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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

demokratie. Einst waren die Angehörigen der Freisinnigen Volkspartei die starren
Prinzipienmänner, während die Freisinnige Vereinigung die opportunistische Richtung
darstellte. Jetzt ist es umgekehrt. Und ebenso gab es eine Zeit, wo die Gesinnungs¬
genossen des Dr. Barth die Kerntrupppe des Manchestertums bildeten; jetzt steht
diese Gruppe in ihren sozialpolitischen Anschauungen der Sozialdemokratie am nächsten.
Das sind scheinbar unverständliche Wandlungen, die sich doch bei näherer Kenntnis
sehr leicht aus dem Verlauf der politischen Entwicklung erklären. Der äußere Hergang
war bekanntlich der. daß sich im Jahre 1880 infolge der Bismarckischen Wirtschafts¬
politik aus der großen nationalliberalen Partei die Gruppe der Sezessionisten los¬
löste, die sich dann 1884 mit der alten Fortschrittspartei zu der deutschfreisinnigen
Partei verschmolz. Diese Partei fiel aber im Jahre 1893 wieder in die Freisinnige
Volkspartet und die Freisinnige Vereinigung auseinander, weil die Mitglieder der
ehemaligen Sezessioniftenpartei bei der Abstimmung über die Militärvorlage ihre
nationalliberale Vergangenheit nicht verleugnen konnten und wollten. Wenn aber
bei dieser Gelegenheit -- wie auch später bei Heer- und Flottenfragen -- die Volks¬
partei prinzipienstarr, die Vereinigung opportunistisch erschien, so lag das mehr an
den Persönlichkeiten und der geschichtlichen Entwicklung der Umstände als an dem
innern Wesen der Parteien. Denn die jetzige Freisinnige Vereinigung mit ihren
frühern Gestalten umfaßte von jeher die Elemente, deren Liberalismus weniger
w reinpolitischen als in wirtschaftlichen Überzeugungen wurzelte. Diese Überzeugungen
führten sie, als ihnen nach 1866 die Ziele von Bismarcks deutscher Politik klar
geworden waren, in der Zeit der Begründung und des ersten Aufbaus der deutschen
Einheit zu begeisterter Mitarbeit an Bismarcks Werk und im Schwunge dieser Be¬
geisterung auch zu stärkerer Betonung des nationalen Elements in ihrem Liberalis¬
mus. Das drückte sich in ihrem Anschluß an die Nationnlliberaleu aus, im Gegen¬
satz zu den Fortschrittlern, die die Sache des Liberalismus nur in der Erkämpfung
reinpolitischer Errungenschaften fördern zu können glaubten. Mit einer neuen Wen¬
dung der Wirtschaftspolitik wurde auch die Sezession zur Notwendigkeit, die dann
bald darauf die Vereinigung mit der Fortschrittspartei unter der Fahne des ent¬
schieden Liberalismus ermöglichte. Aber immer lag die Eigenheit dieser politischen
Gruppe darin, daß sie ihren Schwerpunkt auf wirtschaftlichem Gebiete fand. Und
dadurch wurde sie auch leichter als die Gruppe der alten Fortschrittler zu einer
wirtschaftlichen Interessenvertretung mit ausgesprochen kapitalistischen Charakter.
Es war die Partei der reichen Leute, die in dem alten Agrar- und Polizeistaat
nicht genug wirtschaftliche Bewegungsfreiheit fanden, während die Ideale der bürger¬
lichen Demokratie um des politischen Grundsatzes willen in der Freisinnigen Volks¬
partei gepflegt wurden. Daher der traditionelle Eigensinn dieser Partei in Heer-
und Flottenfragen, während die Freisinnige Vereinigung gerade in diesem Punkte
größeres Verständnis zeigte. Und mit diesem Wesensunterschied hängt es auch zu¬
sammen, daß die Vereinigung in sozialpolitischen Fragen radikaler wurde als die
Volkspartei, die den Unterschied zwischen Liberalismus und Sozialismus stets schärfer
empfand. Vom wirtschaftlichen Liberalismus zum Sozialismus ist der Schritt
kleiner als vom politischen aus. Die Theorie des Freihandels, der Gegensatz
gegen den Agrarstaat. die kapitalistische Abneigung gegen innere Kämpfe auf dem
eignen Interessengebiet -- das alles legte den Gedanken nahe: wir müssen uns
mit dem Sozialismus verständigen. Aber eben die Erfahrungen, die in diesem
Stadium der Dinge gemacht worden sind, haben auch wieder in beiden Richtungen
des entschiednen Liberalismus zu der Erkenntnis geführt, daß es auf dem bis¬
herigen Wege nicht geht, wenn der Liberalismus überhaupt wieder lebensfähig ge¬
macht werden soll. Der Wahlverein der Liberalen hat die "soziallibernlen" Dema¬
gogen, die sich an ihn gehängt hatten, wieder abgeschüttelt, und die Freisinnige


Grenzboten II 1908 32
Maßgebliches und Unmaßgebliches

demokratie. Einst waren die Angehörigen der Freisinnigen Volkspartei die starren
Prinzipienmänner, während die Freisinnige Vereinigung die opportunistische Richtung
darstellte. Jetzt ist es umgekehrt. Und ebenso gab es eine Zeit, wo die Gesinnungs¬
genossen des Dr. Barth die Kerntrupppe des Manchestertums bildeten; jetzt steht
diese Gruppe in ihren sozialpolitischen Anschauungen der Sozialdemokratie am nächsten.
