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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz

einem höhern, volkswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehn erreicht sie ihre
momentanen und daher nicht ausschlaggebenden Ersparnisse dadurch, daß sie die
wirtschaftlichen Machtmittel der Nation, das heißt die qualitative Leistungs¬
fähigkeit, den Preiswerk für solide Arbeit und solides Material, den auch für
die wirtschaftliche Wohlfahrt unerläßlichen Grundsatz der Anständigkeit und
Rechtlichkeit im Konkurrenzkampf herunterbringt. Es muß in diesem Zusammen¬
hang nur angedeutet werden, wie schwer der Wirtschaftskörper und namentlich
seine große soziale Grundschicht durch solche vielverzweigte demoralisierende
Wirkungen geschädigt wird.

Nach übereinstimmenden Beobachtungen und Erfahrungen verschlingen die
Vcmbureaux für Projektierung und Bauleitung 12 Prozent der Bausumme, an
manchen Orten etwas mehr, und es hat sich an Orten, wo diese Verhältnisse
besonders ungünstig liegen, die Tatsache ergeben, daß der private Baukünstler
Staatsaufträge mit dem viertens!) Teil dieses Berechnungssatzes bewältigen konnte,
wobei nicht zu vergessen ist, daß die von dem privaten Baukünstler gegebnen
sonstigen Vorzüge noch viel größer sind. Wir wollen deshalb untersuchen, in¬
wiefern auch der künstlerische Vorrang das Wirtschciftsbild günstig zu beeinflussen
imstande ist.

Nach der baukünstlerischen Seite hin wird allgemein zugegeben, daß die
behördlichen Baubureaux weder berufen noch imstande waren, künstlerische Werte
zu schaffen. Die Beteiligten und die weite Öffentlichkeit wissen genau, daß der
unpersönliche Baubureaukratismus zwar ein Bauschema aber keine Baukunst
schaffen kaun. Wie jede Kunst, ist auch die Architektur das Werk einer persön¬
lichen Gestaltungskraft. An dem Entwurf der Baubureaux arbeiten bekanntlich
viele Beamtenhünde. Der Entwurf für einen beschloßnen Neubau läuft durch
einen langen Instanzenweg mit vielen Prüfungen und Abänderungen, sodaß
zwischen Vorentwurf und Endentwurf oft ein bis zwei Jahre liegen, und aus
den persönlichen und künstlerischen Merkmalen, wenn solche überhaupt vorhanden
waren, ein unpersönliches, mehr oder weniger schematisches Produkt geworden
ist, das viele Urheber hat und doch keinen. Mit der Aufhebung der persönlichen
Urheberschaft erlischt natürlich die persönliche künstlerische Verantwortung und
der persönliche künstlerische Ehrgeiz. Das Werk der Anonymität wird höchstens
durch die Vormundschaft des vorgesetzten Funktionärs benannt. In diesem Zu¬
sammenhang sind die Ausführungen des Regierungsbaumeisters Walter Lehweß
in der Berliner Täglichen Rundschau von besonderm Interesse. Er sagt:

"Wenn die Notwendigkeit eines Neubaues festgestellt und ein Grundstück
erworben ist, bekommt der Kreisbauinspektor des betreffenden Bezirks den Auftrag,
auf Grund eines von den beteiligten Behörden gemeinsam aufgestellten Bau-
Programms einen Vorentwurf auszuarbeiten; dieser wird ans der zuständigen
Regierung von einem technischen Dezernenten geprüft und mehr oder weniger
verändert (Revision) und geht dann an das Ministerium der öffentlichen Arbeiten,
wo er nochmals geprüft und geändert wird iSuperrevisiou). Nach diesem doppelt


Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz

einem höhern, volkswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehn erreicht sie ihre
momentanen und daher nicht ausschlaggebenden Ersparnisse dadurch, daß sie die
wirtschaftlichen Machtmittel der Nation, das heißt die qualitative Leistungs¬
fähigkeit, den Preiswerk für solide Arbeit und solides Material, den auch für
die wirtschaftliche Wohlfahrt unerläßlichen Grundsatz der Anständigkeit und
Rechtlichkeit im Konkurrenzkampf herunterbringt. Es muß in diesem Zusammen¬
hang nur angedeutet werden, wie schwer der Wirtschaftskörper und namentlich
seine große soziale Grundschicht durch solche vielverzweigte demoralisierende
Wirkungen geschädigt wird.

Nach übereinstimmenden Beobachtungen und Erfahrungen verschlingen die
Vcmbureaux für Projektierung und Bauleitung 12 Prozent der Bausumme, an
manchen Orten etwas mehr, und es hat sich an Orten, wo diese Verhältnisse
besonders ungünstig liegen, die Tatsache ergeben, daß der private Baukünstler
Staatsaufträge mit dem viertens!) Teil dieses Berechnungssatzes bewältigen konnte,
wobei nicht zu vergessen ist, daß die von dem privaten Baukünstler gegebnen
sonstigen Vorzüge noch viel größer sind. Wir wollen deshalb untersuchen, in¬
wiefern auch der künstlerische Vorrang das Wirtschciftsbild günstig zu beeinflussen
imstande ist.

