Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Asiatische probleme

eine Geschichte Asiens*) veröffentlicht hat, die nicht nur interessante Aufschlüsse
über die Geschichte der einzelnen asiatischen Länder, über den Kampf der
Weltreligionen, die Entwicklung Chinas und den Rassenaufbau Asiens gibt,
sondern in meisterhafter Weise die Wechselwirkungen der einzelnen Länder und
Kulturen und ihre Verknüpfung mit Europa zur Darstellung bringt. Wirth
wendet sich einerseits gegen die Überschätzung des Orients, an der so viele
modern sein wollende Politiker kranken, warnt aber andrerseits davor, Asien
zu verachten, weil wir ihm gegenwärtig in Krieg, Wissenschaft und Handel
überlegen sind.

Das Wirthsche Werk besteht aus zwei Bänden. Der erste Band behandelt
die Zeit von den Anfängen bis 1790, der zweite die Europäerherrschaft. Die
Urkultur stammt nach Wirths Ansicht vom untern Euphrat und Tigris. Von
dort habe sich die Kultur nach allen Himmelsrichtungen in Wellenbewegung
verbreitet, zunächst nach Arabien, dem Mittelländischen Meer und nach dem
ältesten Ägypten, sodann nach Südarabien und Indien, weiter, doch stehe hier
weder das Ob noch das Wann fest, nach China und endlich, in späterer Zeit,
möglicherweise bis Amerika.

Diese Hypothese hat gegenwärtig wenige Anhänger, ist aber für jeden, der
sowohl die altägyptischen als auch die altmcxikanischen Altertümer an Ort und
Stelle gesehn hat. wahrscheinlich, denn die Ähnlichkeit zwischen diesen Denk¬
mälern einer längst entschwundnen Zeit ist in.der Tat ganz erstaunlich.
Alexander von Humboldt erwähnt in seinem politischen Essay über Neuspanien
die alte Überlieferung, wonach die im mexikanischen Staate Morelos gelegne,
mit Hieroglyphen bedeckte Pyramide von Xochicalco ein Denkmal bilden solle
zur Erinnerung an den Untergang des Kontinents Atlantis, der sich einst
zwischen Afrika und Amerika erstreckt habe und durch die große Sintflut bis
auf die übrig gebliebner Inseln untergegangen sei. Außerdem ist nicht zu ver¬
kennen, daß die Rassenühnlichkeit der Japaner und Mexikaner sehr groß ist,
und daß sich Wechselwirkungen zwischen ihren Kunsthandwerker auch jetzt
noch feststellen lassen. Jedenfalls ist aber hier noch ein weites Feld der
Tätigkeit für die Geschichtforscher, die sich bis jetzt nur wenig mit diesen
Fragen beschäftigt haben.

Goethe hat in den Noten und Abhandlungen zum bessern Verständnis des
Westöstlichen Divans in genialer Weise ein teils philosophisches teils historisches
Mosaikgemülde von der orientalischen Kultur, soweit sie damals erforscht war,
geschaffen, um, wie er sagt, die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, woher so
manches Große, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher
täglich mehr zu erhoffen ist. Assyrien, Babylonien und Ägypten blieben, da
die Keilschriften- und Hieroglyphenforschung damals eben erst ihren Anfang



*) Geschichte Asiens und Osteuropas. Von Privatdozent Dr. Albrecht Wirth. Verlag
Gebauer-Schwetschke, Halle.
Asiatische probleme

eine Geschichte Asiens*) veröffentlicht hat, die nicht nur interessante Aufschlüsse
über die Geschichte der einzelnen asiatischen Länder, über den Kampf der
Weltreligionen, die Entwicklung Chinas und den Rassenaufbau Asiens gibt,
sondern in meisterhafter Weise die Wechselwirkungen der einzelnen Länder und
Kulturen und ihre Verknüpfung mit Europa zur Darstellung bringt. Wirth
wendet sich einerseits gegen die Überschätzung des Orients, an der so viele
modern sein wollende Politiker kranken, warnt aber andrerseits davor, Asien
zu verachten, weil wir ihm gegenwärtig in Krieg, Wissenschaft und Handel
überlegen sind.

Das Wirthsche Werk besteht aus zwei Bänden. Der erste Band behandelt
die Zeit von den Anfängen bis 1790, der zweite die Europäerherrschaft. Die
Urkultur stammt nach Wirths Ansicht vom untern Euphrat und Tigris. Von
dort habe sich die Kultur nach allen Himmelsrichtungen in Wellenbewegung
verbreitet, zunächst nach Arabien, dem Mittelländischen Meer und nach dem
ältesten Ägypten, sodann nach Südarabien und Indien, weiter, doch stehe hier
weder das Ob noch das Wann fest, nach China und endlich, in späterer Zeit,
möglicherweise bis Amerika.