Das sind scheinbar unverständliche Wandlungen, die sich doch bei näherer Kenntnis
sehr leicht aus dem Verlauf der politischen Entwicklung erklären. Der äußere Hergang
war bekanntlich der. daß sich im Jahre 1880 infolge der Bismarckischen Wirtschafts¬
politik aus der großen nationalliberalen Partei die Gruppe der Sezessionisten los¬
löste, die sich dann 1884 mit der alten Fortschrittspartei zu der deutschfreisinnigen
Partei verschmolz. Diese Partei fiel aber im Jahre 1893 wieder in die Freisinnige
Volkspartet und die Freisinnige Vereinigung auseinander, weil die Mitglieder der
ehemaligen Sezessioniftenpartei bei der Abstimmung über die Militärvorlage ihre
nationalliberale Vergangenheit nicht verleugnen konnten und wollten. Wenn aber
bei dieser Gelegenheit — wie auch später bei Heer- und Flottenfragen — die Volks¬
partei prinzipienstarr, die Vereinigung opportunistisch erschien, so lag das mehr an
den Persönlichkeiten und der geschichtlichen Entwicklung der Umstände als an dem
innern Wesen der Parteien. Denn die jetzige Freisinnige Vereinigung mit ihren
frühern Gestalten umfaßte von jeher die Elemente, deren Liberalismus weniger
w reinpolitischen als in wirtschaftlichen Überzeugungen wurzelte. Diese Überzeugungen
führten sie, als ihnen nach 1866 die Ziele von Bismarcks deutscher Politik klar
geworden waren, in der Zeit der Begründung und des ersten Aufbaus der deutschen
Einheit zu begeisterter Mitarbeit an Bismarcks Werk und im Schwunge dieser Be¬
geisterung auch zu stärkerer Betonung des nationalen Elements in ihrem Liberalis¬
mus. Das drückte sich in ihrem Anschluß an die Nationnlliberaleu aus, im Gegen¬
satz zu den Fortschrittlern, die die Sache des Liberalismus nur in der Erkämpfung
reinpolitischer Errungenschaften fördern zu können glaubten. Mit einer neuen Wen¬
dung der Wirtschaftspolitik wurde auch die Sezession zur Notwendigkeit, die dann
bald darauf die Vereinigung mit der Fortschrittspartei unter der Fahne des ent¬
schieden Liberalismus ermöglichte. Aber immer lag die Eigenheit dieser politischen
Gruppe darin, daß sie ihren Schwerpunkt auf wirtschaftlichem Gebiete fand. Und
dadurch wurde sie auch leichter als die Gruppe der alten Fortschrittler zu einer
wirtschaftlichen Interessenvertretung mit ausgesprochen kapitalistischen Charakter.
Es war die Partei der reichen Leute, die in dem alten Agrar- und Polizeistaat
nicht genug wirtschaftliche Bewegungsfreiheit fanden, während die Ideale der bürger¬
lichen Demokratie um des politischen Grundsatzes willen in der Freisinnigen Volks¬
partei gepflegt wurden. Daher der traditionelle Eigensinn dieser Partei in Heer-
und Flottenfragen, während die Freisinnige Vereinigung gerade in diesem Punkte
größeres Verständnis zeigte. Und mit diesem Wesensunterschied hängt es auch zu¬
sammen, daß die Vereinigung in sozialpolitischen Fragen radikaler wurde als die
Volkspartei, die den Unterschied zwischen Liberalismus und Sozialismus stets schärfer
empfand. Vom wirtschaftlichen Liberalismus zum Sozialismus ist der Schritt
kleiner als vom politischen aus. Die Theorie des Freihandels, der Gegensatz
gegen den Agrarstaat. die kapitalistische Abneigung gegen innere Kämpfe auf dem
eignen Interessengebiet — das alles legte den Gedanken nahe: wir müssen uns
mit dem Sozialismus verständigen. Aber eben die Erfahrungen, die in diesem
Stadium der Dinge gemacht worden sind, haben auch wieder in beiden Richtungen
des entschiednen Liberalismus zu der Erkenntnis geführt, daß es auf dem bis¬
herigen Wege nicht geht, wenn der Liberalismus überhaupt wieder lebensfähig ge¬
macht werden soll. Der Wahlverein der Liberalen hat die „soziallibernlen" Dema¬
gogen, die sich an ihn gehängt hatten, wieder abgeschüttelt, und die Freisinnige


Grenzboten II 1908 32
