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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Gibraltar

und Sträuchergruppen aufwärts; da und dort in den Gebüschen ruhen Niesen-
kanonen auf ihren Drehscheiben, in der Farbe des Felsens bemalt, um von der
See aus nicht gesehen zu werden.

Der kahle Felsen macht sich immer mehr geltend. Er gleicht einer ge¬
runzelten Riesenheim, von langen Querfurchen durchzogen, die das Regenwasser
aufsammeln, das sodann durch gebohrte Löcher in die großen Zisternen im
Innern des Felsens abläuft, von wo es dereinst als Ms als wieder herauf¬
gepumpt werden wird, wenn der große Mittelmeerkrieg losbricht und den kahlen
Felsen für eine Weile zum Mittelpunkt der Welt macht.

Daß dies früher oder später der Fall sein wird, davon sind die Engländer
fest überzeugt. Zu diesem Zwecke haben sie den Felsen zu langen Galerien
ausgehöhlt, die, eine über die andre, in drei Stockwerken dahinlaufen. Außen
sind nur drei Reihen Löcher zu sehen, teilweise von Sträuchern verdeckt, aus
denen die Kanonen hervorspähn wie friedliche Brutvögel. Aber als Däne bin
ich wie ein Hund auf der Fährte nach allem, was nach Militär schmeckt, und
habe mir mit vieler Mühe eine Zutrittskarte verschafft, die jedoch nur für die
unterste Galerie gilt.

Der Weg schneidet sich immer mehr in den Felsen ein und schließt endlich
ganz über mir zusammen. Ich stehe vor einem schwarzen eisenvergitterten Loch
im Berge, den eine Wacheabteilung umlagert, reiche dem Unteroffizier meine
Karte und werde eingelassen. Er begleitet mich, und die andern schließen
sorgfältig hinter uns zu.

Wir sind in einem hohen gewölbten, in den Felsen gesprengten Gange,
der ein Stück dunkel ist, dann plötzlich von einer Schießscharte stark einfallendes
Licht erhält und wieder dunkel wird, bis wir das nächste Schußloch erreichen.
Hier und dort ist der Gang zu einer Halle erweitert, in die Jnnenmauer sind
Vorratskammern und Wasserbehälter eingehauen, die Munition liegt schön
geordnet längs der Wände, in allen Schießscharten stehn Kanonen. Draußen
ist die Hitze unerträglich, hier drinnen ist es kalt, und eisige Luftströmungen
durchstreichen den Gang. Die Kälte und der rauhe Hauch aus den Erdeingeweiden
machen mich erschauern, und ich eile zu jedem neuen Schießloch, um ein wenig
von dem Lichte und der Sonne da draußen aufzufangen. Und jede neue
Schießscharte eröffnet neue Landschaften -- neues und neues Wirkungsfeld für
die langhalsigen Kanonen. Unter und über uns bietet der Felsen eine fast lot¬
rechte Fläche von einigen hundert Fuß Höhe, an der die feindlichen Kugeln
abprallen, und vor den Schießscharten selbst können nach jeder Salve Stahl-
persiennes nieder- und aufgerollt werden, damit die Soldaten nicht die fremden
Projektile in die Augen kriegen und hierdurch am ordentlichen Zielen ge¬
hindert werden.

Wir sind so weit in der Runde gelangt, daß die kurzen Ausblicke nicht
mehr die Bucht zeigen; die flache Landzunge, die sich wenige Ellen über dem
Meere erhebt und den Felsen mit Spanien verbindet, liegt in etwa 400 Fuß


Gibraltar

und Sträuchergruppen aufwärts; da und dort in den Gebüschen ruhen Niesen-
kanonen auf ihren Drehscheiben, in der Farbe des Felsens bemalt, um von der
See aus nicht gesehen zu werden.

Der kahle Felsen macht sich immer mehr geltend. Er gleicht einer ge¬
runzelten Riesenheim, von langen Querfurchen durchzogen, die das Regenwasser
aufsammeln, das sodann durch gebohrte Löcher in die großen Zisternen im
Innern des Felsens abläuft, von wo es dereinst als Ms als wieder herauf¬
gepumpt werden wird, wenn der große Mittelmeerkrieg losbricht und den kahlen
Felsen für eine Weile zum Mittelpunkt der Welt macht.

Daß dies früher oder später der Fall sein wird, davon sind die Engländer
fest überzeugt. Zu diesem Zwecke haben sie den Felsen zu langen Galerien
ausgehöhlt, die, eine über die andre, in drei Stockwerken dahinlaufen. Außen
sind nur drei Reihen Löcher zu sehen, teilweise von Sträuchern verdeckt, aus
denen die Kanonen hervorspähn wie friedliche Brutvögel. Aber als Däne bin
ich wie ein Hund auf der Fährte nach allem, was nach Militär schmeckt, und
habe mir mit vieler Mühe eine Zutrittskarte verschafft, die jedoch nur für die
unterste Galerie gilt.

Der Weg schneidet sich immer mehr in den Felsen ein und schließt endlich
ganz über mir zusammen. Ich stehe vor einem schwarzen eisenvergitterten Loch
im Berge, den eine Wacheabteilung umlagert, reiche dem Unteroffizier meine
Karte und werde eingelassen. Er begleitet mich, und die andern schließen
sorgfältig hinter uns zu.

