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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Ver preußische Staat und die polnische Frage

an der Spitze eines jetzt freiwillig folgenden, von tiefem Haß gegen das
Deutschtum erfüllten polnischen Volks. Wenn man das geschichtliche Werden
dieses Zustands verfolgt hat, ist es schlechterdings unverständlich, wie man
daran glauben kann, es könne heute noch ein Pole, der sich zum Polentum
wirklich bekennt, im wahren Sinne "loyal" sein.

Allerdings wird ja das Wort häufig in einem andern Sinne gebraucht.
Sehr viele -- es sind immer die Leute, die nur das Heute sehen und die
Geschichte nicht kennen -- werfen die Frage auf, ob denn die Polen wirklich
einen "Aufstand" macheu wollen, um sich von Preußen loszumachen. Davos
haben sie nämlich dunkel etwas gehört, daß 1331, 1848 und 1863 so etwas
vorgekommen ist. Natürlich weisen das die Polen weit von sich, also sind sie
"loyal". Ja noch mehr! Sie wissen heute, gerade infolge des sichern und
stetigen Fortschreitens ihrer nationalen Organisation, so genau, wie lange sie
auf die Erfüllung ihrer letzten nationalen Wünsche selbst in dem für sie
günstigsten Falle noch zu warten haben, daß die jetzige Generation auch gern
bereit wäre, einem preußischen Könige, der sie in ihrer nationalen Arbeit nicht
hinderte oder der sie gar förderte, persönlich jede Huldigung zu erweisen. Ich
habe in der Provinz Posen die Zeit erlebt, als Fürst Bismarck entlassen wurde,
als die Versöhuungspolitik einsetzte und die polnische "Hofpartei" in Blüte
stand. Damals tauchten in polnischen Salons, in denen vorher wohl niemals
das Bild eines Königs von Preußen zu finden gewesen war, die Bildnisse
Kaiser Wilhelms des Zweiten auf. Das war in seiner Art ehrlich gemeint.
Die Polen schützten den Kaiser falsch ein, weil er sie von dem gefürchteten
Bismarck befreit hatte; ich habe das damals im Gespräch mit Polen mehrfach
feststellen können. Sie hofften, in völligem Mißverständnis der Geistesrichtung
und Persönlichkeit des Kaisers, er würde, einem bei ihm fälschlich voraus¬
gesetzten Bedürfnis folgend, die Traditionen und Lebensinteressen des preußischen
Staats so weit umbiegen, daß daraus eine dauernde Förderung ihrer national-
polnischen Organisation erwachsen könne. Darum riefen die Polen damals
aus vollem Herzen: Uisolr /^js Ol8g.ri5 nieimeolci! Es lebe der Deutsche Kaiser!
Natürlich mit der reservati" mentalis: Aber den preußischen Staat und vollends
die vermaledeiten Deutschen soll der Teufel holen! Wer das Loyalität unsrer
"Polnischen Mitbürger" nennen will, mag es tun!

Auf die Geschichte der polnischen Organisation selbst soll hier nicht ein¬
gegangen werden. Bernhard hat das in seinem Buche "Das polnische Gemein¬
wesen im preußischen Staat" ausgezeichnet und anschaulich geschildert, und
dieses Buch ist ja in den Grenzboten erst kürzlich von G. Cleiuow eingehend
gewürdigt worden. Bis 1831 lag der Schwerpunkt der polnischen Angelegen¬
heiten und demgemäß auch die Hoffnung der Polen in Russisch-Polen, damals
"och ein antonomer Verfassungsstaat mit selbständiger Verwaltung und sogar
eigner Armee. Der unglückliche Ausgang des Aufstandes von 1830 vernichtete
diese Hoffnung, und nun fiel der Leitung der polnischen Emigration in Paris


Ver preußische Staat und die polnische Frage

an der Spitze eines jetzt freiwillig folgenden, von tiefem Haß gegen das
Deutschtum erfüllten polnischen Volks. Wenn man das geschichtliche Werden
dieses Zustands verfolgt hat, ist es schlechterdings unverständlich, wie man
daran glauben kann, es könne heute noch ein Pole, der sich zum Polentum
wirklich bekennt, im wahren Sinne „loyal" sein.

Allerdings wird ja das Wort häufig in einem andern Sinne gebraucht.
Sehr viele — es sind immer die Leute, die nur das Heute sehen und die
Geschichte nicht kennen — werfen die Frage auf, ob denn die Polen wirklich
einen „Aufstand" macheu wollen, um sich von Preußen loszumachen. Davos
haben sie nämlich dunkel etwas gehört, daß 1331, 1848 und 1863 so etwas
vorgekommen ist. Natürlich weisen das die Polen weit von sich, also sind sie
„loyal". Ja noch mehr! Sie wissen heute, gerade infolge des sichern und
stetigen Fortschreitens ihrer nationalen Organisation, so genau, wie lange sie
auf die Erfüllung ihrer letzten nationalen Wünsche selbst in dem für sie
günstigsten Falle noch zu warten haben, daß die jetzige Generation auch gern
bereit wäre, einem preußischen Könige, der sie in ihrer nationalen Arbeit nicht
hinderte oder der sie gar förderte, persönlich jede Huldigung zu erweisen. Ich
habe in der Provinz Posen die Zeit erlebt, als Fürst Bismarck entlassen wurde,
als die Versöhuungspolitik einsetzte und die polnische „Hofpartei" in Blüte
stand. Damals tauchten in polnischen Salons, in denen vorher wohl niemals
das Bild eines Königs von Preußen zu finden gewesen war, die Bildnisse
Kaiser Wilhelms des Zweiten auf. Das war in seiner Art ehrlich gemeint.
Die Polen schützten den Kaiser falsch ein, weil er sie von dem gefürchteten
Bismarck befreit hatte; ich habe das damals im Gespräch mit Polen mehrfach
feststellen können. Sie hofften, in völligem Mißverständnis der Geistesrichtung
und Persönlichkeit des Kaisers, er würde, einem bei ihm fälschlich voraus¬
gesetzten Bedürfnis folgend, die Traditionen und Lebensinteressen des preußischen
Staats so weit umbiegen, daß daraus eine dauernde Förderung ihrer national-
polnischen Organisation erwachsen könne. Darum riefen die Polen damals
aus vollem Herzen: Uisolr /^js Ol8g.ri5 nieimeolci! Es lebe der Deutsche Kaiser!
Natürlich mit der reservati» mentalis: Aber den preußischen Staat und vollends
die vermaledeiten Deutschen soll der Teufel holen! Wer das Loyalität unsrer
„Polnischen Mitbürger" nennen will, mag es tun!

Auf die Geschichte der polnischen Organisation selbst soll hier nicht ein¬
gegangen werden. Bernhard hat das in seinem Buche „Das polnische Gemein¬
wesen im preußischen Staat" ausgezeichnet und anschaulich geschildert, und
dieses Buch ist ja in den Grenzboten erst kürzlich von G. Cleiuow eingehend
gewürdigt worden. Bis 1831 lag der Schwerpunkt der polnischen Angelegen¬
heiten und demgemäß auch die Hoffnung der Polen in Russisch-Polen, damals
«och ein antonomer Verfassungsstaat mit selbständiger Verwaltung und sogar
eigner Armee. Der unglückliche Ausgang des Aufstandes von 1830 vernichtete
diese Hoffnung, und nun fiel der Leitung der polnischen Emigration in Paris


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/67>, abgerufen am 24.08.2024.