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[0253] Maßgebliches und Unmaßgebliches demokratie. Einst waren die Angehörigen der Freisinnigen Volkspartei die starren Prinzipienmänner, während die Freisinnige Vereinigung die opportunistische Richtung darstellte. Jetzt ist es umgekehrt. Und ebenso gab es eine Zeit, wo die Gesinnungs¬ genossen des Dr. Barth die Kerntrupppe des Manchestertums bildeten; jetzt steht diese Gruppe in ihren sozialpolitischen Anschauungen der Sozialdemokratie am nächsten. Das sind scheinbar unverständliche Wandlungen, die sich doch bei näherer Kenntnis sehr leicht aus dem Verlauf der politischen Entwicklung erklären. Der äußere Hergang war bekanntlich der. daß sich im Jahre 1880 infolge der Bismarckischen Wirtschafts¬ politik aus der großen nationalliberalen Partei die Gruppe der Sezessionisten los¬ löste, die sich dann 1884 mit der alten Fortschrittspartei zu der deutschfreisinnigen Partei verschmolz. Diese Partei fiel aber im Jahre 1893 wieder in die Freisinnige Volkspartet und die Freisinnige Vereinigung auseinander, weil die Mitglieder der ehemaligen Sezessioniftenpartei bei der Abstimmung über die Militärvorlage ihre nationalliberale Vergangenheit nicht verleugnen konnten und wollten. Wenn aber bei dieser Gelegenheit — wie auch später bei Heer- und Flottenfragen — die Volks¬ partei prinzipienstarr, die Vereinigung opportunistisch erschien, so lag das mehr an den Persönlichkeiten und der geschichtlichen Entwicklung der Umstände als an dem innern Wesen der Parteien. Denn die jetzige Freisinnige Vereinigung mit ihren frühern Gestalten umfaßte von jeher die Elemente, deren Liberalismus weniger w reinpolitischen als in wirtschaftlichen Überzeugungen wurzelte. Diese Überzeugungen führten sie, als ihnen nach 1866 die Ziele von Bismarcks deutscher Politik klar geworden waren, in der Zeit der Begründung und des ersten Aufbaus der deutschen Einheit zu begeisterter Mitarbeit an Bismarcks Werk und im Schwunge dieser Be¬ geisterung auch zu stärkerer Betonung des nationalen Elements in ihrem Liberalis¬ mus. Das drückte sich in ihrem Anschluß an die Nationnlliberaleu aus, im Gegen¬ satz zu den Fortschrittlern, die die Sache des Liberalismus nur in der Erkämpfung reinpolitischer Errungenschaften fördern zu können glaubten. Mit einer neuen Wen¬ dung der Wirtschaftspolitik wurde auch die Sezession zur Notwendigkeit, die dann bald darauf die Vereinigung mit der Fortschrittspartei unter der Fahne des ent¬ schieden Liberalismus ermöglichte. Aber immer lag die Eigenheit dieser politischen Gruppe darin, daß sie ihren Schwerpunkt auf wirtschaftlichem Gebiete fand. Und dadurch wurde sie auch leichter als die Gruppe der alten Fortschrittler zu einer wirtschaftlichen Interessenvertretung mit ausgesprochen kapitalistischen Charakter. Es war die Partei der reichen Leute, die in dem alten Agrar- und Polizeistaat nicht genug wirtschaftliche Bewegungsfreiheit fanden, während die Ideale der bürger¬ lichen Demokratie um des politischen Grundsatzes willen in der Freisinnigen Volks¬ partei gepflegt wurden. Daher der traditionelle Eigensinn dieser Partei in Heer- und Flottenfragen, während die Freisinnige Vereinigung gerade in diesem Punkte größeres Verständnis zeigte. Und mit diesem Wesensunterschied hängt es auch zu¬ sammen, daß die Vereinigung in sozialpolitischen Fragen radikaler wurde als die Volkspartei, die den Unterschied zwischen Liberalismus und Sozialismus stets schärfer empfand. Vom wirtschaftlichen Liberalismus zum Sozialismus ist der Schritt kleiner als vom politischen aus. Die Theorie des Freihandels, der Gegensatz gegen den Agrarstaat. die kapitalistische Abneigung gegen innere Kämpfe auf dem eignen Interessengebiet — das alles legte den Gedanken nahe: wir müssen uns mit dem Sozialismus verständigen. Aber eben die Erfahrungen, die in diesem Stadium der Dinge gemacht worden sind, haben auch wieder in beiden Richtungen des entschiednen Liberalismus zu der Erkenntnis geführt, daß es auf dem bis¬ herigen Wege nicht geht, wenn der Liberalismus überhaupt wieder lebensfähig ge¬ macht werden soll. Der Wahlverein der Liberalen hat die „soziallibernlen" Dema¬ gogen, die sich an ihn gehängt hatten, wieder abgeschüttelt, und die Freisinnige Grenzboten II 1908 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/253>, abgerufen am 24.07.2024.