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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Lingersdorfer Brücke

... Du liebe Zeit, der hatte ja wohl selber Angst? ... Und schnell nahm sie
die Hände vom Gesicht, wischte sich mit dem Vlusenärmel energisch die Tränen ab
und sah ihn mit großen Augen an.

Wie ein neugieriges braunes Eichhörnchen lugte sie aus dem Busch und hielt
seinen Blicken still, die nun wieder mit jenem eigentümlichen, still fordernden Ausdruck
auf ihr lagen, den sie so wohl kannte, und der ihr so unheimlich vorgekommen war.

Doch mit einemmal fürchtete sie sich gar nicht mehr. Nur eine warme Röte
ging über ihr Gesicht.

Dann sagte sie: Ich kann ja nich über die Brücke!

Warum denn nich?

Ach, sie strich sich das Haar zurück und lachte leise, ich trau mich nich, ich
denke, ich falle ins Wasser!

All ihre Keckheit war wieder da.

Komm, führe mich, dann gehts -- und sie stand auf und trat zu ihm.

Er nahm gehorsam ihre Hand, und so gingen sie der Brücke zu.

Das Wasser glänzte nun silbern unter dem leichten Dunst, und am roten
Abendhimmel drüben zeigte sich ein blasser Mond.

Als sie auf den Steg traten, hielt sie sich dicht hinter ihm und sah fest auf
seinen breiten Rücken. Doch plötzlich kams wieder über sie: O je! sie schwankte
und griff nach ihm.

Aber schon stand er an ihrer Seite: Mach doch die Augen zu! und dann legte
er fest den Arm um sie lind führte sie so hinüber.

Und war ihm eher zumute wie einer Mutter, die sorglich ihr Kind hält, als
wie einem, der mit der Liebsten geht.

Das alte Holz ächzte unter seiner Last, sie drückte sich enger an ihn. Dann
waren sie am andern Ufer.

Lene fühlte es wohl am weichen Erdboden unter ihren Füßen und hörte auch
neben sich das feine Knistern und Rauschen im jungen Korn, aber sie machte die
Augen nicht auf. Sie ging in seinen Arm geschmiegt, und ihr war wunderlich in
Kopf und Herzen.

Du ...

Nun sah sie auf.

Du ... ich will dich ...

Da war es, was sie so sehr gefürchtet hatte, und sie erschrak nicht. Nun
mußte es ja so kommen.

Doch taten ihr die schlichten Worte wohl und weh zugleich; denn wie das
genieint war bei einem so reichen Burschen, das wußte sie wohl.

So sagte sie nichts und sah zur Erde, drückte sich aber fester in seinen Arm.

Heiraten wolln wir zusammen.

Ach du! hastig machte sie sich von ihm los, red doch nich so!

Ganz erstaunt suchte er sie festzuhalten.

Je>, was is denn?

Ich weiß doch, wer du bist.

Na, was denn?

Sie wandte sich weg von ihm: Red doch nich so!
Du glaubsts nich?

Ruhig drehte er sie an den Schultern zu sich herum, bis sie wieder dicht vor
ihm stand, und als sie ihn nun mit den glänzenden Augen von unten her so trotzig,
ungläubig ansah, und die warmen Lippen eben zu einer ihrer raschen Reden öffnen
wollte, hob er sie ein wenig ans und küßte sie auf den Mund.


Grenzboten II 1908 20
Die Lingersdorfer Brücke

... Du liebe Zeit, der hatte ja wohl selber Angst? ... Und schnell nahm sie
die Hände vom Gesicht, wischte sich mit dem Vlusenärmel energisch die Tränen ab
und sah ihn mit großen Augen an.

Wie ein neugieriges braunes Eichhörnchen lugte sie aus dem Busch und hielt
seinen Blicken still, die nun wieder mit jenem eigentümlichen, still fordernden Ausdruck
auf ihr lagen, den sie so wohl kannte, und der ihr so unheimlich vorgekommen war.

Doch mit einemmal fürchtete sie sich gar nicht mehr. Nur eine warme Röte
ging über ihr Gesicht.

Dann sagte sie: Ich kann ja nich über die Brücke!

Warum denn nich?

Ach, sie strich sich das Haar zurück und lachte leise, ich trau mich nich, ich
denke, ich falle ins Wasser!

All ihre Keckheit war wieder da.

Komm, führe mich, dann gehts — und sie stand auf und trat zu ihm.

Er nahm gehorsam ihre Hand, und so gingen sie der Brücke zu.

Das Wasser glänzte nun silbern unter dem leichten Dunst, und am roten
Abendhimmel drüben zeigte sich ein blasser Mond.

Als sie auf den Steg traten, hielt sie sich dicht hinter ihm und sah fest auf
seinen breiten Rücken. Doch plötzlich kams wieder über sie: O je! sie schwankte
und griff nach ihm.

Aber schon stand er an ihrer Seite: Mach doch die Augen zu! und dann legte
er fest den Arm um sie lind führte sie so hinüber.

