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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens

September mit einem Bombardier nach Memel abging. Damit beginnt die Idylle,
von der ich oben sprach: zwei Artillericunterofsiziere schaffen den Schuppen des
Rettungsboots am Meeresstrande zu einem Feuerwerkslaboratorium um, sie
machen Sprengkörper, nicht zur Zerstörung, sondern zur Erhaltung von Menschen¬
leben, sie schleudern aus einem Mörser wiudwcirts Geschosse in See, nicht um
einem Schiffe den Strand zu wehren, sondern um eine schwanke Brücke über die
Kluft zu legen, die vom Tod bedrohte Brüder vom Ufer trennt, sie üben und
lehren die Künste, die sie gelernt haben, um Leben zu vernichten, im Dienste der
lebenerhaltenden Liebe.

Es waren zwei brave Soldaten, ihr Kommandeur hatte die Sache, die ihm
selbst lieb war, nicht schlechten Händen anvertraut. Der Oberfeuerwerker ver¬
stand mit der Feder trefflich umzugehn, er war Lehrer an der Brigadeschule,
die von ihm herrührenden Schriftstücke in den Akten der Memeler Hafenpolizei¬
kommission beweisen, daß sich schon damals unter den Unteroffizieren der preußischen
Artillerie sehr tüchtige Männer befanden. Daß die Regierung, ohne zu geizen,
nach dem Antrage des Brigadekommandeurs den beiden eine reichliche Zulage
genehmigte, mag zu dem Zauber des Ungewöhnlichen, der ihrer Tätigkeit am
Strande eigen war, noch den des Behagens gefügt haben, den auch bei Hackländer
Zulage und Extramenage über das Leben bevorzugter, mit ungewöhnlich tüchtigen
und märchenhaft milden Chefs begnadeter Artilleriekompagnien breiten, die auf
einem idyllischen Fort wie auf einer Insel der Seligen leben. An die Erzählungen
des rheinischen Artillerieromantikers erinnert nicht nur die Situation, in der
sich die beiden Unteroffiziere befanden. Was ich über sie aus den Akten er¬
fahren habe, hat mir zum erstenmal die Idealgestalten von Feuerwerkern und
Bombardierern, die Hackländer zeichnet, glaublich gemacht.

Wo stand der Herd, an dem die beiden Königsberger Artilleristen später
der Memeler Tage, vermutlich des Höhepunkts ihrer Dienstzeit, gedachten?
Wo sind die Kinder, denen sie von jenen Tagen erzählten? Väter erzählen
am liebsten von ihren Militürjahren, und Kinder wissen sich nach den Märchen
der Mutter nichts Lieberes als die Soldatengeschichten des Vaters.

Die musterhaft geschriebnen, ausführlichen Berichte des Oberfeuerwerkers
Köhler machen es mir möglich, seine Tätigkeit in Memel eingehend zu schildern.
Man gewinnt aus ihnen ein klareres Bild des Verfahrens und der ihm an¬
haftenden Schwächen als aus den knappen Protokollen der übrigen Schieß-
versuche, die im Bereiche der 1. Brigade veranstaltet worden waren.

Oberfeuerwerker Kohler hatte schon früher in Pillau an Mörserschießver¬
suchen zu Rettungszwecken teilgenommen, sodaß er Erfahrungen verwerten
konnte. Der zu Memel stationierte Mörser war ein preußischer Zehnvfünder.
Die ersten Schießversuche fanden am 17. Oktober 1828 statt. Als Ziel wurde
das aus Flaggenstangen und Tauen improvisierte Takelwerk eines Küstenfahr¬
zeugs verwandt. Das Geschütz stand 400 Schritt vom Ziel entfernt auf
einer Bohlenbettung. An den Geschossen waren feststehende Ösen angebracht.


Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens

September mit einem Bombardier nach Memel abging. Damit beginnt die Idylle,
von der ich oben sprach: zwei Artillericunterofsiziere schaffen den Schuppen des
Rettungsboots am Meeresstrande zu einem Feuerwerkslaboratorium um, sie
machen Sprengkörper, nicht zur Zerstörung, sondern zur Erhaltung von Menschen¬
leben, sie schleudern aus einem Mörser wiudwcirts Geschosse in See, nicht um
einem Schiffe den Strand zu wehren, sondern um eine schwanke Brücke über die
Kluft zu legen, die vom Tod bedrohte Brüder vom Ufer trennt, sie üben und
lehren die Künste, die sie gelernt haben, um Leben zu vernichten, im Dienste der
lebenerhaltenden Liebe.

Es waren zwei brave Soldaten, ihr Kommandeur hatte die Sache, die ihm
selbst lieb war, nicht schlechten Händen anvertraut. Der Oberfeuerwerker ver¬
stand mit der Feder trefflich umzugehn, er war Lehrer an der Brigadeschule,
die von ihm herrührenden Schriftstücke in den Akten der Memeler Hafenpolizei¬
kommission beweisen, daß sich schon damals unter den Unteroffizieren der preußischen
Artillerie sehr tüchtige Männer befanden. Daß die Regierung, ohne zu geizen,
nach dem Antrage des Brigadekommandeurs den beiden eine reichliche Zulage
genehmigte, mag zu dem Zauber des Ungewöhnlichen, der ihrer Tätigkeit am
Strande eigen war, noch den des Behagens gefügt haben, den auch bei Hackländer
Zulage und Extramenage über das Leben bevorzugter, mit ungewöhnlich tüchtigen
und märchenhaft milden Chefs begnadeter Artilleriekompagnien breiten, die auf
einem idyllischen Fort wie auf einer Insel der Seligen leben. An die Erzählungen
des rheinischen Artillerieromantikers erinnert nicht nur die Situation, in der
sich die beiden Unteroffiziere befanden. Was ich über sie aus den Akten er¬
fahren habe, hat mir zum erstenmal die Idealgestalten von Feuerwerkern und
Bombardierern, die Hackländer zeichnet, glaublich gemacht.

