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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Baubureaukratismns und seine kunstfeindliche Tendenz

Baupläne sowie die behördliche Bautätigkeit hab allenthalben Zwangsvorbilder
geschaffen, die in der ganzen heutigen Kulturwelt als unerträgliche Öde und
Häßlichkeit empfunden werden. Ein Vergleich der künstlerischen Baugesinnung
des achtzehnten Jahrhunderts mit der bureaukratischen Baugesinnung des neun¬
zehnten Jahrhunderts drängt sich auf Schritt und Tritt auf und offenbart den
ästhetischen Niedergang unsrer Zeit. Was unsre Städte an künstlerischer Bau¬
schönheit bergen, entstammt der ältern Zeit. Es sind Werte, die jahrhunderte¬
lang ihre Anziehungskraft bewahrt haben und die Menschheit ewig um sich,
versammeln und mit Freude erfüllen werden. Was diese Städte an abstoßenden
schematischen Bauerscheinungen aufweisen, entstammt unserm bureaukratischen
neunzehnten Jahrhundert und wird ewig eine Quelle des Verdrusses sein. Es
ist unberechenbar, was etwa eine Stadt wie Dresden der künstlerischen Bau¬
gesinnung eines August des Starken wirtschaftlich und ästhetisch verdankt. Un¬
aufhörlich und mit unerschöpflicher Ergiebigkeit fließen diese Quellen. Der Verlust
wäre unberechenbar, den Dresden ohne die glorreiche Baugesinnung Augusts des
Starken tragen müßte. Überall liegt die drohende Gefahr nahe, daß die Städte
einmal bei dem Fortschreiten einer unkünstlerischen Baugesinnung aufhören müssen,
die gepriesnen Orte der Schönheit und Wohnlichkeit zu bleiben und deshalb
auch wirtschaftlich sinken müssen.

Der vollständige Mangel an künstlerischem Empfinden ist die Folge einer
bureaukratischen Praxis, die jede persönliche Initiative unterbindet. Wenn auf
diesem Wege einmal ein wirklich origineller Entwurf zustande kommen könnte,
würde es wenig bedeuten, weil der ästhetische Wert einer künstlerischen Schöpfung
nicht allein von dem vorzüglichen Entwurf, sondern auch von der materialechten
vorzüglichen Bauausführung abhängt, die niemals ganz billig sein kann, und
die bei dem falschen Sparsystem der bureaukratischen Baupraxis meist ganz aus¬
geschlossen ist.

Das meiste, was die Neuzeit an künstlerisch hervorragenden Bauwerken
hervorgebracht hat, ist nicht von den behördlichen Baubureaux, sondern von
der privaten Baukünstlerschaft geschaffen worden. Aus wirtschaftlichen und
künstlerischen Gründen muß man deshalb verlangen, daß die hervorragendsten
und tüchtigsten Baukttnstler einer Stadt und eines Landes mit den Bauausgaben
betraut werden, die der Staat und die Städte zu vergeben haben. Diese Forderung
beruht auf folgenden Erwägungen: Es ist für die wirtschaftliche und geistige
Entwicklung keineswegs gleichgiltig. wie es mit dem Bauen unsrer Zeit bestellt
ist. Nachdem die Erfahrung gezeigt hat, daß von Amts wegen nicht Kunst
hervorgebracht werden kann, und da nach allgemeiner Erkenntnis der dauernde
Vauwert nur in seinen künstlerischen und qualitativen Eigenschaften besteht,
so ergibt sich ohne weiteres, daß die Baubehörden berufne freie Baukünstler
heranziehen und ihnen die Bauaufträge übertragen müssen. Die bestehenden
Baubureaux sollten nicht erweitert, sondern in bloße Rechnungsbureaux um¬
gewandelt werden. Als solche wären sie berufen, den mit öffentlichen Bau-


Der Baubureaukratismns und seine kunstfeindliche Tendenz

Baupläne sowie die behördliche Bautätigkeit hab allenthalben Zwangsvorbilder
geschaffen, die in der ganzen heutigen Kulturwelt als unerträgliche Öde und
Häßlichkeit empfunden werden. Ein Vergleich der künstlerischen Baugesinnung
des achtzehnten Jahrhunderts mit der bureaukratischen Baugesinnung des neun¬
zehnten Jahrhunderts drängt sich auf Schritt und Tritt auf und offenbart den
ästhetischen Niedergang unsrer Zeit. Was unsre Städte an künstlerischer Bau¬
schönheit bergen, entstammt der ältern Zeit. Es sind Werte, die jahrhunderte¬
lang ihre Anziehungskraft bewahrt haben und die Menschheit ewig um sich,
versammeln und mit Freude erfüllen werden. Was diese Städte an abstoßenden
schematischen Bauerscheinungen aufweisen, entstammt unserm bureaukratischen
neunzehnten Jahrhundert und wird ewig eine Quelle des Verdrusses sein. Es
ist unberechenbar, was etwa eine Stadt wie Dresden der künstlerischen Bau¬
gesinnung eines August des Starken wirtschaftlich und ästhetisch verdankt. Un¬
aufhörlich und mit unerschöpflicher Ergiebigkeit fließen diese Quellen. Der Verlust
wäre unberechenbar, den Dresden ohne die glorreiche Baugesinnung Augusts des
Starken tragen müßte. Überall liegt die drohende Gefahr nahe, daß die Städte
einmal bei dem Fortschreiten einer unkünstlerischen Baugesinnung aufhören müssen,
die gepriesnen Orte der Schönheit und Wohnlichkeit zu bleiben und deshalb
auch wirtschaftlich sinken müssen.