Und war ihm eher zumute wie einer Mutter, die sorglich ihr Kind hält, als
wie einem, der mit der Liebsten geht.

Das alte Holz ächzte unter seiner Last, sie drückte sich enger an ihn. Dann
waren sie am andern Ufer.

Lene fühlte es wohl am weichen Erdboden unter ihren Füßen und hörte auch
neben sich das feine Knistern und Rauschen im jungen Korn, aber sie machte die
Augen nicht auf. Sie ging in seinen Arm geschmiegt, und ihr war wunderlich in
Kopf und Herzen.

Du ...

Nun sah sie auf.

Du ... ich will dich ...

Da war es, was sie so sehr gefürchtet hatte, und sie erschrak nicht. Nun
mußte es ja so kommen.

Doch taten ihr die schlichten Worte wohl und weh zugleich; denn wie das
genieint war bei einem so reichen Burschen, das wußte sie wohl.

So sagte sie nichts und sah zur Erde, drückte sich aber fester in seinen Arm.

Heiraten wolln wir zusammen.

Ach du! hastig machte sie sich von ihm los, red doch nich so!

Ganz erstaunt suchte er sie festzuhalten.

Je>, was is denn?

Ich weiß doch, wer du bist.

Na, was denn?

Sie wandte sich weg von ihm: Red doch nich so!
Du glaubsts nich?

Ruhig drehte er sie an den Schultern zu sich herum, bis sie wieder dicht vor
ihm stand, und als sie ihn nun mit den glänzenden Augen von unten her so trotzig,
ungläubig ansah, und die warmen Lippen eben zu einer ihrer raschen Reden öffnen
wollte, hob er sie ein wenig ans und küßte sie auf den Mund.


Grenzboten II 1908 20
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[0157] Die Lingersdorfer Brücke ... Du liebe Zeit, der hatte ja wohl selber Angst? ... Und schnell nahm sie die Hände vom Gesicht, wischte sich mit dem Vlusenärmel energisch die Tränen ab und sah ihn mit großen Augen an. Wie ein neugieriges braunes Eichhörnchen lugte sie aus dem Busch und hielt seinen Blicken still, die nun wieder mit jenem eigentümlichen, still fordernden Ausdruck auf ihr lagen, den sie so wohl kannte, und der ihr so unheimlich vorgekommen war. Doch mit einemmal fürchtete sie sich gar nicht mehr. Nur eine warme Röte ging über ihr Gesicht. Dann sagte sie: Ich kann ja nich über die Brücke! Warum denn nich? Ach, sie strich sich das Haar zurück und lachte leise, ich trau mich nich, ich denke, ich falle ins Wasser! All ihre Keckheit war wieder da. Komm, führe mich, dann gehts — und sie stand auf und trat zu ihm. Er nahm gehorsam ihre Hand, und so gingen sie der Brücke zu. Das Wasser glänzte nun silbern unter dem leichten Dunst, und am roten Abendhimmel drüben zeigte sich ein blasser Mond. Als sie auf den Steg traten, hielt sie sich dicht hinter ihm und sah fest auf seinen breiten Rücken. Doch plötzlich kams wieder über sie: O je! sie schwankte und griff nach ihm. Aber schon stand er an ihrer Seite: Mach doch die Augen zu! und dann legte er fest den Arm um sie lind führte sie so hinüber. Und war ihm eher zumute wie einer Mutter, die sorglich ihr Kind hält, als wie einem, der mit der Liebsten geht. Das alte Holz ächzte unter seiner Last, sie drückte sich enger an ihn. Dann waren sie am andern Ufer. Lene fühlte es wohl am weichen Erdboden unter ihren Füßen und hörte auch neben sich das feine Knistern und Rauschen im jungen Korn, aber sie machte die Augen nicht auf. Sie ging in seinen Arm geschmiegt, und ihr war wunderlich in Kopf und Herzen. Du ... Nun sah sie auf. Du ... ich will dich ... Da war es, was sie so sehr gefürchtet hatte, und sie erschrak nicht. Nun mußte es ja so kommen. Doch taten ihr die schlichten Worte wohl und weh zugleich; denn wie das genieint war bei einem so reichen Burschen, das wußte sie wohl. So sagte sie nichts und sah zur Erde, drückte sich aber fester in seinen Arm. Heiraten wolln wir zusammen. Ach du! hastig machte sie sich von ihm los, red doch nich so! Ganz erstaunt suchte er sie festzuhalten. Je>, was is denn? Ich weiß doch, wer du bist. Na, was denn? Sie wandte sich weg von ihm: Red doch nich so! Du glaubsts nich? Ruhig drehte er sie an den Schultern zu sich herum, bis sie wieder dicht vor ihm stand, und als sie ihn nun mit den glänzenden Augen von unten her so trotzig, ungläubig ansah, und die warmen Lippen eben zu einer ihrer raschen Reden öffnen wollte, hob er sie ein wenig ans und küßte sie auf den Mund. Grenzboten II 1908 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/157>, abgerufen am 24.07.2024.