Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Gibraltar nicht stolz entgegenkommend wie die übrigen Bergbewohner, sondern kalt ab¬ Die Frauen sind hochgewachsen und spottlustig, sie haben dunkleres Haar Südlich von Ronda fallen die Berge ab und werden friedlicher, bis die Wir sind wieder in der südlichen Ebene. Redselige Talbewohner kriechen Algeciras, Endstation. Der Name klingt so arabisch, und die Stadt sieht aus, als hätte sie Jahr¬ Gibraltar nicht stolz entgegenkommend wie die übrigen Bergbewohner, sondern kalt ab¬ Die Frauen sind hochgewachsen und spottlustig, sie haben dunkleres Haar Südlich von Ronda fallen die Berge ab und werden friedlicher, bis die Wir sind wieder in der südlichen Ebene. Redselige Talbewohner kriechen Algeciras, Endstation. Der Name klingt so arabisch, und die Stadt sieht aus, als hätte sie Jahr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0628" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311711"/> <fw type="header" place="top"> Gibraltar</fw><lb/> <p xml:id="ID_2928" prev="#ID_2927"> nicht stolz entgegenkommend wie die übrigen Bergbewohner, sondern kalt ab¬<lb/> weisend wie die Araber. Ihnen haftet noch die Verachtung der Orientalen für<lb/> den europäischen Barbaren an, sie verhöhnen den Fremden, indem sie ihn als<lb/> Luft betrachten, und ihre Schwelle ist schwer zu überschreiten. spanisches<lb/> Selbstgefühl wird in ihnen zu einem Hochmut, der dem Reisenden sinnlos vor¬<lb/> kommen muß, da er weder Geld- noch Geistesdünkel ist, sondern demokratisch<lb/> in dem wurzelt, was sie mit allen andern gemein haben — dem Körper.</p><lb/> <p xml:id="ID_2929"> Die Frauen sind hochgewachsen und spottlustig, sie haben dunkleres Haar<lb/> als die andern Andalusierinnen — ganz blauschwarz — und ein ovales, häufig<lb/> helldauniges Kinn, das ihnen einen seltsam blonden Ausdruck gibt. Die Frau<lb/> dieser Berggegenden hat wenig Sorgfalt für die Kinder, aber desto mehr Lieb¬<lb/> kosungen; tagsüber sieht man sie beständig mit einem Kinde in den Armen,<lb/> ihrem eignen oder einem fremden, das sie unter gelegentlichem Naubtierkneifen,<lb/> die es oft zum Weinen bringen, hätschelt und liebkost. Sie kann den wilden<lb/> Tiger, der stets bis an die Zähne bewaffnet geht, zähmen, kann ihn umgänglich<lb/> machen, sein Knurren in weichgirrende Zärtlichkeit verwandeln, ihn unterjochen,<lb/> wenn sie will. Er rollt sich zu ihren Füßen wie ein großer Pudel, gleich<lb/> demütig, ob sie ihn stößt oder liebkost — mit dem Messer in der Schärpe, der<lb/> Büchse in der Hand und ihrem Fuß auf seinem Nacken. Bis sie fünfundzwanzig<lb/> bis dreißig Jahre alt wird und zu welken beginnt; dann erhebt er sich ruhig<lb/> und spannt sie ins Joch. Und die launenhafte Venus verwandelt sich in er¬<lb/> staunlich kurzer Zeit in ein geduldiges Arbeitstier; während er. kraft seiner<lb/> ewigen Jugend, sich eine andre Herrscherin wählt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_2930"> Südlich von Ronda fallen die Berge ab und werden friedlicher, bis die<lb/> Landschaft ruhig in die großen Korkwälder bei Castellär hinübergleitet. Die<lb/> geschälten, verkrümmten Zweige der Korkeiche grinsen unheimlich weit aus dem<lb/> Halbdunkel des Waldes, und wir nehmen im Vorbeifahren den phantastischen<lb/> Eindruck eines Heeres nackter Skelette mit uns, die zum Schutze grüne Zweige<lb/> über sich tragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2931"> Wir sind wieder in der südlichen Ebene. Redselige Talbewohner kriechen<lb/> in den Zug und bieten mir sogleich ihren Tabaksbeutel an; sie schreien an<lb/> meinem Ohr vorüber ohrenbetäubend miteinander, werfen sich unruhig hin und<lb/> her und lachen laut; ihre Augen sind von Wohlwollen gesättigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2932"> Algeciras, Endstation.