Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Lr und Sie Vol, man gibt es sogar den Heiligen. In Spanien setzt man für die angeredete Er und Sie gehörte also ursprünglich durchaus zum guten Ton, bis es Ganz untergeordnete Personen wurden dagegen von ihren Vorgesetzten Das ist die patriarchalische Gepflogenheit der alten Grand Seigneurs; der Lr und Sie Vol, man gibt es sogar den Heiligen. In Spanien setzt man für die angeredete Er und Sie gehörte also ursprünglich durchaus zum guten Ton, bis es Ganz untergeordnete Personen wurden dagegen von ihren Vorgesetzten Das ist die patriarchalische Gepflogenheit der alten Grand Seigneurs; der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311177"/> <fw type="header" place="top"> Lr und Sie</fw><lb/> <p xml:id="ID_366" prev="#ID_365"> Vol, man gibt es sogar den Heiligen. In Spanien setzt man für die angeredete<lb/> Person Hstsä, wörtlich: Eure Gnade (Vussti-g, Neree-ä); eine Vertretung durch<lb/> Lila findet hier nicht statt.</p><lb/> <p xml:id="ID_367"> Er und Sie gehörte also ursprünglich durchaus zum guten Ton, bis es<lb/> in den letzten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts aufkam, den Menschen<lb/> mit Sie im Plural anzureden, was man am besten als Vertretung des sehr<lb/> gewöhnlichen Plurals Euer Gnaden auffaßt; natürlich mußte auch das Verbum<lb/> in Plural dazutreten. Seitdem sank das Er oder das Sie im Singular<lb/> zu einer geringschätzigen Bezeichnung und zu einer Anrede herab, die der Pfarrer<lb/> einst dem Schulmeister gegenüber brauchte, und deren man sich noch heute be¬<lb/> dient, wenn man mit Kindern und Hunden spricht. Will er wohl! Will er<lb/> gleich parieren! Wenn Friedrich der Große zu dem Dichter Gleim in einer<lb/> Audienz, die er ihm erteilte, sagte: Er ist wohl nicht stolz? Grüß Er mir den<lb/> Domdechanten! so brauchte der arme Gleim wahrlich nicht stolz zu sein, obgleich<lb/> er versicherte, daß er es in diesem Augenblicke wäre, denn Friedrich der Große<lb/> stellte ihn unter seine Windhunde, die der Bediente Sie nennen mußte. Mit<lb/> Er wurden zu Friedrichs des Großen Zeiten, wie schon gesagt, Personen von<lb/> Stande nicht mehr angeredet. Für diese gehörte sich die Anrede mit Sie in<lb/> der dritten Person des Plurals, das Siezen im Plural. Im September des<lb/> Jahres 1787 trat Friedrich Perthes bei Adam Friedrich Böhme auf der Nikolai¬<lb/> straße in Leipzig als Lehrling ein. Die Lehrlinge wurden nicht nur vom Prinzipal<lb/> selbst, sondern auch von den Kindern des Prinzipals, dem Dienstmädchen und<lb/> den Markthelfern mit Er angeredet. Wenn sie ausgelernt hatten, sagte der Chef:<lb/> Hiermit ernenne ich Sie vom Lehrburschen zum Buchhandlungsdiener.</p><lb/> <p xml:id="ID_368"> Ganz untergeordnete Personen wurden dagegen von ihren Vorgesetzten<lb/> nach wie vor Du genannt. Bis 1850 pflegten die Offiziere die Mannschaft<lb/> zu duzen; bis 1866 genossen in Bayern nur die Fahnenjunker die Auszeichnung,<lb/> mit Sie angesprochen zu werden, während sonst Du bei den Vorgesetzten gegen<lb/> Untergebne und bei diesen unter sich Vorschrift war. Der Kaiser nennt alle<lb/> Gemeinen Du, zum Beispiel den Gefreiten Lueck: in Anerkennung Deines korrekten<lb/> Benehmens auf Posten ... Der Zar duzt sogar seine Generale, sogar die Ärzte.<lb/> Kaiser Nikolaus der Erste wollte es nicht Wort haben, daß jemand im Reiche<lb/> Hunger leiden könne. Einmal besuchte er ein Hospital und trat an das Bett eines<lb/> Typhuskranken. Der Arzt sollte ihm sagen, was das für eine Krankheit sei; der<lb/> Unglückliche meinte: Hungertyphus. Der Kaiser blickte ihn finster an und ging<lb/> weiter; beim Abschied trat er nochmals auf den Doktor zu und sagte: Du, nimm Dein<lb/> Maul besser in acht! Am nächsten Tage hatte der Arzt seinen Posten verloren.</p><lb/> <p xml:id="ID_369" next="#ID_370"> Das ist die patriarchalische Gepflogenheit der alten Grand Seigneurs; der<lb/> verstorbne Fürst Johann Adolf Schwarzenberg nannte ebenfalls alle seine Be¬<lb/> amten Du, vom Hofrat angefangen. Der alte Pastor nannte alle seine Pfarr¬<lb/> kinder Du; im Hause wurden die Kinder und die Dienstboten geduzt. Die<lb/> Eltern wurden dagegen von den Kindern noch im vorigen Jahrhundert Sie<lb/> genannt. Gargantua braucht in einem Briefe an seinen Sohn Pantagruel das 1u</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
Lr und Sie
Vol, man gibt es sogar den Heiligen. In Spanien setzt man für die angeredete
Person Hstsä, wörtlich: Eure Gnade (Vussti-g, Neree-ä); eine Vertretung durch
Lila findet hier nicht statt.
