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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Frühlingstage der Romantik in Jena

Menschen, als eine Kameradschaft, in der das Sittliche von dem Sinnlichen
nicht geschieden ist. Die "Lucinde" sollte dies Mysterium der wahren Lust und
Liebe wie einen Gottesdienst verkünden. Schleiermacher hatte in seinen "Ver¬
trauten Briefen" selbst die öffentliche Verteidigung des Buches gegen die Anklage
der Frivolität übernommen. Und er hat denn auch in Schlegels Geiste in seinem
Frauenkatechismus so gesprochen: "Du sollst keinen Geliebten haben neben ihm?
aber du sollst Freundin sein können, ohne in das Kolorit der Liebe zu spielen
und zu kokettieren oder anzubeten!" Und weiter: "Du sollst von den Heiligtümern
der Liebe auch nicht das kleinste mißbrauchen; denn die wird ihr zartes Gefühl
verlieren, die ihre Gunst entweiht und sich hingibt für Geschenke und Gaben
oder um nur in Ruhe und Frieden Mutter zu werden!" Und: "Merke auf den
Sabbat deines Herzens, daß du ihn feierst, und wenn sie dich halten, so mache
dich frei oder gehe zugrunde!"

So genialisch auch die Romantiker in ihren Theorien taten, und so sehr
auch wohl in ihrem Gebaren hie Lust lag, aller Konvention ins Gesicht zu
lachen -- Jena war ihnen doch kein Venusberg, und ihre von der Französischen
Revolution beeinflußte Emanzipation der Sitten war noch weit von skandalöser
Liederlichkeit und bedenklicher Dekadenz entfernt. Man tadelt hier nicht, wenn man
den Geist begreift. Die Männer und Frauen lebten ja doch schließlich alle in der
romantischen Region der Poesie, aus der die Schwindsche Hochzeitsreise stammt.

Frau Fichte hatte einmal ein Gespräch mit der Frau Frommann und ver¬
langte von dieser, daß sie, gleich ihr, den Verkehr mit den "leichtsinnigen Frauen"
aufgebe. Frau Frommann, die gewiß eine musterhafte Gattin war, entgegnete,
daß sie in der Stille ihren eignen festen Weg gehe, daß sie auch die Lebens¬
anschauungen jener Frauen keineswegs teile, daß sie aber doch für ihre "sonstigen
Vorzüge" nicht blind sei.

Die Romantik feierte in Jena den schönsten Frühling. Frühlingstage sind
noch niemand zu lang geworden. Der Wind kam schnell, der an den Blüten¬
bäumen schüttelte.

Es waren alle so eigenwillige Menschen, die Romantiker; sie konnten sich
einer Idee nur so lange beugen, als die Feststimmung währte. Eine Republik
von lauter Despoten. Aber sie haben sich nicht gegenseitig erwürgt wie die
jenseits des Rheins.

Das Ärgerlichste waren die häuslichen Zerwürfnisse. Zwar die Treue des
Brüderpaares konnte nichts scheiden; aber den Frauen war auch im Sonnen¬
schein des Idealismus der hämische Händelgeist nicht erblichen. "Wenn die
Dorothea nur jemand totschlagen wollte, ehe ich sterbe!" schrieb einmal
Karoline. Auch der Tod fand den Weg; er nahm zuerst die junge Auguste.
Die goldige Prinzessin welkte dahin; auf dem kleinen Kirchhof zu Bocklet fand
sie schon im Jahre 1800 ihr Grab, und das Grabdenkmal, das Thorwaldsen
für sie entwarf, blieb ein Fragment. Im nächsten Jahre ging heiter lächelnd
auch Novalis in die Heimat seiner Träume.


Die Frühlingstage der Romantik in Jena

Menschen, als eine Kameradschaft, in der das Sittliche von dem Sinnlichen
nicht geschieden ist. Die „Lucinde" sollte dies Mysterium der wahren Lust und
Liebe wie einen Gottesdienst verkünden. Schleiermacher hatte in seinen „Ver¬
trauten Briefen" selbst die öffentliche Verteidigung des Buches gegen die Anklage
der Frivolität übernommen. Und er hat denn auch in Schlegels Geiste in seinem
Frauenkatechismus so gesprochen: „Du sollst keinen Geliebten haben neben ihm?
aber du sollst Freundin sein können, ohne in das Kolorit der Liebe zu spielen
und zu kokettieren oder anzubeten!" Und weiter: „Du sollst von den Heiligtümern
der Liebe auch nicht das kleinste mißbrauchen; denn die wird ihr zartes Gefühl
verlieren, die ihre Gunst entweiht und sich hingibt für Geschenke und Gaben
oder um nur in Ruhe und Frieden Mutter zu werden!" Und: „Merke auf den
Sabbat deines Herzens, daß du ihn feierst, und wenn sie dich halten, so mache
dich frei oder gehe zugrunde!"

So genialisch auch die Romantiker in ihren Theorien taten, und so sehr
auch wohl in ihrem Gebaren hie Lust lag, aller Konvention ins Gesicht zu
lachen — Jena war ihnen doch kein Venusberg, und ihre von der Französischen
Revolution beeinflußte Emanzipation der Sitten war noch weit von skandalöser
Liederlichkeit und bedenklicher Dekadenz entfernt. Man tadelt hier nicht, wenn man
den Geist begreift. Die Männer und Frauen lebten ja doch schließlich alle in der
romantischen Region der Poesie, aus der die Schwindsche Hochzeitsreise stammt.

Frau Fichte hatte einmal ein Gespräch mit der Frau Frommann und ver¬
langte von dieser, daß sie, gleich ihr, den Verkehr mit den „leichtsinnigen Frauen"
aufgebe. Frau Frommann, die gewiß eine musterhafte Gattin war, entgegnete,
daß sie in der Stille ihren eignen festen Weg gehe, daß sie auch die Lebens¬
anschauungen jener Frauen keineswegs teile, daß sie aber doch für ihre „sonstigen
Vorzüge" nicht blind sei.

Die Romantik feierte in Jena den schönsten Frühling. Frühlingstage sind
noch niemand zu lang geworden. Der Wind kam schnell, der an den Blüten¬
bäumen schüttelte.

Es waren alle so eigenwillige Menschen, die Romantiker; sie konnten sich
einer Idee nur so lange beugen, als die Feststimmung währte. Eine Republik
von lauter Despoten. Aber sie haben sich nicht gegenseitig erwürgt wie die
jenseits des Rheins.

Das Ärgerlichste waren die häuslichen Zerwürfnisse. Zwar die Treue des
Brüderpaares konnte nichts scheiden; aber den Frauen war auch im Sonnen¬
schein des Idealismus der hämische Händelgeist nicht erblichen. „Wenn die
Dorothea nur jemand totschlagen wollte, ehe ich sterbe!" schrieb einmal
Karoline. Auch der Tod fand den Weg; er nahm zuerst die junge Auguste.
Die goldige Prinzessin welkte dahin; auf dem kleinen Kirchhof zu Bocklet fand
sie schon im Jahre 1800 ihr Grab, und das Grabdenkmal, das Thorwaldsen
für sie entwarf, blieb ein Fragment. Im nächsten Jahre ging heiter lächelnd
auch Novalis in die Heimat seiner Träume.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/623>, abgerufen am 22.07.2024.