</p><lb/> <p xml:id="ID_2933" next="#ID_2934"> Der Name klingt so arabisch, und die Stadt sieht aus, als hätte sie Jahr¬<lb/> hunderte geschlafen; just seit die Mauren aus Andalusien vertrieben worden sind.<lb/> Sie ist weiß und hat flache oder schwach abfallende Dächer aus graugrünem<lb/> Azulejos; die Häuser stehn mit verschlossenen Läden dicht beisammen wie alte<lb/> Gäule, die in der Sonne blinzeln. In dem kühlen Patios plappern die Weiber</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0628]
Gibraltar
nicht stolz entgegenkommend wie die übrigen Bergbewohner, sondern kalt ab¬
weisend wie die Araber. Ihnen haftet noch die Verachtung der Orientalen für
den europäischen Barbaren an, sie verhöhnen den Fremden, indem sie ihn als
Luft betrachten, und ihre Schwelle ist schwer zu überschreiten. spanisches
Selbstgefühl wird in ihnen zu einem Hochmut, der dem Reisenden sinnlos vor¬
kommen muß, da er weder Geld- noch Geistesdünkel ist, sondern demokratisch
in dem wurzelt, was sie mit allen andern gemein haben — dem Körper.
Die Frauen sind hochgewachsen und spottlustig, sie haben dunkleres Haar
als die andern Andalusierinnen — ganz blauschwarz — und ein ovales, häufig
helldauniges Kinn, das ihnen einen seltsam blonden Ausdruck gibt. Die Frau
dieser Berggegenden hat wenig Sorgfalt für die Kinder, aber desto mehr Lieb¬
kosungen; tagsüber sieht man sie beständig mit einem Kinde in den Armen,
ihrem eignen oder einem fremden, das sie unter gelegentlichem Naubtierkneifen,
die es oft zum Weinen bringen, hätschelt und liebkost. Sie kann den wilden
Tiger, der stets bis an die Zähne bewaffnet geht, zähmen, kann ihn umgänglich
machen, sein Knurren in weichgirrende Zärtlichkeit verwandeln, ihn unterjochen,
wenn sie will. Er rollt sich zu ihren Füßen wie ein großer Pudel, gleich
demütig, ob sie ihn stößt oder liebkost — mit dem Messer in der Schärpe, der
Büchse in der Hand und ihrem Fuß auf seinem Nacken. Bis sie fünfundzwanzig
bis dreißig Jahre alt wird und zu welken beginnt; dann erhebt er sich ruhig
und spannt sie ins Joch. Und die launenhafte Venus verwandelt sich in er¬
staunlich kurzer Zeit in ein geduldiges Arbeitstier; während er. kraft seiner
ewigen Jugend, sich eine andre Herrscherin wählt.
Südlich von Ronda fallen die Berge ab und werden friedlicher, bis die
Landschaft ruhig in die großen Korkwälder bei Castellär hinübergleitet. Die
geschälten, verkrümmten Zweige der Korkeiche grinsen unheimlich weit aus dem
Halbdunkel des Waldes, und wir nehmen im Vorbeifahren den phantastischen
Eindruck eines Heeres nackter Skelette mit uns, die zum Schutze grüne Zweige
über sich tragen.
Wir sind wieder in der südlichen Ebene. Redselige Talbewohner kriechen
in den Zug und bieten mir sogleich ihren Tabaksbeutel an; sie schreien an
meinem Ohr vorüber ohrenbetäubend miteinander, werfen sich unruhig hin und
her und lachen laut; ihre Augen sind von Wohlwollen gesättigt.
Algeciras, Endstation.
Der Name klingt so arabisch, und die Stadt sieht aus, als hätte sie Jahr¬
hunderte geschlafen; just seit die Mauren aus Andalusien vertrieben worden sind.
Sie ist weiß und hat flache oder schwach abfallende Dächer aus graugrünem
Azulejos; die Häuser stehn mit verschlossenen Läden dicht beisammen wie alte
Gäule, die in der Sonne blinzeln. In dem kühlen Patios plappern die Weiber
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