Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Politik in der Schule

Lage, nach zahllosen äußern und innern Einflüssen haben sich die verschiedensten
Gemeinschaften herausgebildet und die Mitglieder dieser Gemeinschaften unter¬
einander abgegliedert, sich unterschieden in Klassen, Stände, Berufe usw., denn
nicht nur der menschliche Geist hat das unabweisbare Bedürfnis zu klassi¬
fizieren, d. h. überall das Gleichartige zu verbinden, das Ungleichartige zu
trennen, sich selbst also zur Außenwelt in ein logisches Verhältnis zu setzen;
sondern diesem Vorgang analog ist der ebenso gebieterische Trieb, innerhalb
der menschlichen Gesellschaft selbst solche Gliederungen, Vereinigungen und
Trennungen vorzunehmen, und das bedeutet für jeden, sich selbst zur mensch¬
lichen Gesellschaft im ganzen und einzelnen in ein persönliches Verhältnis zu
setzen. Diese Gedanken im großen einsehen und auch im kleinen durchführen
zu können, ist die Grundlage der politischen Bildung; demgemäß wird die
politische Erziehung darauf gerichtet sein müssen, die einzelnen zukünftigen Bürger
-- die Schüler -- so vorzubereiten, daß sie später imstande sein werden, den
Gedanken der staatlichen Gliederung nicht nur theoretisch zu fassen, sondern auch
praktisch durchzuführen, vor allen Dingen an der eignen Person. Damit haben wir
also eine sichre Grundlage für nationale Erziehung gewonnen, auf der das mächtige
Gebäude einer allgemeinen national-politischen Bildung mit Vertrauen errichtet
werden kann. Wenn wir näher zusehen, werden wir finden, daß dieser Gedanke
außerordentlich fruchtbar ist. In allen nur denkbaren menschlichen Verhältnissen
finden wir jene Gliederungen; wir sehen sie in der Familie, in kleinern und
größern Verbänden jeder Art, schließlich im Staate selbst. In der Familie
gebietet die Autorität des Vaters über das Ganze, ohne daß deshalb die
andern Glieder der Familie rechtlos wären; im Gegenteil, wenn nicht jeder
seine Aufgabe leistet und seine Stellung ganz ausfüllt, so kann die väterliche
Autorität allein nichts oder doch nicht genug wirken. So ist es in der er¬
weiterten Familie, in einem großen Verwandtenkreis, wo eine Person wegen
irgendwelcher Vorzüge besondres Vertrauen und Ansehen bei den übrigen ge¬
nießt und dadurch der autoritative Mittelpunkt des Ganzen wird. Die Familie
gibt darin das Muster ab für alle sonstigen zahllosen Verbände: Stadt, Kreis,
Bezirk, Provinz, dann wieder die einzelnen Berufsgenossenschaften, Stände,
Korporationen jeder Art usw. Alles dieses sind solche Gliederungen des
Ganzen, und sie organisieren sich untereinander wieder in derselben Weise: die
allem gemeinsame Grundlage des Menschlichen, darüber die autoritative Spitze,
zwischen beiden die verbindenden Mittelglieder; es sind gewissermaßen lauter
einzelne Pyramiden, an Größe sehr ungleich, deren vielfach kom- und divergierende
Linien schließlich doch alle nach der obersten Spitze der riesigen Staatspyramide,
die alle die kleinen umfaßt und enthält, gerichtet sind. Darüber also soll sich
der gute Staatsbürger klar sein oder unablässig bemüht sein, in den Begriff
und die Bedeutung des staatlichen Organismus einzudringen, ihn zu verstehn
als eine wohltätige Ordnung der menschlichen Gesellschaft. Die Freiheit und
Selbständigkeit bleibt deshalb der einzelnen Persönlichkeit doch gewahrt; ja je


Politik in der Schule

Lage, nach zahllosen äußern und innern Einflüssen haben sich die verschiedensten
