitsverträge abzuschließen, kraft denen jene den Nordamerikanern und wiederum diese ihnen Zollermäßigungen zu¬ gestanden, an denen Europa keinen Anteil hatte. Die Kleinern fanden jedoch, daß sie sich dabei nicht gut stünden, und so erloschen die Verträge allmählich wieder, wozu auch beitrug, daß für 1892 bis 1896 die relativ freihändlerische demokratische Partei in den Vereinigten Staaten ans Ruder gekommen war. In den letzten Jahren ist der Panamerikanismus auch offiziell wieder aufgenommen worden. Staatssekretär Rook benutzte die Abhaltung des pan¬ amerikanischen Kongresses in Rio de Janeiro, um eine Rundreise durch die Hauptstädte der südumerikanischen Republiken zu machen. Überall wurde er herzlich aufgenommen, besonders in der Kongreßstadt Rio de Janeiro, und hier trug er auch einen realen Erfolg davon, einen neuen Gcgenseitigkeitsvertrag. Vorläufig blieb dieser jedoch vereinzelt. Natürlich wurde in Europa das Wiederaufleben der Versuche, die nordamerikanischen Erzeugnisse in andern Teilen der westlichen Halbkugel zollpolitisch zu begünstigen, mißfällig auf¬ genommen. Es geschah jedoch nichts dagegen. Europa ist viel zu zersplittert, als daß es sich zu gemeinsamen Schritten aufraffen könnte. Spuren von Zusammenschlüssen Amerikas sind auch sonst noch hervor¬ getreten. Von Argentinien ging die Drago-Calvolehre aus: zum Grundsatz zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/267>, abgerufen am 24.07.2024.