Wo stand der Herd, an dem die beiden Königsberger Artilleristen später
der Memeler Tage, vermutlich des Höhepunkts ihrer Dienstzeit, gedachten?
Wo sind die Kinder, denen sie von jenen Tagen erzählten? Väter erzählen
am liebsten von ihren Militürjahren, und Kinder wissen sich nach den Märchen
der Mutter nichts Lieberes als die Soldatengeschichten des Vaters.

Die musterhaft geschriebnen, ausführlichen Berichte des Oberfeuerwerkers
Köhler machen es mir möglich, seine Tätigkeit in Memel eingehend zu schildern.
Man gewinnt aus ihnen ein klareres Bild des Verfahrens und der ihm an¬
haftenden Schwächen als aus den knappen Protokollen der übrigen Schieß-
versuche, die im Bereiche der 1. Brigade veranstaltet worden waren.

Oberfeuerwerker Kohler hatte schon früher in Pillau an Mörserschießver¬
suchen zu Rettungszwecken teilgenommen, sodaß er Erfahrungen verwerten
konnte. Der zu Memel stationierte Mörser war ein preußischer Zehnvfünder.
Die ersten Schießversuche fanden am 17. Oktober 1828 statt. Als Ziel wurde
das aus Flaggenstangen und Tauen improvisierte Takelwerk eines Küstenfahr¬
zeugs verwandt. Das Geschütz stand 400 Schritt vom Ziel entfernt auf
einer Bohlenbettung. An den Geschossen waren feststehende Ösen angebracht.


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[0128] Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens September mit einem Bombardier nach Memel abging. Damit beginnt die Idylle, von der ich oben sprach: zwei Artillericunterofsiziere schaffen den Schuppen des Rettungsboots am Meeresstrande zu einem Feuerwerkslaboratorium um, sie machen Sprengkörper, nicht zur Zerstörung, sondern zur Erhaltung von Menschen¬ leben, sie schleudern aus einem Mörser wiudwcirts Geschosse in See, nicht um einem Schiffe den Strand zu wehren, sondern um eine schwanke Brücke über die Kluft zu legen, die vom Tod bedrohte Brüder vom Ufer trennt, sie üben und lehren die Künste, die sie gelernt haben, um Leben zu vernichten, im Dienste der lebenerhaltenden Liebe. Es waren zwei brave Soldaten, ihr Kommandeur hatte die Sache, die ihm selbst lieb war, nicht schlechten Händen anvertraut. Der Oberfeuerwerker ver¬ stand mit der Feder trefflich umzugehn, er war Lehrer an der Brigadeschule, die von ihm herrührenden Schriftstücke in den Akten der Memeler Hafenpolizei¬ kommission beweisen, daß sich schon damals unter den Unteroffizieren der preußischen Artillerie sehr tüchtige Männer befanden. Daß die Regierung, ohne zu geizen, nach dem Antrage des Brigadekommandeurs den beiden eine reichliche Zulage genehmigte, mag zu dem Zauber des Ungewöhnlichen, der ihrer Tätigkeit am Strande eigen war, noch den des Behagens gefügt haben, den auch bei Hackländer Zulage und Extramenage über das Leben bevorzugter, mit ungewöhnlich tüchtigen und märchenhaft milden Chefs begnadeter Artilleriekompagnien breiten, die auf einem idyllischen Fort wie auf einer Insel der Seligen leben. An die Erzählungen des rheinischen Artillerieromantikers erinnert nicht nur die Situation, in der sich die beiden Unteroffiziere befanden. Was ich über sie aus den Akten er¬ fahren habe, hat mir zum erstenmal die Idealgestalten von Feuerwerkern und Bombardierern, die Hackländer zeichnet, glaublich gemacht. Wo stand der Herd, an dem die beiden Königsberger Artilleristen später der Memeler Tage, vermutlich des Höhepunkts ihrer Dienstzeit, gedachten? Wo sind die Kinder, denen sie von jenen Tagen erzählten? Väter erzählen am liebsten von ihren Militürjahren, und Kinder wissen sich nach den Märchen der Mutter nichts Lieberes als die Soldatengeschichten des Vaters. Die musterhaft geschriebnen, ausführlichen Berichte des Oberfeuerwerkers Köhler machen es mir möglich, seine Tätigkeit in Memel eingehend zu schildern. Man gewinnt aus ihnen ein klareres Bild des Verfahrens und der ihm an¬ haftenden Schwächen als aus den knappen Protokollen der übrigen Schieß- versuche, die im Bereiche der 1. Brigade veranstaltet worden waren. Oberfeuerwerker Kohler hatte schon früher in Pillau an Mörserschießver¬ suchen zu Rettungszwecken teilgenommen, sodaß er Erfahrungen verwerten konnte. Der zu Memel stationierte Mörser war ein preußischer Zehnvfünder. Die ersten Schießversuche fanden am 17. Oktober 1828 statt. Als Ziel wurde das aus Flaggenstangen und Tauen improvisierte Takelwerk eines Küstenfahr¬ zeugs verwandt. Das Geschütz stand 400 Schritt vom Ziel entfernt auf einer Bohlenbettung. An den Geschossen waren feststehende Ösen angebracht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/128>, abgerufen am 24.07.2024.