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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin pauline zur Lippe

Töchter hätte -- auch ein wunderliches Wort aus dem Munde einer neunzehn¬
jährigen Weisheit --, so wurde sie ihnen zwar Talente geben, aber heimlich,
ohne daß es jemand erführe, damit sie dereinst ihre Gatten überraschen könnten,
wenn Hymen das Band der Liebe schon fest gewunden, um sie so zu über¬
zeugen, daß sie sich diese Vollkommenheit allein für sie erwarben.

Eine Emanzipierte -- das erkennt man deutlich -- ist Pauline nicht,
trotz ihrer ernsten Denkart und ihrer weit über das Durchschnittsmaß der da¬
maligen Mädchenbildung hinausgehenden Kenntnisse. Die Frau scheint für sie
nur dazu da zu sein, dem Gatten die Sorgen von der Stirn fortzuscheuchen
und ihm die Häuslichkeit so angenehm wie möglich zu machen. Doch für die
höhern Stunde läßt sie eine Ausnahme gelten. Fast wie wenn sie ihr künf¬
tiges Schicksal voraussähe, wirft sie die Frage auf, ob ein Frauenzimmer mit
hervorstechenden Talenten, aber mit einem ungebildeten Herzen zur Ratgeberin,
zur Erzieherin, zur Vormünderin und endlich -- zur Regentin geschickt sein
könne. Pauline war nicht nur klug und geistvoll, sondern auch eine sehr an¬
mutige Erscheinung mit feinem, regelmäßigem Gesicht und kräftig gezeichneten
Brauen, unter denen ein Paar wundervolle Augen offen und frei in die Welt
blicken. Nur ihre Gestalt neigte schon in der Jugend etwas zur Fülle, und
später machte sie sich gern selbst über ihr Embonpoint lustig. Sie war einund¬
zwanzig Jahre alt, als sich ihr zum erstenmal ein Freier mit ernsten Absichten
näherte. Es war der junge Fürst Leopold zur Lippe-Detmold, der von Leipzig,
wo er studierte, immer in den Ferien nach Ballenstedt herüberkam und von
dem Vater und dessen Ratgebern sehr begünstigt wurde. Paulinen dagegen
gefiel er gar nicht, sein wenig anziehendes Äußere flößte ihr geradezu Wider¬
willen ein. Sie fand ihn auch willensschwach und geistig unbedeutend, sodaß
er völlig dem Idealbilds widersprach, das sie sich von ihrem künftigen Gatten
entworfen hatte. Zu diesem Manne konnte sie nicht mit Verehrung und un¬
beschränkten? Gehorsam emporschauen, sie fühlte sich ihm überlegen. Trotzdem
war sie schon beinahe entschlossen, dem Drängen ihres Vaters nachzugeben, als
sie auch über das sittliche Verhalten des jungen Fürsten sehr ungünstiges erfuhr.
Man sagte zwar, er habe sich aus Liebe zu ihr schon gebessert, und seine
Tugend stehe uun desto fester. Aber das streng denkende Mädchen ließ sich
nicht überreden, dieser Freier war abgetan. Bald darauf machte der Detmolder
so törichte Streiche und verfiel in eine so schwere Gemütskrankheit, daß er ent¬
mündigt werden mußte. Bekanntlich ist auch sein Enkel, der letzte seines Stammes,
vor einigen Jahren in einer Heilanstalt gestorben.

Von dieser Seite hatte Pauline nun Ruhe, und einen köstlichen Gewinn
hatte ihr die leidige Angelegenheit noch dazu eingetragen: eine Herzens- und
Seelenfreundschaft mit einem gleichgesinnten Gefährten, in der sich ihr schwärme¬
risches Empfinden voll ausleben konnte. Der damalige Erbprinz, spätere Herzog
Friedrich - Christian vou Augustenburg war ihr kein Fremder. Die frühver¬
storbnen Mütter der beiden waren Schwestern gewesen. Der Prinz hatte als


Fürstin pauline zur Lippe

Töchter hätte — auch ein wunderliches Wort aus dem Munde einer neunzehn¬
jährigen Weisheit —, so wurde sie ihnen zwar Talente geben, aber heimlich,
ohne daß es jemand erführe, damit sie dereinst ihre Gatten überraschen könnten,
wenn Hymen das Band der Liebe schon fest gewunden, um sie so zu über¬
zeugen, daß sie sich diese Vollkommenheit allein für sie erwarben.