Gemeinschaften herausgebildet und die Mitglieder dieser Gemeinschaften unter¬
einander abgegliedert, sich unterschieden in Klassen, Stände, Berufe usw., denn
nicht nur der menschliche Geist hat das unabweisbare Bedürfnis zu klassi¬
fizieren, d. h. überall das Gleichartige zu verbinden, das Ungleichartige zu
trennen, sich selbst also zur Außenwelt in ein logisches Verhältnis zu setzen;
sondern diesem Vorgang analog ist der ebenso gebieterische Trieb, innerhalb
der menschlichen Gesellschaft selbst solche Gliederungen, Vereinigungen und
Trennungen vorzunehmen, und das bedeutet für jeden, sich selbst zur mensch¬
lichen Gesellschaft im ganzen und einzelnen in ein persönliches Verhältnis zu
setzen. Diese Gedanken im großen einsehen und auch im kleinen durchführen
zu können, ist die Grundlage der politischen Bildung; demgemäß wird die
politische Erziehung darauf gerichtet sein müssen, die einzelnen zukünftigen Bürger
— die Schüler — so vorzubereiten, daß sie später imstande sein werden, den
Gedanken der staatlichen Gliederung nicht nur theoretisch zu fassen, sondern auch
praktisch durchzuführen, vor allen Dingen an der eignen Person. Damit haben wir
also eine sichre Grundlage für nationale Erziehung gewonnen, auf der das mächtige
Gebäude einer allgemeinen national-politischen Bildung mit Vertrauen errichtet
werden kann. Wenn wir näher zusehen, werden wir finden, daß dieser Gedanke
außerordentlich fruchtbar ist. In allen nur denkbaren menschlichen Verhältnissen
finden wir jene Gliederungen; wir sehen sie in der Familie, in kleinern und
größern Verbänden jeder Art, schließlich im Staate selbst. In der Familie
gebietet die Autorität des Vaters über das Ganze, ohne daß deshalb die
andern Glieder der Familie rechtlos wären; im Gegenteil, wenn nicht jeder
seine Aufgabe leistet und seine Stellung ganz ausfüllt, so kann die väterliche
Autorität allein nichts oder doch nicht genug wirken. So ist es in der er¬
weiterten Familie, in einem großen Verwandtenkreis, wo eine Person wegen
irgendwelcher Vorzüge besondres Vertrauen und Ansehen bei den übrigen ge¬
nießt und dadurch der autoritative Mittelpunkt des Ganzen wird. Die Familie
gibt darin das Muster ab für alle sonstigen zahllosen Verbände: Stadt, Kreis,
Bezirk, Provinz, dann wieder die einzelnen Berufsgenossenschaften, Stände,
Korporationen jeder Art usw. Alles dieses sind solche Gliederungen des
Ganzen, und sie organisieren sich untereinander wieder in derselben Weise: die
allem gemeinsame Grundlage des Menschlichen, darüber die autoritative Spitze,
zwischen beiden die verbindenden Mittelglieder; es sind gewissermaßen lauter
einzelne Pyramiden, an Größe sehr ungleich, deren vielfach kom- und divergierende
Linien schließlich doch alle nach der obersten Spitze der riesigen Staatspyramide,
die alle die kleinen umfaßt und enthält, gerichtet sind. Darüber also soll sich
der gute Staatsbürger klar sein oder unablässig bemüht sein, in den Begriff
und die Bedeutung des staatlichen Organismus einzudringen, ihn zu verstehn
als eine wohltätige Ordnung der menschlichen Gesellschaft. Die Freiheit und
Selbständigkeit bleibt deshalb der einzelnen Persönlichkeit doch gewahrt; ja je


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311871"/>
          <fw type="header" place="top"> Politik in der Schule</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_796" prev="#ID_795" next="#ID_797"> Lage, nach zahllosen äußern und innern Einflüssen haben sich die verschiedensten<lb/>