Diese Hypothese hat gegenwärtig wenige Anhänger, ist aber für jeden, der
sowohl die altägyptischen als auch die altmcxikanischen Altertümer an Ort und
Stelle gesehn hat. wahrscheinlich, denn die Ähnlichkeit zwischen diesen Denk¬
mälern einer längst entschwundnen Zeit ist in.der Tat ganz erstaunlich.
Alexander von Humboldt erwähnt in seinem politischen Essay über Neuspanien
die alte Überlieferung, wonach die im mexikanischen Staate Morelos gelegne,
mit Hieroglyphen bedeckte Pyramide von Xochicalco ein Denkmal bilden solle
zur Erinnerung an den Untergang des Kontinents Atlantis, der sich einst
zwischen Afrika und Amerika erstreckt habe und durch die große Sintflut bis
auf die übrig gebliebner Inseln untergegangen sei. Außerdem ist nicht zu ver¬
kennen, daß die Rassenühnlichkeit der Japaner und Mexikaner sehr groß ist,
und daß sich Wechselwirkungen zwischen ihren Kunsthandwerker auch jetzt
noch feststellen lassen. Jedenfalls ist aber hier noch ein weites Feld der
Tätigkeit für die Geschichtforscher, die sich bis jetzt nur wenig mit diesen
Fragen beschäftigt haben.

Goethe hat in den Noten und Abhandlungen zum bessern Verständnis des
Westöstlichen Divans in genialer Weise ein teils philosophisches teils historisches
Mosaikgemülde von der orientalischen Kultur, soweit sie damals erforscht war,
geschaffen, um, wie er sagt, die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, woher so
manches Große, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher
täglich mehr zu erhoffen ist. Assyrien, Babylonien und Ägypten blieben, da
die Keilschriften- und Hieroglyphenforschung damals eben erst ihren Anfang