Er und Sie gehörte also ursprünglich durchaus zum guten Ton, bis es
in den letzten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts aufkam, den Menschen
mit Sie im Plural anzureden, was man am besten als Vertretung des sehr
gewöhnlichen Plurals Euer Gnaden auffaßt; natürlich mußte auch das Verbum
in Plural dazutreten. Seitdem sank das Er oder das Sie im Singular
zu einer geringschätzigen Bezeichnung und zu einer Anrede herab, die der Pfarrer
einst dem Schulmeister gegenüber brauchte, und deren man sich noch heute be¬
dient, wenn man mit Kindern und Hunden spricht. Will er wohl! Will er
gleich parieren! Wenn Friedrich der Große zu dem Dichter Gleim in einer
Audienz, die er ihm erteilte, sagte: Er ist wohl nicht stolz? Grüß Er mir den
Domdechanten! so brauchte der arme Gleim wahrlich nicht stolz zu sein, obgleich
er versicherte, daß er es in diesem Augenblicke wäre, denn Friedrich der Große
stellte ihn unter seine Windhunde, die der Bediente Sie nennen mußte. Mit
Er wurden zu Friedrichs des Großen Zeiten, wie schon gesagt, Personen von
Stande nicht mehr angeredet. Für diese gehörte sich die Anrede mit Sie in
der dritten Person des Plurals, das Siezen im Plural. Im September des
Jahres 1787 trat Friedrich Perthes bei Adam Friedrich Böhme auf der Nikolai¬
straße in Leipzig als Lehrling ein. Die Lehrlinge wurden nicht nur vom Prinzipal
selbst, sondern auch von den Kindern des Prinzipals, dem Dienstmädchen und
den Markthelfern mit Er angeredet. Wenn sie ausgelernt hatten, sagte der Chef:
Hiermit ernenne ich Sie vom Lehrburschen zum Buchhandlungsdiener.
Ganz untergeordnete Personen wurden dagegen von ihren Vorgesetzten
nach wie vor Du genannt. Bis 1850 pflegten die Offiziere die Mannschaft
zu duzen; bis 1866 genossen in Bayern nur die Fahnenjunker die Auszeichnung,
mit Sie angesprochen zu werden, während sonst Du bei den Vorgesetzten gegen
Untergebne und bei diesen unter sich Vorschrift war. Der Kaiser nennt alle
Gemeinen Du, zum Beispiel den Gefreiten Lueck: in Anerkennung Deines korrekten
Benehmens auf Posten ... Der Zar duzt sogar seine Generale, sogar die Ärzte.
Kaiser Nikolaus der Erste wollte es nicht Wort haben, daß jemand im Reiche
Hunger leiden könne. Einmal besuchte er ein Hospital und trat an das Bett eines
Typhuskranken. Der Arzt sollte ihm sagen, was das für eine Krankheit sei; der
Unglückliche meinte: Hungertyphus. Der Kaiser blickte ihn finster an und ging
weiter; beim Abschied trat er nochmals auf den Doktor zu und sagte: Du, nimm Dein
Maul besser in acht! Am nächsten Tage hatte der Arzt seinen Posten verloren.
Das ist die patriarchalische Gepflogenheit der alten Grand Seigneurs; der
verstorbne Fürst Johann Adolf Schwarzenberg nannte ebenfalls alle seine Be¬
amten Du, vom Hofrat angefangen. Der alte Pastor nannte alle seine Pfarr¬
kinder Du; im Hause wurden die Kinder und die Dienstboten geduzt. Die
Eltern wurden dagegen von den Kindern noch im vorigen Jahrhundert Sie
genannt. Gargantua braucht in einem Briefe an seinen Sohn Pantagruel das 1u
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