Eine Emanzipierte — das erkennt man deutlich — ist Pauline nicht,
trotz ihrer ernsten Denkart und ihrer weit über das Durchschnittsmaß der da¬
maligen Mädchenbildung hinausgehenden Kenntnisse. Die Frau scheint für sie
nur dazu da zu sein, dem Gatten die Sorgen von der Stirn fortzuscheuchen
und ihm die Häuslichkeit so angenehm wie möglich zu machen. Doch für die
höhern Stunde läßt sie eine Ausnahme gelten. Fast wie wenn sie ihr künf¬
tiges Schicksal voraussähe, wirft sie die Frage auf, ob ein Frauenzimmer mit
hervorstechenden Talenten, aber mit einem ungebildeten Herzen zur Ratgeberin,
zur Erzieherin, zur Vormünderin und endlich — zur Regentin geschickt sein
könne. Pauline war nicht nur klug und geistvoll, sondern auch eine sehr an¬
mutige Erscheinung mit feinem, regelmäßigem Gesicht und kräftig gezeichneten
Brauen, unter denen ein Paar wundervolle Augen offen und frei in die Welt
blicken. Nur ihre Gestalt neigte schon in der Jugend etwas zur Fülle, und
später machte sie sich gern selbst über ihr Embonpoint lustig. Sie war einund¬
zwanzig Jahre alt, als sich ihr zum erstenmal ein Freier mit ernsten Absichten
näherte. Es war der junge Fürst Leopold zur Lippe-Detmold, der von Leipzig,
wo er studierte, immer in den Ferien nach Ballenstedt herüberkam und von
dem Vater und dessen Ratgebern sehr begünstigt wurde. Paulinen dagegen
gefiel er gar nicht, sein wenig anziehendes Äußere flößte ihr geradezu Wider¬
willen ein. Sie fand ihn auch willensschwach und geistig unbedeutend, sodaß
er völlig dem Idealbilds widersprach, das sie sich von ihrem künftigen Gatten
entworfen hatte. Zu diesem Manne konnte sie nicht mit Verehrung und un¬
beschränkten? Gehorsam emporschauen, sie fühlte sich ihm überlegen. Trotzdem
war sie schon beinahe entschlossen, dem Drängen ihres Vaters nachzugeben, als
sie auch über das sittliche Verhalten des jungen Fürsten sehr ungünstiges erfuhr.
Man sagte zwar, er habe sich aus Liebe zu ihr schon gebessert, und seine
Tugend stehe uun desto fester. Aber das streng denkende Mädchen ließ sich
nicht überreden, dieser Freier war abgetan. Bald darauf machte der Detmolder
so törichte Streiche und verfiel in eine so schwere Gemütskrankheit, daß er ent¬
mündigt werden mußte. Bekanntlich ist auch sein Enkel, der letzte seines Stammes,
vor einigen Jahren in einer Heilanstalt gestorben.