Wir sind in einem hohen gewölbten, in den Felsen gesprengten Gange,
der ein Stück dunkel ist, dann plötzlich von einer Schießscharte stark einfallendes
Licht erhält und wieder dunkel wird, bis wir das nächste Schußloch erreichen.
Hier und dort ist der Gang zu einer Halle erweitert, in die Jnnenmauer sind
Vorratskammern und Wasserbehälter eingehauen, die Munition liegt schön
geordnet längs der Wände, in allen Schießscharten stehn Kanonen. Draußen
ist die Hitze unerträglich, hier drinnen ist es kalt, und eisige Luftströmungen
durchstreichen den Gang. Die Kälte und der rauhe Hauch aus den Erdeingeweiden
machen mich erschauern, und ich eile zu jedem neuen Schießloch, um ein wenig
von dem Lichte und der Sonne da draußen aufzufangen. Und jede neue
Schießscharte eröffnet neue Landschaften — neues und neues Wirkungsfeld für
die langhalsigen Kanonen. Unter und über uns bietet der Felsen eine fast lot¬
rechte Fläche von einigen hundert Fuß Höhe, an der die feindlichen Kugeln
abprallen, und vor den Schießscharten selbst können nach jeder Salve Stahl-
persiennes nieder- und aufgerollt werden, damit die Soldaten nicht die fremden
Projektile in die Augen kriegen und hierdurch am ordentlichen Zielen ge¬
hindert werden.

Wir sind so weit in der Runde gelangt, daß die kurzen Ausblicke nicht
mehr die Bucht zeigen; die flache Landzunge, die sich wenige Ellen über dem
Meere erhebt und den Felsen mit Spanien verbindet, liegt in etwa 400 Fuß


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[0632] Gibraltar und Sträuchergruppen aufwärts; da und dort in den Gebüschen ruhen Niesen- kanonen auf ihren Drehscheiben, in der Farbe des Felsens bemalt, um von der See aus nicht gesehen zu werden. Der kahle Felsen macht sich immer mehr geltend. Er gleicht einer ge¬ runzelten Riesenheim, von langen Querfurchen durchzogen, die das Regenwasser aufsammeln, das sodann durch gebohrte Löcher in die großen Zisternen im Innern des Felsens abläuft, von wo es dereinst als Ms als wieder herauf¬ gepumpt werden wird, wenn der große Mittelmeerkrieg losbricht und den kahlen Felsen für eine Weile zum Mittelpunkt der Welt macht. Daß dies früher oder später der Fall sein wird, davon sind die Engländer fest überzeugt. Zu diesem Zwecke haben sie den Felsen zu langen Galerien ausgehöhlt, die, eine über die andre, in drei Stockwerken dahinlaufen. Außen sind nur drei Reihen Löcher zu sehen, teilweise von Sträuchern verdeckt, aus denen die Kanonen hervorspähn wie friedliche Brutvögel. Aber als Däne bin ich wie ein Hund auf der Fährte nach allem, was nach Militär schmeckt, und habe mir mit vieler Mühe eine Zutrittskarte verschafft, die jedoch nur für die unterste Galerie gilt. Der Weg schneidet sich immer mehr in den Felsen ein und schließt endlich ganz über mir zusammen. Ich stehe vor einem schwarzen eisenvergitterten Loch im Berge, den eine Wacheabteilung umlagert, reiche dem Unteroffizier meine Karte und werde eingelassen. Er begleitet mich, und die andern schließen sorgfältig hinter uns zu. Wir sind in einem hohen gewölbten, in den Felsen gesprengten Gange, der ein Stück dunkel ist, dann plötzlich von einer Schießscharte stark einfallendes Licht erhält und wieder dunkel wird, bis wir das nächste Schußloch erreichen. Hier und dort ist der Gang zu einer Halle erweitert, in die Jnnenmauer sind Vorratskammern und Wasserbehälter eingehauen, die Munition liegt schön geordnet längs der Wände, in allen Schießscharten stehn Kanonen. Draußen ist die Hitze unerträglich, hier drinnen ist es kalt, und eisige Luftströmungen durchstreichen den Gang. Die Kälte und der rauhe Hauch aus den Erdeingeweiden machen mich erschauern, und ich eile zu jedem neuen Schießloch, um ein wenig von dem Lichte und der Sonne da draußen aufzufangen. Und jede neue Schießscharte eröffnet neue Landschaften — neues und neues Wirkungsfeld für die langhalsigen Kanonen. Unter und über uns bietet der Felsen eine fast lot¬ rechte Fläche von einigen hundert Fuß Höhe, an der die feindlichen Kugeln abprallen, und vor den Schießscharten selbst können nach jeder Salve Stahl- persiennes nieder- und aufgerollt werden, damit die Soldaten nicht die fremden Projektile in die Augen kriegen und hierdurch am ordentlichen Zielen ge¬ hindert werden. Wir sind so weit in der Runde gelangt, daß die kurzen Ausblicke nicht mehr die Bucht zeigen; die flache Landzunge, die sich wenige Ellen über dem Meere erhebt und den Felsen mit Spanien verbindet, liegt in etwa 400 Fuß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/632>, abgerufen am 04.07.2024.