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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz

geänderten Vorentwurf hat dann der Kreisbauinspektor einen "ausführlichen
Entwurf" aufzustellen, der wiederum die beiden genannten Instanzen durchläuft
und natürlich wiederum allerlei Abänderungen erfährt. Dann bekommt ihn der
Kreisbauinspektor zurück mit dem Auftrage, ihn auszuführen, wozu ihm bei
größern Aufgaben ein Negierungsbaumeister zugeteilt wird. Bedenkt man, daß
zwischen Bearbeitung des Vorentwurfs und des Entwurfs oft ein bis zwei Jahre
liegen, also die in Betracht kommenden Dienststellen inzwischen leicht durch andre
Personen besetzt sein können, so ergibt sich, daß im günstigsten Falle drei, im
ungünstigsten Falle sechs, mit dem bauleitenden Regierungsbaumeister sieben ver-
schiedne Personen an der Bearbeitung der Baupläne beteiligt sind. Jeder von
ihnen hat eine andre Auffassung, und jeder möchte sich gern betätigen und seine
Neigungen zur Geltung bringen. Durch das Mitwirken so vieler Kräfte bei
einem Entwurf erklärt sich auch das Fehlen des Künstlernamens bei den aus¬
gestellten Arbeiten des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten. Wer sollte genannt
werden? Der Kreisbauinspektor, oder der Dezernent im Ministeriuni, oder ein
zufällig mit der Bearbeitung im Ministerium betrauter Hilfsarbeiter? Vor einigen
Jahren hatte der verstorbne Geheime Oberbaurat Kieschke, ebenfalls auf der
großen Berliner Kunstausstellung, seinen Namen als Architekt unter eine Anzahl
von Blättern gesetzt, die in seinem Dezernat entstandne Bauten darstellten. Das
gab viel Verstimmung."

Es darf nicht verwundern, daß sich Baukünstler, die stark genug sind, aus
ihre eigne Kraft zu vertrauen, in der Regel nicht entschließen, Baubeamte zu
werden. Es gibt zwar einzelne Fälle, wo tüchtige Baukünstler in solchen leitenden
Stellen stehn, aber es sind Ausnahmen. Es gibt auch Fälle, wo es künstlerisch
begabten Baubeamten möglich war, ihre Absicht mit verhältnismäßig großer
Konsequenz durchzusetzen und anerkennenswerte Leistungen hervorzubringen, wie
zum Beispiel bei dem neuen Dresdner Landgericht von Oskar Kramer der Fall ist.
Es gibt gewiß noch mehrere solcher Beispiele, aber alle diese Fälle sind im
Vergleich zu dem überwältigenden Schematismus der bureaukratischen Bau¬
tätigkeit seltne Ausnahmen. Es kann sogar auch zugegeben werden, daß die
allgemein herrschenden modernen Ideen, die auf Sachlichkeit und Vermeidung
der Stilnachahmung gerichtet sind, auch auf den Bauschematismus der Architektur¬
behörden eingewirkt haben. Aber in allen diesen Erscheinungen ist der Mangel
eines selbständigen baukünstlerischen Wertes eine ebenso betrübende wie selbst¬
verständliche Tatsache. Der bloße Reflex moderner Architekturmotive, der sich
an dieser Bauweise kundgibt, gibt ihnen noch keinen höhern Rang. Die Regel
ist, daß ein Mann mit baukünstlerischer Begabung den behördlichen Baudienst
entweder ganz vermeidet, ihn nach kurzer Versuchszeit wieder verläßt, oder wenn
er bleibt darin, zur UnProduktivität verdorrt.

In den letzten Jahrzehnten haben die meisten europäischen Städte ihren
baukünstlerischen Charakter eingebüßt und die eintönige Uniform der behördlichen
Bauweise angelegt. Die behördlichen Bauvorschriften, Neguliernngspläne und


Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz

geänderten Vorentwurf hat dann der Kreisbauinspektor einen »ausführlichen
Entwurf« aufzustellen, der wiederum die beiden genannten Instanzen durchläuft
und natürlich wiederum allerlei Abänderungen erfährt. Dann bekommt ihn der
Kreisbauinspektor zurück mit dem Auftrage, ihn auszuführen, wozu ihm bei
größern Aufgaben ein Negierungsbaumeister zugeteilt wird. Bedenkt man, daß
zwischen Bearbeitung des Vorentwurfs und des Entwurfs oft ein bis zwei Jahre
liegen, also die in Betracht kommenden Dienststellen inzwischen leicht durch andre
Personen besetzt sein können, so ergibt sich, daß im günstigsten Falle drei, im
ungünstigsten Falle sechs, mit dem bauleitenden Regierungsbaumeister sieben ver-
schiedne Personen an der Bearbeitung der Baupläne beteiligt sind. Jeder von
ihnen hat eine andre Auffassung, und jeder möchte sich gern betätigen und seine
Neigungen zur Geltung bringen. Durch das Mitwirken so vieler Kräfte bei
einem Entwurf erklärt sich auch das Fehlen des Künstlernamens bei den aus¬
gestellten Arbeiten des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten. Wer sollte genannt
werden? Der Kreisbauinspektor, oder der Dezernent im Ministeriuni, oder ein
zufällig mit der Bearbeitung im Ministerium betrauter Hilfsarbeiter? Vor einigen
Jahren hatte der verstorbne Geheime Oberbaurat Kieschke, ebenfalls auf der
großen Berliner Kunstausstellung, seinen Namen als Architekt unter eine Anzahl
von Blättern gesetzt, die in seinem Dezernat entstandne Bauten darstellten. Das
gab viel Verstimmung."

