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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Politik in der Schule

der Fachleute nicht weniger als die der Laien auseinander. Und es ist in der
Tat schwer, da die richtige Formel zu finden. Manche wollen der Schule in
dieser Beziehung gar keinen oder einen möglichst geringen Anteil zugestehn
und alles der Familie und dem Leben überlassen. Aber der Einfluß der
Schulen auf die Entwicklung der Anschauungen der Zöglinge ist unleugbar so
groß, daß man daran nicht einfach vorübergehn kann. Schule in engerm Sinne
und Erziehung in ethischem Sinne, das heißt Gehirn- und Herzbildung, sind
gewissermaßen zwei Kreise, die sich schneiden; und das Geheimnis aller Schul¬
pädagogik besteht darin, das richtige Verhältnis zwischen dem von beiden Kreisen
gemeinsam eingeschloßnen Stück und den beiden selbständigen Teilen der Kreise
zu finden. Dieses Verhältnis läßt sich allerdings nicht mathematisch aus¬
drücken, da und insofern es sich um Menschen, das heißt um lebendige Per¬
sönlichkeiten handelt, nicht um Ziffern. Sollten sich beide Kreise nun berühren
oder ganz decken, beides wäre ein Unglück. Das Verhältnis wird sich je nach
der Individualität der Lehrer und der Zöglinge sehr verschiedenartig gestalten,
und ein bestimmter pädagogischer Kanon läßt sich nicht aufstellen.

Ich meine, es handelt sich also um die pol^

Ganz richtig, aber bevor wir etwas darüber festen wie wir die Zög¬
linge erziehen, müssen wir erst untersuchen, was der Inhalt der Erziehung ist.
worauf es ankommt, was wir erreichen wollen; wu muss^ mit einem Worte
den Begriff des Ideals eines Staatsbürgers feststellen. Wir wollen unter-
suchen, was für Gesinnungen und Eigenschaften em Mensch haben muß. um
innerhalb des Staatsorganismus die beste Verwendung zu finden, und dann die
weitere Frage beantworten- Was kann die Schule dazu tun. dieses ^deal zu
erreichen.

Das leuchtet mir ein.

^. . . ^ ^ - <in ^
Wenn wir von der sehr einfachen Tatsache ausgehn, daß es Menschen
sind, die den Staat bilden. Menschen, die wir in ihrer Beziehung zum Staat
Bürger nennen, so werden wir. um das Ideal des Staatsbürgers zu finden.
Zweierlei untersuchen müssen: 1. Was hat der einzelne Mensch als solcher zu
leisten, was heißt es überhaupt: ein Mensch sem; und 2 welches Verhältnis
h°t der Einzelne zum Ganzen, zur menschlichen Gesellschaft was heiß es. em
politischer Mensch zu sein. ..Ernst ist das Leben, heiter die Kunst", ist ein oft
Zitierter, wenig verstandner Satz. Für jeden einzelnen, meine ich. gilt das in dem
Sinne: Ernst und heiter zugleich ist das Leben, ernst in der moralischen, heuer in der
künstlerischen Bedeutung. Diese beiden, der moralische Ernst und die künstlerische
Heiterkeit, umschließen alles, wenn man es erst recht versteht. ..Zwei Seelen
wohnen, ach. in meiner Brust", sagt Faust, und das kaun in gewissem Sinne
jeder von sich sagen, wobei nur das ..ach" in diesem Satze je nachdem eme
verschiedne Färbung annehmen wird. Das gilt vom Armen und Reichen, vom
Gebildeten und Ungebildeten, vom Manne und von der Frau. Jedes Ding
hat seine zwei Seiten, das Leben auch, nämlich seine ernste und seine heitere


Politik in der Schule

der Fachleute nicht weniger als die der Laien auseinander. Und es ist in der
Tat schwer, da die richtige Formel zu finden. Manche wollen der Schule in
dieser Beziehung gar keinen oder einen möglichst geringen Anteil zugestehn
und alles der Familie und dem Leben überlassen. Aber der Einfluß der
Schulen auf die Entwicklung der Anschauungen der Zöglinge ist unleugbar so
groß, daß man daran nicht einfach vorübergehn kann. Schule in engerm Sinne
und Erziehung in ethischem Sinne, das heißt Gehirn- und Herzbildung, sind
gewissermaßen zwei Kreise, die sich schneiden; und das Geheimnis aller Schul¬
pädagogik besteht darin, das richtige Verhältnis zwischen dem von beiden Kreisen
gemeinsam eingeschloßnen Stück und den beiden selbständigen Teilen der Kreise
zu finden. Dieses Verhältnis läßt sich allerdings nicht mathematisch aus¬
drücken, da und insofern es sich um Menschen, das heißt um lebendige Per¬
sönlichkeiten handelt, nicht um Ziffern. Sollten sich beide Kreise nun berühren
oder ganz decken, beides wäre ein Unglück. Das Verhältnis wird sich je nach
der Individualität der Lehrer und der Zöglinge sehr verschiedenartig gestalten,
und ein bestimmter pädagogischer Kanon läßt sich nicht aufstellen.

Ich meine, es handelt sich also um die pol^

Ganz richtig, aber bevor wir etwas darüber festen wie wir die Zög¬
linge erziehen, müssen wir erst untersuchen, was der Inhalt der Erziehung ist.
worauf es ankommt, was wir erreichen wollen; wu muss^ mit einem Worte
den Begriff des Ideals eines Staatsbürgers feststellen. Wir wollen unter-
suchen, was für Gesinnungen und Eigenschaften em Mensch haben muß. um
innerhalb des Staatsorganismus die beste Verwendung zu finden, und dann die
weitere Frage beantworten- Was kann die Schule dazu tun. dieses ^deal zu
erreichen.