Von dieser Seite hatte Pauline nun Ruhe, und einen köstlichen Gewinn
hatte ihr die leidige Angelegenheit noch dazu eingetragen: eine Herzens- und
Seelenfreundschaft mit einem gleichgesinnten Gefährten, in der sich ihr schwärme¬
risches Empfinden voll ausleben konnte. Der damalige Erbprinz, spätere Herzog
Friedrich - Christian vou Augustenburg war ihr kein Fremder. Die frühver¬
storbnen Mütter der beiden waren Schwestern gewesen. Der Prinz hatte als


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[0238] Fürstin pauline zur Lippe Töchter hätte — auch ein wunderliches Wort aus dem Munde einer neunzehn¬ jährigen Weisheit —, so wurde sie ihnen zwar Talente geben, aber heimlich, ohne daß es jemand erführe, damit sie dereinst ihre Gatten überraschen könnten, wenn Hymen das Band der Liebe schon fest gewunden, um sie so zu über¬ zeugen, daß sie sich diese Vollkommenheit allein für sie erwarben. Eine Emanzipierte — das erkennt man deutlich — ist Pauline nicht, trotz ihrer ernsten Denkart und ihrer weit über das Durchschnittsmaß der da¬ maligen Mädchenbildung hinausgehenden Kenntnisse. Die Frau scheint für sie nur dazu da zu sein, dem Gatten die Sorgen von der Stirn fortzuscheuchen und ihm die Häuslichkeit so angenehm wie möglich zu machen. Doch für die höhern Stunde läßt sie eine Ausnahme gelten. Fast wie wenn sie ihr künf¬ tiges Schicksal voraussähe, wirft sie die Frage auf, ob ein Frauenzimmer mit hervorstechenden Talenten, aber mit einem ungebildeten Herzen zur Ratgeberin, zur Erzieherin, zur Vormünderin und endlich — zur Regentin geschickt sein könne. Pauline war nicht nur klug und geistvoll, sondern auch eine sehr an¬ mutige Erscheinung mit feinem, regelmäßigem Gesicht und kräftig gezeichneten Brauen, unter denen ein Paar wundervolle Augen offen und frei in die Welt blicken. Nur ihre Gestalt neigte schon in der Jugend etwas zur Fülle, und später machte sie sich gern selbst über ihr Embonpoint lustig. Sie war einund¬ zwanzig Jahre alt, als sich ihr zum erstenmal ein Freier mit ernsten Absichten näherte. Es war der junge Fürst Leopold zur Lippe-Detmold, der von Leipzig, wo er studierte, immer in den Ferien nach Ballenstedt herüberkam und von dem Vater und dessen Ratgebern sehr begünstigt wurde. Paulinen dagegen gefiel er gar nicht, sein wenig anziehendes Äußere flößte ihr geradezu Wider¬ willen ein. Sie fand ihn auch willensschwach und geistig unbedeutend, sodaß er völlig dem Idealbilds widersprach, das sie sich von ihrem künftigen Gatten entworfen hatte. Zu diesem Manne konnte sie nicht mit Verehrung und un¬ beschränkten? Gehorsam emporschauen, sie fühlte sich ihm überlegen. Trotzdem war sie schon beinahe entschlossen, dem Drängen ihres Vaters nachzugeben, als sie auch über das sittliche Verhalten des jungen Fürsten sehr ungünstiges erfuhr. Man sagte zwar, er habe sich aus Liebe zu ihr schon gebessert, und seine Tugend stehe uun desto fester. Aber das streng denkende Mädchen ließ sich nicht überreden, dieser Freier war abgetan. Bald darauf machte der Detmolder so törichte Streiche und verfiel in eine so schwere Gemütskrankheit, daß er ent¬ mündigt werden mußte. Bekanntlich ist auch sein Enkel, der letzte seines Stammes, vor einigen Jahren in einer Heilanstalt gestorben. Von dieser Seite hatte Pauline nun Ruhe, und einen köstlichen Gewinn hatte ihr die leidige Angelegenheit noch dazu eingetragen: eine Herzens- und Seelenfreundschaft mit einem gleichgesinnten Gefährten, in der sich ihr schwärme¬ risches Empfinden voll ausleben konnte. Der damalige Erbprinz, spätere Herzog Friedrich - Christian vou Augustenburg war ihr kein Fremder. Die frühver¬ storbnen Mütter der beiden waren Schwestern gewesen. Der Prinz hatte als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/238>, abgerufen am 24.07.2024.