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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Elsaß-Lothringen als Bundesstaat

M>lsaß-Lothringen hat eine monarchische Verfassung, sein Fürst ist
der Kaiser. Landesminister ist der Statthalter, der diesen Namen
erhalten hat, weil ihm vom Kaiser landesherrliche Befugnisse
übertragen werden können. Vertreter des Statthalters ist der
! Staatssekretär, er ist der Vorstand der Regierung; vier Unter-
staatssekretürc unterstützen ihn. Der Landesausschuß ist die Vertretung des
Volkes. Zum Reichstag wühlt es fünfzehn Abgeordnete. Im Bundesrat hat
Elsaß-Lothringen keine Stimme; es würde wie Baden Anspruch auf drei Stimmen
haben. Statt dessen besteht ein besondrer Bundesratsausschuß für Elsaß-Lothringen,
zu dem der Statthalter zwei Kommissare abordnen kann. Auch im Reichskanzleramt
besteht eine Abteilung für Elsaß-Lothringen. Die Wünsche vieler Landesbewohner
sind nun auf Gleichberechtigung und mehr noch auf Selbständigkeit des Bundes¬
staates gerichtet. Anträge dazu hat in jüngster Zeit der Landesausschuß beim
Reichskanzler gestellt, der sie dem Bundesrat zur Entscheidung überwies. Bei
der Erörterung ist ein Teil der Antrüge als geeignet zur weitern Verfolgung
bezeichnet worden, während sich beim andern Teil Schwierigkeiten ergaben, die
sich nicht heben ließen. In seiner Antwort sprach der Reichskanzler die Hoffnung
aus, es werde sich die Verfassung Elsaß-Lothringens auf dem Wege der Reichs¬
gesetzgebung weiter fortbilden, sodaß die Wünsche des Landesausschusses in
bestimmten Grenzen erfüllt würden.

Diese Wünsche nach Selbständigkeit des Staates, insbesondre nach Selbst¬
regierung werden jedoch keineswegs von allen Bewohnern geteilt, zum mindesten
für verfrüht eingesehn. Ein Altelsüsser, Hans Spieser, hält seinen Landsleuten
ihre Verfehlungen gegen das Deutschtum vor und spricht ihnen zurzeit die
Fähigkeit ab, die Regierung des Landes zu übernehmen. Seine Gründe hat er
in einer Schrift ausgeführt, die soeben erschienen ist.")

Man hätte erwarten können, daß die deutsche Sprache, nachdem sie zwei¬
hundert Jahre lang dem französischen Einfluß besonders unter den Bauern
hartnäckig widerstanden hat, nun nach Wiedereinführung in die Volksschulen
kräftig emporwachsen müsse. Das Gegenteil ist eingetreten. Der Verfasser schildert
es an einem Beispiel aus dem täglichen Leben. "Da kommt ein alter Schul¬
freund unverhofft auf Besuch. Man unterhält sich deutsch wie früher. Neugierig



*) Hans Spieser, Elsaß-Lothringen als Bundesstaat. Berlin 1908, Verlag Schwetschke und
Sohn. 131 Seiten, Preis 2 Mark.


Elsaß-Lothringen als Bundesstaat

M>lsaß-Lothringen hat eine monarchische Verfassung, sein Fürst ist
der Kaiser. Landesminister ist der Statthalter, der diesen Namen
erhalten hat, weil ihm vom Kaiser landesherrliche Befugnisse
übertragen werden können. Vertreter des Statthalters ist der
! Staatssekretär, er ist der Vorstand der Regierung; vier Unter-
staatssekretürc unterstützen ihn. Der Landesausschuß ist die Vertretung des
Volkes. Zum Reichstag wühlt es fünfzehn Abgeordnete. Im Bundesrat hat
Elsaß-Lothringen keine Stimme; es würde wie Baden Anspruch auf drei Stimmen
haben. Statt dessen besteht ein besondrer Bundesratsausschuß für Elsaß-Lothringen,
zu dem der Statthalter zwei Kommissare abordnen kann. Auch im Reichskanzleramt
besteht eine Abteilung für Elsaß-Lothringen. Die Wünsche vieler Landesbewohner
sind nun auf Gleichberechtigung und mehr noch auf Selbständigkeit des Bundes¬
staates gerichtet. Anträge dazu hat in jüngster Zeit der Landesausschuß beim
Reichskanzler gestellt, der sie dem Bundesrat zur Entscheidung überwies. Bei
der Erörterung ist ein Teil der Antrüge als geeignet zur weitern Verfolgung
bezeichnet worden, während sich beim andern Teil Schwierigkeiten ergaben, die
sich nicht heben ließen. In seiner Antwort sprach der Reichskanzler die Hoffnung
aus, es werde sich die Verfassung Elsaß-Lothringens auf dem Wege der Reichs¬
gesetzgebung weiter fortbilden, sodaß die Wünsche des Landesausschusses in
bestimmten Grenzen erfüllt würden.