Gemeinschaften herausgebildet und die Mitglieder dieser Gemeinschaften unter¬<lb/>
einander abgegliedert, sich unterschieden in Klassen, Stände, Berufe usw., denn<lb/>
nicht nur der menschliche Geist hat das unabweisbare Bedürfnis zu klassi¬<lb/>
fizieren, d. h. überall das Gleichartige zu verbinden, das Ungleichartige zu<lb/>
trennen, sich selbst also zur Außenwelt in ein logisches Verhältnis zu setzen;<lb/>
sondern diesem Vorgang analog ist der ebenso gebieterische Trieb, innerhalb<lb/>
der menschlichen Gesellschaft selbst solche Gliederungen, Vereinigungen und<lb/>
Trennungen vorzunehmen, und das bedeutet für jeden, sich selbst zur mensch¬<lb/>
lichen Gesellschaft im ganzen und einzelnen in ein persönliches Verhältnis zu<lb/>
setzen. Diese Gedanken im großen einsehen und auch im kleinen durchführen<lb/>
zu können, ist die Grundlage der politischen Bildung; demgemäß wird die<lb/>
politische Erziehung darauf gerichtet sein müssen, die einzelnen zukünftigen Bürger<lb/>
&#x2014; die Schüler &#x2014; so vorzubereiten, daß sie später imstande sein werden, den<lb/>
Gedanken der staatlichen Gliederung nicht nur theoretisch zu fassen, sondern auch<lb/>
praktisch durchzuführen, vor allen Dingen an der eignen Person. Damit haben wir<lb/>
also eine sichre Grundlage für nationale Erziehung gewonnen, auf der das mächtige<lb/>
Gebäude einer allgemeinen national-politischen Bildung mit Vertrauen errichtet<lb/>
werden kann. Wenn wir näher zusehen, werden wir finden, daß dieser Gedanke<lb/>
außerordentlich fruchtbar ist. In allen nur denkbaren menschlichen Verhältnissen<lb/>
finden wir jene Gliederungen; wir sehen sie in der Familie, in kleinern und<lb/>
größern Verbänden jeder Art, schließlich im Staate selbst. In der Familie<lb/>
gebietet die Autorität des Vaters über das Ganze, ohne daß deshalb die<lb/>
andern Glieder der Familie rechtlos wären; im Gegenteil, wenn nicht jeder<lb/>
seine Aufgabe leistet und seine Stellung ganz ausfüllt, so kann die väterliche<lb/>
Autorität allein nichts oder doch nicht genug wirken. So ist es in der er¬<lb/>
weiterten Familie, in einem großen Verwandtenkreis, wo eine Person wegen<lb/>
irgendwelcher Vorzüge besondres Vertrauen und Ansehen bei den übrigen ge¬<lb/>
nießt und dadurch der autoritative Mittelpunkt des Ganzen wird. Die Familie<lb/>
gibt darin das Muster ab für alle sonstigen zahllosen Verbände: Stadt, Kreis,<lb/>
Bezirk, Provinz, dann wieder die einzelnen Berufsgenossenschaften, Stände,<lb/>
Korporationen jeder Art usw. Alles dieses sind solche Gliederungen des<lb/>
Ganzen, und sie organisieren sich untereinander wieder in derselben Weise: die<lb/>
allem gemeinsame Grundlage des Menschlichen, darüber die autoritative Spitze,<lb/>
zwischen beiden die verbindenden Mittelglieder; es sind gewissermaßen lauter<lb/>
einzelne Pyramiden, an Größe sehr ungleich, deren vielfach kom- und divergierende<lb/>
Linien schließlich doch alle nach der obersten Spitze der riesigen Staatspyramide,<lb/>
die alle die kleinen umfaßt und enthält, gerichtet sind. Darüber also soll sich<lb/>
der gute Staatsbürger klar sein oder unablässig bemüht sein, in den Begriff<lb/>
und die Bedeutung des staatlichen Organismus einzudringen, ihn zu verstehn<lb/>
als eine wohltätige Ordnung der menschlichen Gesellschaft. Die Freiheit und<lb/>
