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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin Pauline zur Lippe

der Königin Luise -- einen recht flüssigen und gewandten Stil, und ein liebens¬
würdiger Geist, ein für das Wohl der Menschheit warmfühlendes Herz leuchtet
überall hindurch. Wenn der Tanz selten und mäßig genossen wird, hält sie
ihn für eine ganz heilsame körperliche Bewegung und macht deshalb den selt¬
samen Vorschlag, "Frauenzimmerbälle" zu veranstalten. Denn der Tanz mit
Männern schadet der weiblichen Schamhaftigkeit und Sittsamkeit, das Blut
gerät in Wallung, Triebe erwachen, die sonst tief in der Seele verborgen sind,
Eitelkeit und Gefallsucht werden gefördert. Dabei will sie nicht einmal von
"dem frechen und sinnlichen Tanz der Deutschen" reden -- sie meint den
Walzer, der sich damals immer mehr in der Gesellschaft Eingang verschaffte.
Ein Frauenzimmer, das diesen oft mit einem ihr nicht unangenehmen Lieb¬
haber tanzt, gibt sie schon halb verloren: "denn mit welchem Mut wird sie
dem Manne etwas versagen, der sie im Augenblick vorher an sein laut
klopfendes Herz drückte, dessen Arme voll kochenden Blutes sie fest umfaßten
und wild im rauschenden Wirbeltanze drehten." Man sieht, Pauline steuert
ganz im Fahrwasser jener Sittenschildrer aus der Schule Richardsons, die, um
ihren Lehrsatz zu beweisen, auch vor der Ausmalung des Verfänglichen und
Häßlichen nicht zurückschrecken. Wie merkwürdig, wenn eine Neunzehnjährige
von "dem wollüstigen Kitzel" redet, den der Tanz bei Männern erweckt, oder
von dem schmeichelnden Verführer, der das durch den Tanz, vielleicht auch noch
durch Weingenuß aufgeregte Mädchen nach Hause begleitet und in der ein¬
samen Stille der Nacht ihren keuschen Widerstand besiegt! Kopfschüttelnd fragt
man sich, wo eine junge durch die Etikette sorgsam behütete Prinzessin solche
Beobachtungen gemacht haben kann, und man wird wieder auf jene moralischen
Familienromane hinweisen müssen, die in ihrem Streben nach anschaulicher
Belehrung soviel Unnatürliches und Gekünsteltes bringen.

Paulinens Aufsatz erschien ohne ihren Namen in einem von einem wohl¬
meinenden Theologen herausgegebnen "Jahrbuch für die Menschheit". Sie
lieferte dafür noch einen zweiten Beitrag mit der Überschrift "Über die jetzt
allgemeine Gewohnheit, jungen Frauenzimmern Talente zu geben" und entsprach
so vortrefflich dem Zweck jener Zeitschrift, die es sich zur Aufgabe gemacht
hatte, "die häusliche Erziehung, die häusliche Glückseligkeit und die praktische
Menschenkenntnis zu fördern". Dieser zweite Aufsatz mutet uns natürlicher
an, er enthält manchen beherzigenswerten Gedanken. Pauline ist keine ausge-
sprochue Gegnerin des Zeichnens und der Musik und wendet sich nur gegen
die Modetorheit, das, was nur eine Nebenbeschäftigung, eine kleine Annehm¬
lichkeit des Lebens sein soll, auf Kosten der häuslichen Pflichten zur Haupt¬
sache zu machen. Besonders für die niedern und mittlern Stände gilt das.
Denn hier hängt das ganze Glück und die Vermögenserhaltung des Mannes
von dem Fleiß und dem Ordnungssinn der Frau ab. Durchaus verwerflich
aber erscheint es ihr, mit diesen kleinen Talenten vor der Öffentlichkeit zu
Prunken oder sie gar als Lockmittel für die Männer zu benutzen. Wenn sie


