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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Zum Andenken an Oswald Vierordt
Adolf Schmitthenner^) von

cum ein merkwürdiger Mensch von uns gegangen ist, bleibt als
einziger Ersatz sein Andenken zurück. Ohne Wissen und Wollen,
wie die Natur schafft, hat er selber jeden Zug gezeichnet, jeden
Strich eingegraben; so hat er lebend und wirkend sein eigen Bild
vollendet. Sobald er geschieden ist, fällt der Schleier von diesem
seinem Vermächtnis, und fertig steht es da. Aber nicht sinnlich ist es vorhanden,
sodaß es mit der Welt als ein Stück von ihr bliebe, sondern es führt sein
Leben nur allein in den Gemütern derer, die ihn lieb gehabt haben; bei andern
nicht: nur was wir lieben, vermögen wir zu verstehn. So ist die Wirklichkeit
des Andenkens die zarteste und edelste, die es gibt, aber auch die vergänglichste.
Mit jenen Gemütern geht auch sie aus der Welt, und dieser Verlust ist nicht
minder groß, als der Hingang des Menschen selbst gewesen ist. Darum ist es
eine Pflicht für die Freunde, daß sie sich nicht daran genügen lassen, still und
wehmütig das Andenken zu betrachten. Allerdings, das ist das Beste, was ihm
widerfahren kann, hierzu ist es da, solches wird als heiliges Recht von ihm
gefordert; aber damit es nicht schwinde, muß versucht werden, durch Überlegung
und Wort ihm etwas abzugewinnen, das für Künftige erhalten bleibe.

Solches dem Andenken Oswald Vierordts zu tun, ist der Sinn dieser
Niederschrift.

Sein Arbeitszimmer sieht heute noch gerade so aus wie an jenem Sonntag¬
morgen, wo er es mit seinem elastischen Schritt für immer verlassen und unter der
Gartentür seiner Gattin den Gruß für immer zum Fenster hinauf gewinkt hat.
Die letzte Stunde, die er daheim verlebte, hat er in diesem Zimmer zugebracht,
indem er seinem Gedächtnis aneignete, was er an jenem Vormittag seinen Be¬
rufsgenossen vorzutragen gedachte und vorgetragen Hütte, wenn er nicht vorher
in ihrer Mitte vom Tod übereilt worden wäre. Alles hat er liegen und stehen
lassen wie einer, der selbstverständlich alsbald diese Dinge wieder sieht und an
sich nimmt. Darum wird man angemutet, als müsse der Herr dieses Raumes
dort am Flügel sitzen, hintenübergebeugt, mit halbgeschlossenen Augen -- oder
heitern Grußes zu jener Tür eintreten.



Dieser Aufsatz ist die letzte von unserm verstorbnen Freunde Schmitthenner verfaßte
literarische Arbeit. Oswald Vierordt war ordentlicher Professor der innern Medizin, Direktor
der Poliklinik und der Universitätskinderklinik in Heidelberg.


Zum Andenken an Oswald Vierordt
Adolf Schmitthenner^) von

cum ein merkwürdiger Mensch von uns gegangen ist, bleibt als
einziger Ersatz sein Andenken zurück. Ohne Wissen und Wollen,
wie die Natur schafft, hat er selber jeden Zug gezeichnet, jeden
Strich eingegraben; so hat er lebend und wirkend sein eigen Bild
vollendet. Sobald er geschieden ist, fällt der Schleier von diesem
seinem Vermächtnis, und fertig steht es da. Aber nicht sinnlich ist es vorhanden,
sodaß es mit der Welt als ein Stück von ihr bliebe, sondern es führt sein
Leben nur allein in den Gemütern derer, die ihn lieb gehabt haben; bei andern
nicht: nur was wir lieben, vermögen wir zu verstehn. So ist die Wirklichkeit
des Andenkens die zarteste und edelste, die es gibt, aber auch die vergänglichste.
Mit jenen Gemütern geht auch sie aus der Welt, und dieser Verlust ist nicht
minder groß, als der Hingang des Menschen selbst gewesen ist. Darum ist es
eine Pflicht für die Freunde, daß sie sich nicht daran genügen lassen, still und
wehmütig das Andenken zu betrachten. Allerdings, das ist das Beste, was ihm
widerfahren kann, hierzu ist es da, solches wird als heiliges Recht von ihm
gefordert; aber damit es nicht schwinde, muß versucht werden, durch Überlegung
und Wort ihm etwas abzugewinnen, das für Künftige erhalten bleibe.

Solches dem Andenken Oswald Vierordts zu tun, ist der Sinn dieser
Niederschrift.

Sein Arbeitszimmer sieht heute noch gerade so aus wie an jenem Sonntag¬
morgen, wo er es mit seinem elastischen Schritt für immer verlassen und unter der
Gartentür seiner Gattin den Gruß für immer zum Fenster hinauf gewinkt hat.
Die letzte Stunde, die er daheim verlebte, hat er in diesem Zimmer zugebracht,
indem er seinem Gedächtnis aneignete, was er an jenem Vormittag seinen Be¬
rufsgenossen vorzutragen gedachte und vorgetragen Hütte, wenn er nicht vorher
in ihrer Mitte vom Tod übereilt worden wäre. Alles hat er liegen und stehen
lassen wie einer, der selbstverständlich alsbald diese Dinge wieder sieht und an
sich nimmt. Darum wird man angemutet, als müsse der Herr dieses Raumes
dort am Flügel sitzen, hintenübergebeugt, mit halbgeschlossenen Augen — oder
heitern Grußes zu jener Tür eintreten.



Dieser Aufsatz ist die letzte von unserm verstorbnen Freunde Schmitthenner verfaßte
literarische Arbeit. Oswald Vierordt war ordentlicher Professor der innern Medizin, Direktor
der Poliklinik und der Universitätskinderklinik in Heidelberg.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/90>, abgerufen am 22.07.2024.