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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Frühlingstage der Romantik in Jena

drüben in Weimar erscheint Bertuchs Journal des Luxus und der Mode, die
erste deutsche Modenzeitung. Daß Schiller sich wunderlich kleidete, fiel jedem
Fremden auf. Auch die Romantiker halten nichts mehr von Zopf und Puder.
Sie streichen das Haar wild zurück, wie die Libertins und Sauvages, oder gehn
5 ig, Titus frisiert, oder lassen nach Novalis Art die Locken sich sanft über den
Kragen ringeln. Statt des Dreispitzes tragen sie den hohen Filzhut und um
den gereckten Hals die Binde der Jncroyables. Wilhelm Schlegel kleidet sich
mit Studierter Sorgfalt, und er wählt wie Goethe den braunroten Überrock und
die schwarzseidnen Beinkleider bis zum Knie. Ein andrer, der als Danton
gelten will, liebt die langen Hosen. Man will nicht den Luxus; man verwirft
alle die brodierten Westen, die blitzenden Schuhschnallen, goldnen Knöpfe, Spitzen¬
jabots und Spitzenmanschetten. So ganz bescheiden pflegte selbst Humboldt sein
Äußeres, daß er in Jena in der Gesellschaft nach dem Mittagessen immer gleich
seinen Staatsrock auszog, ehe er sich mit den andern an den Kaffeetisch setzte.

Auch den Frauen erscheint die Simplizitüt als das Reizendste. Und die
Einfachheit tritt bisweilen prätentiös auf. Die Revolution hat ihnen das
antike, rhythmisch wallende, weiße Gewand gebracht; nur um die hohe Taille
schlingen sie gern ein farbiges Band. Sie wollen keinen Schmuck mehr um
den Hals, auch nicht in den Ohren und in dem natürlich geordneten Haar.

Wie ein entzückender zarter Hausgeist waltete hier zwischen den Männern
und den Frauen Auguste Böhmer, die Tochter Karolines aus der ersten Ehe.
Sie war die Verkörperung der romantischen Poesie, das weibliche Gegenbild
zu dem Jüngling Novalis -- "die Jugend in der Jugend, Lieb in Liebe,
Natur in der Natur, Gottheit der Götter". 1799 war sie kaum vierzehn Jahre
alt. Tischbein hat ihr liebliches Gesicht gemalt, schlank und hell; und man
mag nun gern in diesen feinen Zügen alles lesen, was wir von ihr wissen --
ihre mädchenhafte Schüchternheit, die schwärmerische Innigkeit, wenn sie die
Augen niederschlug, und dann, wenn sie sie aufschlug, die übermütige Aus¬
gelassenheit des Wildfangs. Am liebsten spielte sie noch und lachte sie, ganz
Kind. Und doch las sie so eifrig griechisch und italienisch und konnte mit den
Männern so ernsthaft und verständig über das Faustfragment und über den
Nathan sprechen. Sie hörten aber doch noch lieber den Wohllaut ihrer Stimme,
wenn sie sang. Am begierigsten Schelling, der immer, wenn er mit der Mutter
Dante las, von seinem Buche zu der Tochter hinüberblicken mußte. Seine
Beatrice war sie dann, bis Karoline seine Leidenschaft für sich nahm. An der
Schwelle des Lebens hat das Mädchen bald umkehren müssen, wie Novalis.
Nach ihrem Tode schrieb Karoline an Schelling: "Wenn die Wolken des eignen
Jammers mir auch das Haupt eine Weile umhüllen, es befreit sich bald wieder
und wird vom reinen Blau des Himmels über mir beschienen, der mein Kind ein¬
schließt wie mich. Die Allgegenwart, das ist die Gottheit -- und meinst Du
kunst, daß wir einmal allgegenwärtig werden müssen, alle einer in dem andern,
ohne deswegen Eins zu sein?"


Die Frühlingstage der Romantik in Jena

drüben in Weimar erscheint Bertuchs Journal des Luxus und der Mode, die
erste deutsche Modenzeitung. Daß Schiller sich wunderlich kleidete, fiel jedem
Fremden auf. Auch die Romantiker halten nichts mehr von Zopf und Puder.
Sie streichen das Haar wild zurück, wie die Libertins und Sauvages, oder gehn
5 ig, Titus frisiert, oder lassen nach Novalis Art die Locken sich sanft über den
Kragen ringeln. Statt des Dreispitzes tragen sie den hohen Filzhut und um
den gereckten Hals die Binde der Jncroyables. Wilhelm Schlegel kleidet sich
mit Studierter Sorgfalt, und er wählt wie Goethe den braunroten Überrock und
die schwarzseidnen Beinkleider bis zum Knie. Ein andrer, der als Danton
gelten will, liebt die langen Hosen. Man will nicht den Luxus; man verwirft
alle die brodierten Westen, die blitzenden Schuhschnallen, goldnen Knöpfe, Spitzen¬
jabots und Spitzenmanschetten. So ganz bescheiden pflegte selbst Humboldt sein
Äußeres, daß er in Jena in der Gesellschaft nach dem Mittagessen immer gleich
seinen Staatsrock auszog, ehe er sich mit den andern an den Kaffeetisch setzte.

Auch den Frauen erscheint die Simplizitüt als das Reizendste. Und die
Einfachheit tritt bisweilen prätentiös auf. Die Revolution hat ihnen das
antike, rhythmisch wallende, weiße Gewand gebracht; nur um die hohe Taille
schlingen sie gern ein farbiges Band. Sie wollen keinen Schmuck mehr um
den Hals, auch nicht in den Ohren und in dem natürlich geordneten Haar.

Wie ein entzückender zarter Hausgeist waltete hier zwischen den Männern
und den Frauen Auguste Böhmer, die Tochter Karolines aus der ersten Ehe.
Sie war die Verkörperung der romantischen Poesie, das weibliche Gegenbild
zu dem Jüngling Novalis — „die Jugend in der Jugend, Lieb in Liebe,
Natur in der Natur, Gottheit der Götter". 1799 war sie kaum vierzehn Jahre
alt. Tischbein hat ihr liebliches Gesicht gemalt, schlank und hell; und man
mag nun gern in diesen feinen Zügen alles lesen, was wir von ihr wissen —
ihre mädchenhafte Schüchternheit, die schwärmerische Innigkeit, wenn sie die
Augen niederschlug, und dann, wenn sie sie aufschlug, die übermütige Aus¬
gelassenheit des Wildfangs. Am liebsten spielte sie noch und lachte sie, ganz
Kind. Und doch las sie so eifrig griechisch und italienisch und konnte mit den
Männern so ernsthaft und verständig über das Faustfragment und über den
Nathan sprechen. Sie hörten aber doch noch lieber den Wohllaut ihrer Stimme,
wenn sie sang. Am begierigsten Schelling, der immer, wenn er mit der Mutter
Dante las, von seinem Buche zu der Tochter hinüberblicken mußte. Seine
Beatrice war sie dann, bis Karoline seine Leidenschaft für sich nahm. An der
Schwelle des Lebens hat das Mädchen bald umkehren müssen, wie Novalis.
Nach ihrem Tode schrieb Karoline an Schelling: „Wenn die Wolken des eignen
Jammers mir auch das Haupt eine Weile umhüllen, es befreit sich bald wieder
und wird vom reinen Blau des Himmels über mir beschienen, der mein Kind ein¬
schließt wie mich. Die Allgegenwart, das ist die Gottheit — und meinst Du
kunst, daß wir einmal allgegenwärtig werden müssen, alle einer in dem andern,
ohne deswegen Eins zu sein?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/619>, abgerufen am 22.07.2024.