Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Politik in der Schule

mehr jeder seine Individualität ausbildet, um so mehr wird er leisten und da¬
durch das Ganze fördern können.

Was Sie sagen, leuchtet mir ein. Aber soll nun Politik im engern
Sinne, wie sie doch gewöhnlich verstanden wird, in der Schule gelehrt werden;
oder vielmehr, wie soll und kann sie in der Schule gelehrt werden?

Vor allem ist doch zu beachten, daß man es in der Schule, auch in der
höhern Schule, mit jugendlichen Kräften zu tun hat. Man wird also alles
fernhalten müssen, was der jugendliche Geist noch nicht fassen, was nur von
dem reifern Alter verarbeitet werden kann, und dahin gehört unter allen Um¬
ständen die eigentliche Politik, äußere sowohl als innere; die ist also aus der
Schule unbedingt wegzulassen. Es ist überhaupt nicht die Aufgabe der Schule,
fertige Menschen zu liefern, sondern die einzige Aufgabe der Schule ist es, ihre
Zöglinge durch Unterricht und Erziehung für das Leben vorzubereiten. Die
Selbsterziehung, die Selbstbildung hat das Werk der Schule und Familie weiter¬
zuführen. Wehe denen, die glauben, daß sie fertig seien, wenn sie das Eltern¬
haus oder die Schule verlassen!

Ach, wie freue ich mich, das von Ihnen zu hören! Wie hoch heben Sie
durch diese natürliche und gesunde Beschränkung gerade die beste Schulbildung!
Aber die tatsächlichen Unterlagen der politischen Bildung können doch wohl
wenigstens die ältern Schüler der höhern Schulen, also die Primaner, als
sichern Besitz ins Leben mitnehmen?

Ganz gewiß. Ich halte es für selbstverständlich, daß der Primaner mit
der Verfassung und Gesetzgebung seines Volkes, soweit diese zum Verständnis
des politischen Lebens nötig ist, bekannt gemacht wird. Aber damit ist die
Aufgabe der Schule erfüllt. Wir beschränken also die Aufgabe der Schule auf
das natürliche Maß: dieses aber ist gerade groß genug. Wenn wir auch die Politik
selbst, etwa die Behandlung schwebender diplomatischer Verhandlungen oder gar
Fragen der innern und Parteipolitik aus der Schule verbannen, so können und
Müssen wir doch den jugendlichen Geist empfänglich machen für das Verständnis
der wichtigsten politischen Fragen, wir müssen den Boden so bereiten, daß er später
gesunde Früchte tragen kann, die zum Heile des Vaterlands ausreifen. Vornehmlich
nun scheint die Geschichte, die vaterländische sowohl als die andrer Völker, dazu
berufen, diesen Zweck zu erfüllen, daß dem Schüler die geschichtlichen Tatsachen
im Zusammenhang und unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung
überliefert werden, daß er die oben entwickelten Lehren von dem Zusammen¬
hang und der Gliederung der menschlichen Gesellschaft begreifen lernt -- ab¬
gesehen davon, daß er aus den großen und edeln Taten hervorragender Per¬
sönlichkeiten Begeisterung und Mut zu eigner Tätigkeit schöpft und vaterlands¬
lose Gesinnung beizeiten von Grund seines Herzens verachten lernt. Denn hell
und glänzend ragen die edeln Häupter der Völker hervor, und tief im Staub
versunken erscheinen die Verräter. Die geschichtlichen Tatsachen aber, aus
denen wir solche Lehren schöpfen und den Zöglingen mitteilen, liefert nicht bloß


Politik in der Schule

mehr jeder seine Individualität ausbildet, um so mehr wird er leisten und da¬
durch das Ganze fördern können.

Was Sie sagen, leuchtet mir ein. Aber soll nun Politik im engern
Sinne, wie sie doch gewöhnlich verstanden wird, in der Schule gelehrt werden;
oder vielmehr, wie soll und kann sie in der Schule gelehrt werden?

Vor allem ist doch zu beachten, daß man es in der Schule, auch in der
höhern Schule, mit jugendlichen Kräften zu tun hat. Man wird also alles
fernhalten müssen, was der jugendliche Geist noch nicht fassen, was nur von
dem reifern Alter verarbeitet werden kann, und dahin gehört unter allen Um¬
ständen die eigentliche Politik, äußere sowohl als innere; die ist also aus der
Schule unbedingt wegzulassen. Es ist überhaupt nicht die Aufgabe der Schule,
fertige Menschen zu liefern, sondern die einzige Aufgabe der Schule ist es, ihre
Zöglinge durch Unterricht und Erziehung für das Leben vorzubereiten. Die
Selbsterziehung, die Selbstbildung hat das Werk der Schule und Familie weiter¬
zuführen. Wehe denen, die glauben, daß sie fertig seien, wenn sie das Eltern¬
haus oder die Schule verlassen!