Das leuchtet mir ein.

^. . . ^ ^ - <in ^
Wenn wir von der sehr einfachen Tatsache ausgehn, daß es Menschen
sind, die den Staat bilden. Menschen, die wir in ihrer Beziehung zum Staat
Bürger nennen, so werden wir. um das Ideal des Staatsbürgers zu finden.
Zweierlei untersuchen müssen: 1. Was hat der einzelne Mensch als solcher zu
leisten, was heißt es überhaupt: ein Mensch sem; und 2 welches Verhältnis
h°t der Einzelne zum Ganzen, zur menschlichen Gesellschaft was heiß es. em
politischer Mensch zu sein. ..Ernst ist das Leben, heiter die Kunst", ist ein oft
Zitierter, wenig verstandner Satz. Für jeden einzelnen, meine ich. gilt das in dem
Sinne: Ernst und heiter zugleich ist das Leben, ernst in der moralischen, heuer in der
künstlerischen Bedeutung. Diese beiden, der moralische Ernst und die künstlerische
Heiterkeit, umschließen alles, wenn man es erst recht versteht. ..Zwei Seelen
wohnen, ach. in meiner Brust", sagt Faust, und das kaun in gewissem Sinne
jeder von sich sagen, wobei nur das ..ach" in diesem Satze je nachdem eme
verschiedne Färbung annehmen wird. Das gilt vom Armen und Reichen, vom
Gebildeten und Ungebildeten, vom Manne und von der Frau. Jedes Ding
hat seine zwei Seiten, das Leben auch, nämlich seine ernste und seine heitere


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[0179] Politik in der Schule der Fachleute nicht weniger als die der Laien auseinander. Und es ist in der Tat schwer, da die richtige Formel zu finden. Manche wollen der Schule in dieser Beziehung gar keinen oder einen möglichst geringen Anteil zugestehn und alles der Familie und dem Leben überlassen. Aber der Einfluß der Schulen auf die Entwicklung der Anschauungen der Zöglinge ist unleugbar so groß, daß man daran nicht einfach vorübergehn kann. Schule in engerm Sinne und Erziehung in ethischem Sinne, das heißt Gehirn- und Herzbildung, sind gewissermaßen zwei Kreise, die sich schneiden; und das Geheimnis aller Schul¬ pädagogik besteht darin, das richtige Verhältnis zwischen dem von beiden Kreisen gemeinsam eingeschloßnen Stück und den beiden selbständigen Teilen der Kreise zu finden. Dieses Verhältnis läßt sich allerdings nicht mathematisch aus¬ drücken, da und insofern es sich um Menschen, das heißt um lebendige Per¬ sönlichkeiten handelt, nicht um Ziffern. Sollten sich beide Kreise nun berühren oder ganz decken, beides wäre ein Unglück. Das Verhältnis wird sich je nach der Individualität der Lehrer und der Zöglinge sehr verschiedenartig gestalten, und ein bestimmter pädagogischer Kanon läßt sich nicht aufstellen. Ich meine, es handelt sich also um die pol^ Ganz richtig, aber bevor wir etwas darüber festen wie wir die Zög¬ linge erziehen, müssen wir erst untersuchen, was der Inhalt der Erziehung ist. worauf es ankommt, was wir erreichen wollen; wu muss^ mit einem Worte den Begriff des Ideals eines Staatsbürgers feststellen. Wir wollen unter- suchen, was für Gesinnungen und Eigenschaften em Mensch haben muß. um innerhalb des Staatsorganismus die beste Verwendung zu finden, und dann die weitere Frage beantworten- Was kann die Schule dazu tun. dieses ^deal zu erreichen. Das leuchtet mir ein. ^. . . ^ ^ - <in ^ Wenn wir von der sehr einfachen Tatsache ausgehn, daß es Menschen sind, die den Staat bilden. Menschen, die wir in ihrer Beziehung zum Staat Bürger nennen, so werden wir. um das Ideal des Staatsbürgers zu finden. Zweierlei untersuchen müssen: 1. Was hat der einzelne Mensch als solcher zu leisten, was heißt es überhaupt: ein Mensch sem; und 2 welches Verhältnis h°t der Einzelne zum Ganzen, zur menschlichen Gesellschaft was heiß es. em politischer Mensch zu sein. ..Ernst ist das Leben, heiter die Kunst", ist ein oft Zitierter, wenig verstandner Satz. Für jeden einzelnen, meine ich. gilt das in dem Sinne: Ernst und heiter zugleich ist das Leben, ernst in der moralischen, heuer in der künstlerischen Bedeutung. Diese beiden, der moralische Ernst und die künstlerische Heiterkeit, umschließen alles, wenn man es erst recht versteht. ..Zwei Seelen wohnen, ach. in meiner Brust", sagt Faust, und das kaun in gewissem Sinne jeder von sich sagen, wobei nur das ..ach" in diesem Satze je nachdem eme verschiedne Färbung annehmen wird. Das gilt vom Armen und Reichen, vom Gebildeten und Ungebildeten, vom Manne und von der Frau. Jedes Ding hat seine zwei Seiten, das Leben auch, nämlich seine ernste und seine heitere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/179>, abgerufen am 26.07.2024.