Selbständigkeit bleibt deshalb der einzelnen Persönlichkeit doch gewahrt; ja je</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0184] Politik in der Schule Lage, nach zahllosen äußern und innern Einflüssen haben sich die verschiedensten Gemeinschaften herausgebildet und die Mitglieder dieser Gemeinschaften unter¬ einander abgegliedert, sich unterschieden in Klassen, Stände, Berufe usw., denn nicht nur der menschliche Geist hat das unabweisbare Bedürfnis zu klassi¬ fizieren, d. h. überall das Gleichartige zu verbinden, das Ungleichartige zu trennen, sich selbst also zur Außenwelt in ein logisches Verhältnis zu setzen; sondern diesem Vorgang analog ist der ebenso gebieterische Trieb, innerhalb der menschlichen Gesellschaft selbst solche Gliederungen, Vereinigungen und Trennungen vorzunehmen, und das bedeutet für jeden, sich selbst zur mensch¬ lichen Gesellschaft im ganzen und einzelnen in ein persönliches Verhältnis zu setzen. Diese Gedanken im großen einsehen und auch im kleinen durchführen zu können, ist die Grundlage der politischen Bildung; demgemäß wird die politische Erziehung darauf gerichtet sein müssen, die einzelnen zukünftigen Bürger — die Schüler — so vorzubereiten, daß sie später imstande sein werden, den Gedanken der staatlichen Gliederung nicht nur theoretisch zu fassen, sondern auch praktisch durchzuführen, vor allen Dingen an der eignen Person. Damit haben wir also eine sichre Grundlage für nationale Erziehung gewonnen, auf der das mächtige Gebäude einer allgemeinen national-politischen Bildung mit Vertrauen errichtet werden kann. Wenn wir näher zusehen, werden wir finden, daß dieser Gedanke außerordentlich fruchtbar ist. In allen nur denkbaren menschlichen Verhältnissen finden wir jene Gliederungen; wir sehen sie in der Familie, in kleinern und größern Verbänden jeder Art, schließlich im Staate selbst. In der Familie gebietet die Autorität des Vaters über das Ganze, ohne daß deshalb die andern Glieder der Familie rechtlos wären; im Gegenteil, wenn nicht jeder seine Aufgabe leistet und seine Stellung ganz ausfüllt, so kann die väterliche Autorität allein nichts oder doch nicht genug wirken. So ist es in der er¬ weiterten Familie, in einem großen Verwandtenkreis, wo eine Person wegen irgendwelcher Vorzüge besondres Vertrauen und Ansehen bei den übrigen ge¬ nießt und dadurch der autoritative Mittelpunkt des Ganzen wird. Die Familie gibt darin das Muster ab für alle sonstigen zahllosen Verbände: Stadt, Kreis, Bezirk, Provinz, dann wieder die einzelnen Berufsgenossenschaften, Stände, Korporationen jeder Art usw. Alles dieses sind solche Gliederungen des Ganzen, und sie organisieren sich untereinander wieder in derselben Weise: die allem gemeinsame Grundlage des Menschlichen, darüber die autoritative Spitze, zwischen beiden die verbindenden Mittelglieder; es sind gewissermaßen lauter einzelne Pyramiden, an Größe sehr ungleich, deren vielfach kom- und divergierende Linien schließlich doch alle nach der obersten Spitze der riesigen Staatspyramide, die alle die kleinen umfaßt und enthält, gerichtet sind. Darüber also soll sich der gute Staatsbürger klar sein oder unablässig bemüht sein, in den Begriff und die Bedeutung des staatlichen Organismus einzudringen, ihn zu verstehn als eine wohltätige Ordnung der menschlichen Gesellschaft. Die Freiheit und Selbständigkeit bleibt deshalb der einzelnen Persönlichkeit doch gewahrt; ja je

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/184
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/184>, abgerufen am 24.07.2024.