Nach der baukünstlerischen Seite hin wird allgemein zugegeben, daß die
behördlichen Baubureaux weder berufen noch imstande waren, künstlerische Werte
zu schaffen. Die Beteiligten und die weite Öffentlichkeit wissen genau, daß der
unpersönliche Baubureaukratismus zwar ein Bauschema aber keine Baukunst
schaffen kaun. Wie jede Kunst, ist auch die Architektur das Werk einer persön¬
lichen Gestaltungskraft. An dem Entwurf der Baubureaux arbeiten bekanntlich
viele Beamtenhünde. Der Entwurf für einen beschloßnen Neubau läuft durch
einen langen Instanzenweg mit vielen Prüfungen und Abänderungen, sodaß
zwischen Vorentwurf und Endentwurf oft ein bis zwei Jahre liegen, und aus
den persönlichen und künstlerischen Merkmalen, wenn solche überhaupt vorhanden
waren, ein unpersönliches, mehr oder weniger schematisches Produkt geworden
ist, das viele Urheber hat und doch keinen. Mit der Aufhebung der persönlichen
Urheberschaft erlischt natürlich die persönliche künstlerische Verantwortung und
der persönliche künstlerische Ehrgeiz. Das Werk der Anonymität wird höchstens
durch die Vormundschaft des vorgesetzten Funktionärs benannt. In diesem Zu¬
sammenhang sind die Ausführungen des Regierungsbaumeisters Walter Lehweß
in der Berliner Täglichen Rundschau von besonderm Interesse. Er sagt:

„Wenn die Notwendigkeit eines Neubaues festgestellt und ein Grundstück
erworben ist, bekommt der Kreisbauinspektor des betreffenden Bezirks den Auftrag,
auf Grund eines von den beteiligten Behörden gemeinsam aufgestellten Bau-
Programms einen Vorentwurf auszuarbeiten; dieser wird ans der zuständigen
Regierung von einem technischen Dezernenten geprüft und mehr oder weniger
verändert (Revision) und geht dann an das Ministerium der öffentlichen Arbeiten,
wo er nochmals geprüft und geändert wird iSuperrevisiou). Nach diesem doppelt


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[0231] Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz einem höhern, volkswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehn erreicht sie ihre momentanen und daher nicht ausschlaggebenden Ersparnisse dadurch, daß sie die wirtschaftlichen Machtmittel der Nation, das heißt die qualitative Leistungs¬ fähigkeit, den Preiswerk für solide Arbeit und solides Material, den auch für die wirtschaftliche Wohlfahrt unerläßlichen Grundsatz der Anständigkeit und Rechtlichkeit im Konkurrenzkampf herunterbringt. Es muß in diesem Zusammen¬ hang nur angedeutet werden, wie schwer der Wirtschaftskörper und namentlich seine große soziale Grundschicht durch solche vielverzweigte demoralisierende Wirkungen geschädigt wird. Nach übereinstimmenden Beobachtungen und Erfahrungen verschlingen die Vcmbureaux für Projektierung und Bauleitung 12 Prozent der Bausumme, an manchen Orten etwas mehr, und es hat sich an Orten, wo diese Verhältnisse besonders ungünstig liegen, die Tatsache ergeben, daß der private Baukünstler Staatsaufträge mit dem viertens!) Teil dieses Berechnungssatzes bewältigen konnte, wobei nicht zu vergessen ist, daß die von dem privaten Baukünstler gegebnen sonstigen Vorzüge noch viel größer sind. Wir wollen deshalb untersuchen, in¬ wiefern auch der künstlerische Vorrang das Wirtschciftsbild günstig zu beeinflussen imstande ist. Nach der baukünstlerischen Seite hin wird allgemein zugegeben, daß die behördlichen Baubureaux weder berufen noch imstande waren, künstlerische Werte zu schaffen. Die Beteiligten und die weite Öffentlichkeit wissen genau, daß der unpersönliche Baubureaukratismus zwar ein Bauschema aber keine Baukunst schaffen kaun. Wie jede Kunst, ist auch die Architektur das Werk einer persön¬ lichen Gestaltungskraft. An dem Entwurf der Baubureaux arbeiten bekanntlich viele Beamtenhünde. Der Entwurf für einen beschloßnen Neubau läuft durch einen langen Instanzenweg mit vielen Prüfungen und Abänderungen, sodaß zwischen Vorentwurf und Endentwurf oft ein bis zwei Jahre liegen, und aus den persönlichen und künstlerischen Merkmalen, wenn solche überhaupt vorhanden waren, ein unpersönliches, mehr oder weniger schematisches Produkt geworden ist, das viele Urheber hat und doch keinen. Mit der Aufhebung der persönlichen Urheberschaft erlischt natürlich die persönliche künstlerische Verantwortung und der persönliche künstlerische Ehrgeiz. Das Werk der Anonymität wird höchstens durch die Vormundschaft des vorgesetzten Funktionärs benannt. In diesem Zu¬ sammenhang sind die Ausführungen des Regierungsbaumeisters Walter Lehweß in der Berliner Täglichen Rundschau von besonderm Interesse. Er sagt: „Wenn die Notwendigkeit eines Neubaues festgestellt und ein Grundstück erworben ist, bekommt der Kreisbauinspektor des betreffenden Bezirks den Auftrag, auf Grund eines von den beteiligten Behörden gemeinsam aufgestellten Bau- Programms einen Vorentwurf auszuarbeiten; dieser wird ans der zuständigen Regierung von einem technischen Dezernenten geprüft und mehr oder weniger verändert (Revision) und geht dann an das Ministerium der öffentlichen Arbeiten, wo er nochmals geprüft und geändert wird iSuperrevisiou). Nach diesem doppelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/231>, abgerufen am 24.07.2024.