Ach, wie freue ich mich, das von Ihnen zu hören! Wie hoch heben Sie
durch diese natürliche und gesunde Beschränkung gerade die beste Schulbildung!
Aber die tatsächlichen Unterlagen der politischen Bildung können doch wohl
wenigstens die ältern Schüler der höhern Schulen, also die Primaner, als
sichern Besitz ins Leben mitnehmen?

Ganz gewiß. Ich halte es für selbstverständlich, daß der Primaner mit
der Verfassung und Gesetzgebung seines Volkes, soweit diese zum Verständnis
des politischen Lebens nötig ist, bekannt gemacht wird. Aber damit ist die
Aufgabe der Schule erfüllt. Wir beschränken also die Aufgabe der Schule auf
das natürliche Maß: dieses aber ist gerade groß genug. Wenn wir auch die Politik
selbst, etwa die Behandlung schwebender diplomatischer Verhandlungen oder gar
Fragen der innern und Parteipolitik aus der Schule verbannen, so können und
Müssen wir doch den jugendlichen Geist empfänglich machen für das Verständnis
der wichtigsten politischen Fragen, wir müssen den Boden so bereiten, daß er später
gesunde Früchte tragen kann, die zum Heile des Vaterlands ausreifen. Vornehmlich
nun scheint die Geschichte, die vaterländische sowohl als die andrer Völker, dazu
berufen, diesen Zweck zu erfüllen, daß dem Schüler die geschichtlichen Tatsachen
im Zusammenhang und unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung
überliefert werden, daß er die oben entwickelten Lehren von dem Zusammen¬
hang und der Gliederung der menschlichen Gesellschaft begreifen lernt — ab¬
gesehen davon, daß er aus den großen und edeln Taten hervorragender Per¬
sönlichkeiten Begeisterung und Mut zu eigner Tätigkeit schöpft und vaterlands¬
lose Gesinnung beizeiten von Grund seines Herzens verachten lernt. Denn hell
und glänzend ragen die edeln Häupter der Völker hervor, und tief im Staub
versunken erscheinen die Verräter. Die geschichtlichen Tatsachen aber, aus
denen wir solche Lehren schöpfen und den Zöglingen mitteilen, liefert nicht bloß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311872"/>
          <fw type="header" place="top"> Politik in der Schule</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_797" prev="#ID_796"> mehr jeder seine Individualität ausbildet, um so mehr wird er leisten und da¬<lb/>
durch das Ganze fördern können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_798"> Was Sie sagen, leuchtet mir ein. Aber soll nun Politik im engern<lb/>
Sinne, wie sie doch gewöhnlich verstanden wird, in der Schule gelehrt werden;<lb/>
oder vielmehr, wie soll und kann sie in der Schule gelehrt werden?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_799"> Vor allem ist doch zu beachten, daß man es in der Schule, auch in der<lb/>
höhern Schule, mit jugendlichen Kräften zu tun hat. Man wird also alles<lb/>
fernhalten müssen, was der jugendliche Geist noch nicht fassen, was nur von<lb/>
dem reifern Alter verarbeitet werden kann, und dahin gehört unter allen Um¬<lb/>
ständen die eigentliche Politik, äußere sowohl als innere; die ist also aus der<lb/>
Schule unbedingt wegzulassen. Es ist überhaupt nicht die Aufgabe der Schule,<lb/>
fertige Menschen zu liefern, sondern die einzige Aufgabe der Schule ist es, ihre<lb/>
Zöglinge durch Unterricht und Erziehung für das Leben vorzubereiten. Die<lb/>
Selbsterziehung, die Selbstbildung hat das Werk der Schule und Familie weiter¬<lb/>
zuführen. Wehe denen, die glauben, daß sie fertig seien, wenn sie das Eltern¬<lb/>
haus oder die Schule verlassen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_800"> Ach, wie freue ich mich, das von Ihnen zu hören! Wie hoch heben Sie<lb/>
durch diese natürliche und gesunde Beschränkung gerade die beste Schulbildung!<lb/>
Aber die tatsächlichen Unterlagen der politischen Bildung können doch wohl<lb/>
wenigstens die ältern Schüler der höhern Schulen, also die Primaner, als<lb/>
sichern Besitz ins Leben mitnehmen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_801" next="#ID_802"> Ganz gewiß. Ich halte es für selbstverständlich, daß der Primaner mit<lb/>
der Verfassung und Gesetzgebung seines Volkes, soweit diese zum Verständnis<lb/>
des politischen Lebens nötig ist, bekannt gemacht wird. Aber damit ist die<lb/>
Aufgabe der Schule erfüllt. Wir beschränken also die Aufgabe der Schule auf<lb/>
das natürliche Maß: dieses aber ist gerade groß genug. Wenn wir auch die Politik<lb/>
selbst, etwa die Behandlung schwebender diplomatischer Verhandlungen oder gar<lb/>