Grenzboten II 1908 30
Fürstin Pauline zur Lippe

der Königin Luise — einen recht flüssigen und gewandten Stil, und ein liebens¬
würdiger Geist, ein für das Wohl der Menschheit warmfühlendes Herz leuchtet
überall hindurch. Wenn der Tanz selten und mäßig genossen wird, hält sie
ihn für eine ganz heilsame körperliche Bewegung und macht deshalb den selt¬
samen Vorschlag, „Frauenzimmerbälle" zu veranstalten. Denn der Tanz mit
Männern schadet der weiblichen Schamhaftigkeit und Sittsamkeit, das Blut
gerät in Wallung, Triebe erwachen, die sonst tief in der Seele verborgen sind,
Eitelkeit und Gefallsucht werden gefördert. Dabei will sie nicht einmal von
„dem frechen und sinnlichen Tanz der Deutschen" reden — sie meint den
Walzer, der sich damals immer mehr in der Gesellschaft Eingang verschaffte.
Ein Frauenzimmer, das diesen oft mit einem ihr nicht unangenehmen Lieb¬
haber tanzt, gibt sie schon halb verloren: „denn mit welchem Mut wird sie
dem Manne etwas versagen, der sie im Augenblick vorher an sein laut
klopfendes Herz drückte, dessen Arme voll kochenden Blutes sie fest umfaßten
und wild im rauschenden Wirbeltanze drehten." Man sieht, Pauline steuert
ganz im Fahrwasser jener Sittenschildrer aus der Schule Richardsons, die, um
ihren Lehrsatz zu beweisen, auch vor der Ausmalung des Verfänglichen und
Häßlichen nicht zurückschrecken. Wie merkwürdig, wenn eine Neunzehnjährige
von „dem wollüstigen Kitzel" redet, den der Tanz bei Männern erweckt, oder
von dem schmeichelnden Verführer, der das durch den Tanz, vielleicht auch noch
durch Weingenuß aufgeregte Mädchen nach Hause begleitet und in der ein¬
samen Stille der Nacht ihren keuschen Widerstand besiegt! Kopfschüttelnd fragt
man sich, wo eine junge durch die Etikette sorgsam behütete Prinzessin solche
Beobachtungen gemacht haben kann, und man wird wieder auf jene moralischen
Familienromane hinweisen müssen, die in ihrem Streben nach anschaulicher
Belehrung soviel Unnatürliches und Gekünsteltes bringen.

Paulinens Aufsatz erschien ohne ihren Namen in einem von einem wohl¬
meinenden Theologen herausgegebnen „Jahrbuch für die Menschheit". Sie
lieferte dafür noch einen zweiten Beitrag mit der Überschrift „Über die jetzt
allgemeine Gewohnheit, jungen Frauenzimmern Talente zu geben" und entsprach
so vortrefflich dem Zweck jener Zeitschrift, die es sich zur Aufgabe gemacht
hatte, „die häusliche Erziehung, die häusliche Glückseligkeit und die praktische
Menschenkenntnis zu fördern". Dieser zweite Aufsatz mutet uns natürlicher
an, er enthält manchen beherzigenswerten Gedanken. Pauline ist keine ausge-
sprochue Gegnerin des Zeichnens und der Musik und wendet sich nur gegen
die Modetorheit, das, was nur eine Nebenbeschäftigung, eine kleine Annehm¬
lichkeit des Lebens sein soll, auf Kosten der häuslichen Pflichten zur Haupt¬
sache zu machen. Besonders für die niedern und mittlern Stände gilt das.
Denn hier hängt das ganze Glück und die Vermögenserhaltung des Mannes
von dem Fleiß und dem Ordnungssinn der Frau ab. Durchaus verwerflich
aber erscheint es ihr, mit diesen kleinen Talenten vor der Öffentlichkeit zu
Prunken oder sie gar als Lockmittel für die Männer zu benutzen. Wenn sie