*) Geschichte Asiens und Osteuropas. Von Privatdozent Dr. Albrecht Wirth. Verlag
Gebauer-Schwetschke, Halle.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311762"/>
          <fw type="header" place="top"> Asiatische probleme</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_38" prev="#ID_37"> eine Geschichte Asiens*) veröffentlicht hat, die nicht nur interessante Aufschlüsse<lb/>
über die Geschichte der einzelnen asiatischen Länder, über den Kampf der<lb/>
Weltreligionen, die Entwicklung Chinas und den Rassenaufbau Asiens gibt,<lb/>
sondern in meisterhafter Weise die Wechselwirkungen der einzelnen Länder und<lb/>
Kulturen und ihre Verknüpfung mit Europa zur Darstellung bringt. Wirth<lb/>
wendet sich einerseits gegen die Überschätzung des Orients, an der so viele<lb/>
modern sein wollende Politiker kranken, warnt aber andrerseits davor, Asien<lb/>
zu verachten, weil wir ihm gegenwärtig in Krieg, Wissenschaft und Handel<lb/>
überlegen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_39"> Das Wirthsche Werk besteht aus zwei Bänden. Der erste Band behandelt<lb/>
die Zeit von den Anfängen bis 1790, der zweite die Europäerherrschaft. Die<lb/>
Urkultur stammt nach Wirths Ansicht vom untern Euphrat und Tigris. Von<lb/>
dort habe sich die Kultur nach allen Himmelsrichtungen in Wellenbewegung<lb/>
verbreitet, zunächst nach Arabien, dem Mittelländischen Meer und nach dem<lb/>
ältesten Ägypten, sodann nach Südarabien und Indien, weiter, doch stehe hier<lb/>
weder das Ob noch das Wann fest, nach China und endlich, in späterer Zeit,<lb/>
möglicherweise bis Amerika.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40"> Diese Hypothese hat gegenwärtig wenige Anhänger, ist aber für jeden, der<lb/>
sowohl die altägyptischen als auch die altmcxikanischen Altertümer an Ort und<lb/>
Stelle gesehn hat. wahrscheinlich, denn die Ähnlichkeit zwischen diesen Denk¬<lb/>
mälern einer längst entschwundnen Zeit ist in.der Tat ganz erstaunlich.<lb/>
Alexander von Humboldt erwähnt in seinem politischen Essay über Neuspanien<lb/>
die alte Überlieferung, wonach die im mexikanischen Staate Morelos gelegne,<lb/>
mit Hieroglyphen bedeckte Pyramide von Xochicalco ein Denkmal bilden solle<lb/>
zur Erinnerung an den Untergang des Kontinents Atlantis, der sich einst<lb/>
zwischen Afrika und Amerika erstreckt habe und durch die große Sintflut bis<lb/>
auf die übrig gebliebner Inseln untergegangen sei. Außerdem ist nicht zu ver¬<lb/>
kennen, daß die Rassenühnlichkeit der Japaner und Mexikaner sehr groß ist,<lb/>
und daß sich Wechselwirkungen zwischen ihren Kunsthandwerker auch jetzt<lb/>
noch feststellen lassen. Jedenfalls ist aber hier noch ein weites Feld der<lb/>
Tätigkeit für die Geschichtforscher, die sich bis jetzt nur wenig mit diesen<lb/>
Fragen beschäftigt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Goethe hat in den Noten und Abhandlungen zum bessern Verständnis des<lb/>
Westöstlichen Divans in genialer Weise ein teils philosophisches teils historisches<lb/>
Mosaikgemülde von der orientalischen Kultur, soweit sie damals erforscht war,<lb/>
geschaffen, um, wie er sagt, die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, woher so<lb/>
manches Große, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher<lb/>
täglich mehr zu erhoffen ist. Assyrien, Babylonien und Ägypten blieben, da<lb/>
die Keilschriften- und Hieroglyphenforschung damals eben erst ihren Anfang</p><lb/>
          <note xml:id="FID_2" place="foot"> *) Geschichte Asiens und Osteuropas. Von Privatdozent Dr. Albrecht Wirth. Verlag<lb/>
Gebauer-Schwetschke, Halle.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] Asiatische probleme eine Geschichte Asiens*) veröffentlicht hat, die nicht nur interessante Aufschlüsse über die Geschichte der einzelnen asiatischen Länder, über den Kampf der Weltreligionen, die Entwicklung Chinas und den Rassenaufbau Asiens gibt, sondern in meisterhafter Weise die Wechselwirkungen der einzelnen Länder und Kulturen und ihre Verknüpfung mit Europa zur Darstellung bringt. Wirth wendet sich einerseits gegen die Überschätzung des Orients, an der so viele modern sein wollende Politiker kranken, warnt aber andrerseits davor, Asien zu verachten, weil wir ihm gegenwärtig in Krieg, Wissenschaft und Handel überlegen sind. Das Wirthsche Werk besteht aus zwei Bänden. Der erste Band behandelt die Zeit von den Anfängen bis 1790, der zweite die Europäerherrschaft. Die Urkultur stammt nach Wirths Ansicht vom untern Euphrat und Tigris. Von dort habe sich die Kultur nach allen Himmelsrichtungen in Wellenbewegung verbreitet, zunächst nach Arabien, dem Mittelländischen Meer und nach dem ältesten Ägypten, sodann nach Südarabien und Indien, weiter, doch stehe hier weder das Ob noch das Wann fest, nach China und endlich, in späterer Zeit, möglicherweise bis Amerika. Diese Hypothese hat gegenwärtig wenige Anhänger, ist aber für jeden, der sowohl die altägyptischen als auch die altmcxikanischen Altertümer an Ort und Stelle gesehn hat. wahrscheinlich, denn die Ähnlichkeit zwischen diesen Denk¬ mälern einer längst entschwundnen Zeit ist in.der Tat ganz erstaunlich. Alexander von Humboldt erwähnt in seinem politischen Essay über Neuspanien die alte Überlieferung, wonach die im mexikanischen Staate Morelos gelegne, mit Hieroglyphen bedeckte Pyramide von Xochicalco ein Denkmal bilden solle zur Erinnerung an den Untergang des Kontinents Atlantis, der sich einst zwischen Afrika und Amerika erstreckt habe und durch die große Sintflut bis auf die übrig gebliebner Inseln untergegangen sei. Außerdem ist nicht zu ver¬ kennen, daß die Rassenühnlichkeit der Japaner und Mexikaner sehr groß ist, und daß sich Wechselwirkungen zwischen ihren Kunsthandwerker auch jetzt noch feststellen lassen. Jedenfalls ist aber hier noch ein weites Feld der Tätigkeit für die Geschichtforscher, die sich bis jetzt nur wenig mit diesen Fragen beschäftigt haben. Goethe hat in den Noten und Abhandlungen zum bessern Verständnis des Westöstlichen Divans in genialer Weise ein teils philosophisches teils historisches Mosaikgemülde von der orientalischen Kultur, soweit sie damals erforscht war, geschaffen, um, wie er sagt, die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, woher so manches Große, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher täglich mehr zu erhoffen ist. Assyrien, Babylonien und Ägypten blieben, da die Keilschriften- und Hieroglyphenforschung damals eben erst ihren Anfang *) Geschichte Asiens und Osteuropas. Von Privatdozent Dr. Albrecht Wirth. Verlag Gebauer-Schwetschke, Halle.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/21
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/21>, abgerufen am 24.07.2024.