Es darf nicht verwundern, daß sich Baukünstler, die stark genug sind, aus
ihre eigne Kraft zu vertrauen, in der Regel nicht entschließen, Baubeamte zu
werden. Es gibt zwar einzelne Fälle, wo tüchtige Baukünstler in solchen leitenden
Stellen stehn, aber es sind Ausnahmen. Es gibt auch Fälle, wo es künstlerisch
begabten Baubeamten möglich war, ihre Absicht mit verhältnismäßig großer
Konsequenz durchzusetzen und anerkennenswerte Leistungen hervorzubringen, wie
zum Beispiel bei dem neuen Dresdner Landgericht von Oskar Kramer der Fall ist.
Es gibt gewiß noch mehrere solcher Beispiele, aber alle diese Fälle sind im
Vergleich zu dem überwältigenden Schematismus der bureaukratischen Bau¬
tätigkeit seltne Ausnahmen. Es kann sogar auch zugegeben werden, daß die
allgemein herrschenden modernen Ideen, die auf Sachlichkeit und Vermeidung
der Stilnachahmung gerichtet sind, auch auf den Bauschematismus der Architektur¬
behörden eingewirkt haben. Aber in allen diesen Erscheinungen ist der Mangel
eines selbständigen baukünstlerischen Wertes eine ebenso betrübende wie selbst¬
verständliche Tatsache. Der bloße Reflex moderner Architekturmotive, der sich
an dieser Bauweise kundgibt, gibt ihnen noch keinen höhern Rang. Die Regel
ist, daß ein Mann mit baukünstlerischer Begabung den behördlichen Baudienst
entweder ganz vermeidet, ihn nach kurzer Versuchszeit wieder verläßt, oder wenn
er bleibt darin, zur UnProduktivität verdorrt.

In den letzten Jahrzehnten haben die meisten europäischen Städte ihren
baukünstlerischen Charakter eingebüßt und die eintönige Uniform der behördlichen
Bauweise angelegt. Die behördlichen Bauvorschriften, Neguliernngspläne und


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[0232] Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz geänderten Vorentwurf hat dann der Kreisbauinspektor einen »ausführlichen Entwurf« aufzustellen, der wiederum die beiden genannten Instanzen durchläuft und natürlich wiederum allerlei Abänderungen erfährt. Dann bekommt ihn der Kreisbauinspektor zurück mit dem Auftrage, ihn auszuführen, wozu ihm bei größern Aufgaben ein Negierungsbaumeister zugeteilt wird. Bedenkt man, daß zwischen Bearbeitung des Vorentwurfs und des Entwurfs oft ein bis zwei Jahre liegen, also die in Betracht kommenden Dienststellen inzwischen leicht durch andre Personen besetzt sein können, so ergibt sich, daß im günstigsten Falle drei, im ungünstigsten Falle sechs, mit dem bauleitenden Regierungsbaumeister sieben ver- schiedne Personen an der Bearbeitung der Baupläne beteiligt sind. Jeder von ihnen hat eine andre Auffassung, und jeder möchte sich gern betätigen und seine Neigungen zur Geltung bringen. Durch das Mitwirken so vieler Kräfte bei einem Entwurf erklärt sich auch das Fehlen des Künstlernamens bei den aus¬ gestellten Arbeiten des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten. Wer sollte genannt werden? Der Kreisbauinspektor, oder der Dezernent im Ministeriuni, oder ein zufällig mit der Bearbeitung im Ministerium betrauter Hilfsarbeiter? Vor einigen Jahren hatte der verstorbne Geheime Oberbaurat Kieschke, ebenfalls auf der großen Berliner Kunstausstellung, seinen Namen als Architekt unter eine Anzahl von Blättern gesetzt, die in seinem Dezernat entstandne Bauten darstellten. Das gab viel Verstimmung." Es darf nicht verwundern, daß sich Baukünstler, die stark genug sind, aus ihre eigne Kraft zu vertrauen, in der Regel nicht entschließen, Baubeamte zu werden. Es gibt zwar einzelne Fälle, wo tüchtige Baukünstler in solchen leitenden Stellen stehn, aber es sind Ausnahmen. Es gibt auch Fälle, wo es künstlerisch begabten Baubeamten möglich war, ihre Absicht mit verhältnismäßig großer Konsequenz durchzusetzen und anerkennenswerte Leistungen hervorzubringen, wie zum Beispiel bei dem neuen Dresdner Landgericht von Oskar Kramer der Fall ist. Es gibt gewiß noch mehrere solcher Beispiele, aber alle diese Fälle sind im Vergleich zu dem überwältigenden Schematismus der bureaukratischen Bau¬ tätigkeit seltne Ausnahmen. Es kann sogar auch zugegeben werden, daß die allgemein herrschenden modernen Ideen, die auf Sachlichkeit und Vermeidung der Stilnachahmung gerichtet sind, auch auf den Bauschematismus der Architektur¬ behörden eingewirkt haben. Aber in allen diesen Erscheinungen ist der Mangel eines selbständigen baukünstlerischen Wertes eine ebenso betrübende wie selbst¬ verständliche Tatsache. Der bloße Reflex moderner Architekturmotive, der sich an dieser Bauweise kundgibt, gibt ihnen noch keinen höhern Rang. Die Regel ist, daß ein Mann mit baukünstlerischer Begabung den behördlichen Baudienst entweder ganz vermeidet, ihn nach kurzer Versuchszeit wieder verläßt, oder wenn er bleibt darin, zur UnProduktivität verdorrt. In den letzten Jahrzehnten haben die meisten europäischen Städte ihren baukünstlerischen Charakter eingebüßt und die eintönige Uniform der behördlichen Bauweise angelegt. Die behördlichen Bauvorschriften, Neguliernngspläne und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/232>, abgerufen am 24.07.2024.