Grenzboten II 1908 30
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[0237] Fürstin Pauline zur Lippe der Königin Luise — einen recht flüssigen und gewandten Stil, und ein liebens¬ würdiger Geist, ein für das Wohl der Menschheit warmfühlendes Herz leuchtet überall hindurch. Wenn der Tanz selten und mäßig genossen wird, hält sie ihn für eine ganz heilsame körperliche Bewegung und macht deshalb den selt¬ samen Vorschlag, „Frauenzimmerbälle" zu veranstalten. Denn der Tanz mit Männern schadet der weiblichen Schamhaftigkeit und Sittsamkeit, das Blut gerät in Wallung, Triebe erwachen, die sonst tief in der Seele verborgen sind, Eitelkeit und Gefallsucht werden gefördert. Dabei will sie nicht einmal von „dem frechen und sinnlichen Tanz der Deutschen" reden — sie meint den Walzer, der sich damals immer mehr in der Gesellschaft Eingang verschaffte. Ein Frauenzimmer, das diesen oft mit einem ihr nicht unangenehmen Lieb¬ haber tanzt, gibt sie schon halb verloren: „denn mit welchem Mut wird sie dem Manne etwas versagen, der sie im Augenblick vorher an sein laut klopfendes Herz drückte, dessen Arme voll kochenden Blutes sie fest umfaßten und wild im rauschenden Wirbeltanze drehten." Man sieht, Pauline steuert ganz im Fahrwasser jener Sittenschildrer aus der Schule Richardsons, die, um ihren Lehrsatz zu beweisen, auch vor der Ausmalung des Verfänglichen und Häßlichen nicht zurückschrecken. Wie merkwürdig, wenn eine Neunzehnjährige von „dem wollüstigen Kitzel" redet, den der Tanz bei Männern erweckt, oder von dem schmeichelnden Verführer, der das durch den Tanz, vielleicht auch noch durch Weingenuß aufgeregte Mädchen nach Hause begleitet und in der ein¬ samen Stille der Nacht ihren keuschen Widerstand besiegt! Kopfschüttelnd fragt man sich, wo eine junge durch die Etikette sorgsam behütete Prinzessin solche Beobachtungen gemacht haben kann, und man wird wieder auf jene moralischen Familienromane hinweisen müssen, die in ihrem Streben nach anschaulicher Belehrung soviel Unnatürliches und Gekünsteltes bringen. Paulinens Aufsatz erschien ohne ihren Namen in einem von einem wohl¬ meinenden Theologen herausgegebnen „Jahrbuch für die Menschheit". Sie lieferte dafür noch einen zweiten Beitrag mit der Überschrift „Über die jetzt allgemeine Gewohnheit, jungen Frauenzimmern Talente zu geben" und entsprach so vortrefflich dem Zweck jener Zeitschrift, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, „die häusliche Erziehung, die häusliche Glückseligkeit und die praktische Menschenkenntnis zu fördern". Dieser zweite Aufsatz mutet uns natürlicher an, er enthält manchen beherzigenswerten Gedanken. Pauline ist keine ausge- sprochue Gegnerin des Zeichnens und der Musik und wendet sich nur gegen die Modetorheit, das, was nur eine Nebenbeschäftigung, eine kleine Annehm¬ lichkeit des Lebens sein soll, auf Kosten der häuslichen Pflichten zur Haupt¬ sache zu machen. Besonders für die niedern und mittlern Stände gilt das. Denn hier hängt das ganze Glück und die Vermögenserhaltung des Mannes von dem Fleiß und dem Ordnungssinn der Frau ab. Durchaus verwerflich aber erscheint es ihr, mit diesen kleinen Talenten vor der Öffentlichkeit zu Prunken oder sie gar als Lockmittel für die Männer zu benutzen. Wenn sie Grenzboten II 1908 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/237>, abgerufen am 24.07.2024.