Fragen der innern und Parteipolitik aus der Schule verbannen, so können und<lb/>
Müssen wir doch den jugendlichen Geist empfänglich machen für das Verständnis<lb/>
der wichtigsten politischen Fragen, wir müssen den Boden so bereiten, daß er später<lb/>
gesunde Früchte tragen kann, die zum Heile des Vaterlands ausreifen. Vornehmlich<lb/>
nun scheint die Geschichte, die vaterländische sowohl als die andrer Völker, dazu<lb/>
berufen, diesen Zweck zu erfüllen, daß dem Schüler die geschichtlichen Tatsachen<lb/>
im Zusammenhang und unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung<lb/>
überliefert werden, daß er die oben entwickelten Lehren von dem Zusammen¬<lb/>
hang und der Gliederung der menschlichen Gesellschaft begreifen lernt &#x2014; ab¬<lb/>
gesehen davon, daß er aus den großen und edeln Taten hervorragender Per¬<lb/>
sönlichkeiten Begeisterung und Mut zu eigner Tätigkeit schöpft und vaterlands¬<lb/>
lose Gesinnung beizeiten von Grund seines Herzens verachten lernt. Denn hell<lb/>
und glänzend ragen die edeln Häupter der Völker hervor, und tief im Staub<lb/>
versunken erscheinen die Verräter. Die geschichtlichen Tatsachen aber, aus<lb/>
denen wir solche Lehren schöpfen und den Zöglingen mitteilen, liefert nicht bloß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] Politik in der Schule mehr jeder seine Individualität ausbildet, um so mehr wird er leisten und da¬ durch das Ganze fördern können. Was Sie sagen, leuchtet mir ein. Aber soll nun Politik im engern Sinne, wie sie doch gewöhnlich verstanden wird, in der Schule gelehrt werden; oder vielmehr, wie soll und kann sie in der Schule gelehrt werden? Vor allem ist doch zu beachten, daß man es in der Schule, auch in der höhern Schule, mit jugendlichen Kräften zu tun hat. Man wird also alles fernhalten müssen, was der jugendliche Geist noch nicht fassen, was nur von dem reifern Alter verarbeitet werden kann, und dahin gehört unter allen Um¬ ständen die eigentliche Politik, äußere sowohl als innere; die ist also aus der Schule unbedingt wegzulassen. Es ist überhaupt nicht die Aufgabe der Schule, fertige Menschen zu liefern, sondern die einzige Aufgabe der Schule ist es, ihre Zöglinge durch Unterricht und Erziehung für das Leben vorzubereiten. Die Selbsterziehung, die Selbstbildung hat das Werk der Schule und Familie weiter¬ zuführen. Wehe denen, die glauben, daß sie fertig seien, wenn sie das Eltern¬ haus oder die Schule verlassen! Ach, wie freue ich mich, das von Ihnen zu hören! Wie hoch heben Sie durch diese natürliche und gesunde Beschränkung gerade die beste Schulbildung! Aber die tatsächlichen Unterlagen der politischen Bildung können doch wohl wenigstens die ältern Schüler der höhern Schulen, also die Primaner, als sichern Besitz ins Leben mitnehmen? Ganz gewiß. Ich halte es für selbstverständlich, daß der Primaner mit der Verfassung und Gesetzgebung seines Volkes, soweit diese zum Verständnis des politischen Lebens nötig ist, bekannt gemacht wird. Aber damit ist die Aufgabe der Schule erfüllt. Wir beschränken also die Aufgabe der Schule auf das natürliche Maß: dieses aber ist gerade groß genug. Wenn wir auch die Politik selbst, etwa die Behandlung schwebender diplomatischer Verhandlungen oder gar Fragen der innern und Parteipolitik aus der Schule verbannen, so können und Müssen wir doch den jugendlichen Geist empfänglich machen für das Verständnis der wichtigsten politischen Fragen, wir müssen den Boden so bereiten, daß er später gesunde Früchte tragen kann, die zum Heile des Vaterlands ausreifen. Vornehmlich nun scheint die Geschichte, die vaterländische sowohl als die andrer Völker, dazu berufen, diesen Zweck zu erfüllen, daß dem Schüler die geschichtlichen Tatsachen im Zusammenhang und unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung überliefert werden, daß er die oben entwickelten Lehren von dem Zusammen¬ hang und der Gliederung der menschlichen Gesellschaft begreifen lernt — ab¬ gesehen davon, daß er aus den großen und edeln Taten hervorragender Per¬ sönlichkeiten Begeisterung und Mut zu eigner Tätigkeit schöpft und vaterlands¬ lose Gesinnung beizeiten von Grund seines Herzens verachten lernt. Denn hell und glänzend ragen die edeln Häupter der Völker hervor, und tief im Staub versunken erscheinen die Verräter. Die geschichtlichen Tatsachen aber, aus denen wir solche Lehren schöpfen und den Zöglingen mitteilen, liefert nicht bloß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/185>, abgerufen am 24.07.2024.