Diese Wünsche nach Selbständigkeit des Staates, insbesondre nach Selbst¬
regierung werden jedoch keineswegs von allen Bewohnern geteilt, zum mindesten
für verfrüht eingesehn. Ein Altelsüsser, Hans Spieser, hält seinen Landsleuten
ihre Verfehlungen gegen das Deutschtum vor und spricht ihnen zurzeit die
Fähigkeit ab, die Regierung des Landes zu übernehmen. Seine Gründe hat er
in einer Schrift ausgeführt, die soeben erschienen ist.")

Man hätte erwarten können, daß die deutsche Sprache, nachdem sie zwei¬
hundert Jahre lang dem französischen Einfluß besonders unter den Bauern
hartnäckig widerstanden hat, nun nach Wiedereinführung in die Volksschulen
kräftig emporwachsen müsse. Das Gegenteil ist eingetreten. Der Verfasser schildert
es an einem Beispiel aus dem täglichen Leben. „Da kommt ein alter Schul¬
freund unverhofft auf Besuch. Man unterhält sich deutsch wie früher. Neugierig



*) Hans Spieser, Elsaß-Lothringen als Bundesstaat. Berlin 1908, Verlag Schwetschke und
Sohn. 131 Seiten, Preis 2 Mark.
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[0610] [Abbildung] Elsaß-Lothringen als Bundesstaat M>lsaß-Lothringen hat eine monarchische Verfassung, sein Fürst ist der Kaiser. Landesminister ist der Statthalter, der diesen Namen erhalten hat, weil ihm vom Kaiser landesherrliche Befugnisse übertragen werden können. Vertreter des Statthalters ist der ! Staatssekretär, er ist der Vorstand der Regierung; vier Unter- staatssekretürc unterstützen ihn. Der Landesausschuß ist die Vertretung des Volkes. Zum Reichstag wühlt es fünfzehn Abgeordnete. Im Bundesrat hat Elsaß-Lothringen keine Stimme; es würde wie Baden Anspruch auf drei Stimmen haben. Statt dessen besteht ein besondrer Bundesratsausschuß für Elsaß-Lothringen, zu dem der Statthalter zwei Kommissare abordnen kann. Auch im Reichskanzleramt besteht eine Abteilung für Elsaß-Lothringen. Die Wünsche vieler Landesbewohner sind nun auf Gleichberechtigung und mehr noch auf Selbständigkeit des Bundes¬ staates gerichtet. Anträge dazu hat in jüngster Zeit der Landesausschuß beim Reichskanzler gestellt, der sie dem Bundesrat zur Entscheidung überwies. Bei der Erörterung ist ein Teil der Antrüge als geeignet zur weitern Verfolgung bezeichnet worden, während sich beim andern Teil Schwierigkeiten ergaben, die sich nicht heben ließen. In seiner Antwort sprach der Reichskanzler die Hoffnung aus, es werde sich die Verfassung Elsaß-Lothringens auf dem Wege der Reichs¬ gesetzgebung weiter fortbilden, sodaß die Wünsche des Landesausschusses in bestimmten Grenzen erfüllt würden. Diese Wünsche nach Selbständigkeit des Staates, insbesondre nach Selbst¬ regierung werden jedoch keineswegs von allen Bewohnern geteilt, zum mindesten für verfrüht eingesehn. Ein Altelsüsser, Hans Spieser, hält seinen Landsleuten ihre Verfehlungen gegen das Deutschtum vor und spricht ihnen zurzeit die Fähigkeit ab, die Regierung des Landes zu übernehmen. Seine Gründe hat er in einer Schrift ausgeführt, die soeben erschienen ist.") Man hätte erwarten können, daß die deutsche Sprache, nachdem sie zwei¬ hundert Jahre lang dem französischen Einfluß besonders unter den Bauern hartnäckig widerstanden hat, nun nach Wiedereinführung in die Volksschulen kräftig emporwachsen müsse. Das Gegenteil ist eingetreten. Der Verfasser schildert es an einem Beispiel aus dem täglichen Leben. „Da kommt ein alter Schul¬ freund unverhofft auf Besuch. Man unterhält sich deutsch wie früher. Neugierig *) Hans Spieser, Elsaß-Lothringen als Bundesstaat. Berlin 1908, Verlag Schwetschke und Sohn. 131 Seiten, Preis 2 Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/610>, abgerufen am 04.07.2024.