Der vollständige Mangel an künstlerischem Empfinden ist die Folge einer
bureaukratischen Praxis, die jede persönliche Initiative unterbindet. Wenn auf
diesem Wege einmal ein wirklich origineller Entwurf zustande kommen könnte,
würde es wenig bedeuten, weil der ästhetische Wert einer künstlerischen Schöpfung
nicht allein von dem vorzüglichen Entwurf, sondern auch von der materialechten
vorzüglichen Bauausführung abhängt, die niemals ganz billig sein kann, und
die bei dem falschen Sparsystem der bureaukratischen Baupraxis meist ganz aus¬
geschlossen ist.

Das meiste, was die Neuzeit an künstlerisch hervorragenden Bauwerken
hervorgebracht hat, ist nicht von den behördlichen Baubureaux, sondern von
der privaten Baukünstlerschaft geschaffen worden. Aus wirtschaftlichen und
künstlerischen Gründen muß man deshalb verlangen, daß die hervorragendsten
und tüchtigsten Baukttnstler einer Stadt und eines Landes mit den Bauausgaben
betraut werden, die der Staat und die Städte zu vergeben haben. Diese Forderung
beruht auf folgenden Erwägungen: Es ist für die wirtschaftliche und geistige
Entwicklung keineswegs gleichgiltig. wie es mit dem Bauen unsrer Zeit bestellt
ist. Nachdem die Erfahrung gezeigt hat, daß von Amts wegen nicht Kunst
hervorgebracht werden kann, und da nach allgemeiner Erkenntnis der dauernde
Vauwert nur in seinen künstlerischen und qualitativen Eigenschaften besteht,
so ergibt sich ohne weiteres, daß die Baubehörden berufne freie Baukünstler
heranziehen und ihnen die Bauaufträge übertragen müssen. Die bestehenden
Baubureaux sollten nicht erweitert, sondern in bloße Rechnungsbureaux um¬
gewandelt werden. Als solche wären sie berufen, den mit öffentlichen Bau-


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[0233] Der Baubureaukratismns und seine kunstfeindliche Tendenz Baupläne sowie die behördliche Bautätigkeit hab allenthalben Zwangsvorbilder geschaffen, die in der ganzen heutigen Kulturwelt als unerträgliche Öde und Häßlichkeit empfunden werden. Ein Vergleich der künstlerischen Baugesinnung des achtzehnten Jahrhunderts mit der bureaukratischen Baugesinnung des neun¬ zehnten Jahrhunderts drängt sich auf Schritt und Tritt auf und offenbart den ästhetischen Niedergang unsrer Zeit. Was unsre Städte an künstlerischer Bau¬ schönheit bergen, entstammt der ältern Zeit. Es sind Werte, die jahrhunderte¬ lang ihre Anziehungskraft bewahrt haben und die Menschheit ewig um sich, versammeln und mit Freude erfüllen werden. Was diese Städte an abstoßenden schematischen Bauerscheinungen aufweisen, entstammt unserm bureaukratischen neunzehnten Jahrhundert und wird ewig eine Quelle des Verdrusses sein. Es ist unberechenbar, was etwa eine Stadt wie Dresden der künstlerischen Bau¬ gesinnung eines August des Starken wirtschaftlich und ästhetisch verdankt. Un¬ aufhörlich und mit unerschöpflicher Ergiebigkeit fließen diese Quellen. Der Verlust wäre unberechenbar, den Dresden ohne die glorreiche Baugesinnung Augusts des Starken tragen müßte. Überall liegt die drohende Gefahr nahe, daß die Städte einmal bei dem Fortschreiten einer unkünstlerischen Baugesinnung aufhören müssen, die gepriesnen Orte der Schönheit und Wohnlichkeit zu bleiben und deshalb auch wirtschaftlich sinken müssen. Der vollständige Mangel an künstlerischem Empfinden ist die Folge einer bureaukratischen Praxis, die jede persönliche Initiative unterbindet. Wenn auf diesem Wege einmal ein wirklich origineller Entwurf zustande kommen könnte, würde es wenig bedeuten, weil der ästhetische Wert einer künstlerischen Schöpfung nicht allein von dem vorzüglichen Entwurf, sondern auch von der materialechten vorzüglichen Bauausführung abhängt, die niemals ganz billig sein kann, und die bei dem falschen Sparsystem der bureaukratischen Baupraxis meist ganz aus¬ geschlossen ist. Das meiste, was die Neuzeit an künstlerisch hervorragenden Bauwerken hervorgebracht hat, ist nicht von den behördlichen Baubureaux, sondern von der privaten Baukünstlerschaft geschaffen worden. Aus wirtschaftlichen und künstlerischen Gründen muß man deshalb verlangen, daß die hervorragendsten und tüchtigsten Baukttnstler einer Stadt und eines Landes mit den Bauausgaben betraut werden, die der Staat und die Städte zu vergeben haben. Diese Forderung beruht auf folgenden Erwägungen: Es ist für die wirtschaftliche und geistige Entwicklung keineswegs gleichgiltig. wie es mit dem Bauen unsrer Zeit bestellt ist. Nachdem die Erfahrung gezeigt hat, daß von Amts wegen nicht Kunst hervorgebracht werden kann, und da nach allgemeiner Erkenntnis der dauernde Vauwert nur in seinen künstlerischen und qualitativen Eigenschaften besteht, so ergibt sich ohne weiteres, daß die Baubehörden berufne freie Baukünstler heranziehen und ihnen die Bauaufträge übertragen müssen. Die bestehenden Baubureaux sollten nicht erweitert, sondern in bloße Rechnungsbureaux um¬ gewandelt werden. Als solche wären sie berufen, den mit öffentlichen Bau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/233>, abgerufen am 24.07.2024.