Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kirche und Staat in Frankreich

und des Gemeinwohls setzten. Speziell die Kirche hätten die absoluten
Monarchen, ganz so wie es später die Gesetzgebende Versammlung tat, als eine
Staatsanstalt und als ihr Werkzeug behandelt. Und diese Versammlung sei
anfangs besser gewesen als der Absolutismus, von wirklich christlichen Ideen
beseelt. Daß diese nicht, vom Klerus unterstützt, die Oberhand gewannen,
daran seien die Prälaten schuld gewesen, die in dem Zwiespalt mit den vielen
demokratisch, liberal und christlich denkenden Pfarrern siegten. Das wird in
einer Durchmusterung der Cahiers des Klerus*) gezeigt, über die der Ver¬
fasser folgendes Gesamturteil fällt: "Das also ist, in großen Zügen, der
Reformplan des Klerus von 1789 gewesen. Aufgeklärt genug, die Unabwend-
barkeit einer politischen Reform zu erkennen, liberal genug, eine ernste und
wirksame Reform zu wollen, hat er sich doch, wo immer es sich um seine
eignen Angelegenheiten handelte, durch seinen Eigennutz und seinen Korpsgeist
verblenden lassen. Er will eine Macht im Staate und der erste Stand sein.
Er will seine Hierarchie, seine Privilegien, seine Zehnten, sein Selbstregierungs¬
und Selbstverwaltungsrecht ungeschmälert erhalten. Er beschließt, daß die
Klöster fortbestehn sollen. Er beansprucht für den Katholizismus das Monopol
des Unterrichts und des öffentlichen Kultus und fordert von der Regierung
strenge Maßregeln gegen die Protestanten, die Juden und die "Philosophen"
sowie den Beistand des weltlichen Armes gegen die Zügellosigkeit der Presse,
des Theaters und der Sitten. Im ganzen Bereiche der Religion, der Wissen¬
schaft und der Moral soll alles unter seiner Aufsicht stehn, ohne seine Er¬
laubnis nichts keimen, wachsen und sich regen dürfen. Die Regierungsform,
von der er träumt, ist die Theokratie; diese aber konnte man dem französischen
Volke von 1789 nur zumuten, wenn man es gar nicht kannte."

Der Verfasser begleitet mit seiner Kritik die Zivilkonstitution des Klerus,
die Konfiskation der Kirchengüter (die er als eine den Kommunismus recht¬
fertigende Verletzung des Eigentumsrechts charakterisiert), die Verfolgung des
Klerus, die stufenweise Abkehr des Volkes vom Christentum und seine stürmische
Rückkehr, die Napoleon zur Neuordnung des Kirchenwesens zwang. Nach
einer Schilderung des Lebens der gehetzten Eidverweigerer fragt er: "Ob wohl
einer dieser Priester einmal daran gedacht haben mag, wie hart seine Kirche
gegen die Protestanten gewesen ist, und daß kaum dreißig Jahre vorher so
mancher Prediger, gleich ihm als Hausierer verkleidet, geächtet umhergeirrt
war und in Waldlichtungen Gottesdienst gehalten hatte?" Das Konkordat
und die (vertragswidrig) angehängten organischen Artikel gefallen dem Ver¬
fasser nicht. Das Volk habe sich an die Freiheit gewöhnt gehabt und weder
das Bedürfnis empfunden noch den Wunsch gehegt, die Kirche aufs neue an
den Staat zu fesseln, wie Bonapartes Herrschsucht es getan habe; nur in



*) Über diese ist, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, vor ein paar Jahren einmal
in den Grenzboten ausführlich berichtet worden.
Kirche und Staat in Frankreich

und des Gemeinwohls setzten. Speziell die Kirche hätten die absoluten
Monarchen, ganz so wie es später die Gesetzgebende Versammlung tat, als eine
Staatsanstalt und als ihr Werkzeug behandelt. Und diese Versammlung sei
anfangs besser gewesen als der Absolutismus, von wirklich christlichen Ideen
beseelt. Daß diese nicht, vom Klerus unterstützt, die Oberhand gewannen,
daran seien die Prälaten schuld gewesen, die in dem Zwiespalt mit den vielen
demokratisch, liberal und christlich denkenden Pfarrern siegten. Das wird in
einer Durchmusterung der Cahiers des Klerus*) gezeigt, über die der Ver¬
fasser folgendes Gesamturteil fällt: „Das also ist, in großen Zügen, der
Reformplan des Klerus von 1789 gewesen. Aufgeklärt genug, die Unabwend-
barkeit einer politischen Reform zu erkennen, liberal genug, eine ernste und
wirksame Reform zu wollen, hat er sich doch, wo immer es sich um seine
eignen Angelegenheiten handelte, durch seinen Eigennutz und seinen Korpsgeist
verblenden lassen. Er will eine Macht im Staate und der erste Stand sein.
Er will seine Hierarchie, seine Privilegien, seine Zehnten, sein Selbstregierungs¬
und Selbstverwaltungsrecht ungeschmälert erhalten. Er beschließt, daß die
Klöster fortbestehn sollen. Er beansprucht für den Katholizismus das Monopol
des Unterrichts und des öffentlichen Kultus und fordert von der Regierung
strenge Maßregeln gegen die Protestanten, die Juden und die „Philosophen"
sowie den Beistand des weltlichen Armes gegen die Zügellosigkeit der Presse,
des Theaters und der Sitten. Im ganzen Bereiche der Religion, der Wissen¬
schaft und der Moral soll alles unter seiner Aufsicht stehn, ohne seine Er¬
laubnis nichts keimen, wachsen und sich regen dürfen. Die Regierungsform,
von der er träumt, ist die Theokratie; diese aber konnte man dem französischen
Volke von 1789 nur zumuten, wenn man es gar nicht kannte."

Der Verfasser begleitet mit seiner Kritik die Zivilkonstitution des Klerus,
die Konfiskation der Kirchengüter (die er als eine den Kommunismus recht¬
fertigende Verletzung des Eigentumsrechts charakterisiert), die Verfolgung des
Klerus, die stufenweise Abkehr des Volkes vom Christentum und seine stürmische
Rückkehr, die Napoleon zur Neuordnung des Kirchenwesens zwang. Nach
einer Schilderung des Lebens der gehetzten Eidverweigerer fragt er: „Ob wohl
einer dieser Priester einmal daran gedacht haben mag, wie hart seine Kirche
gegen die Protestanten gewesen ist, und daß kaum dreißig Jahre vorher so
mancher Prediger, gleich ihm als Hausierer verkleidet, geächtet umhergeirrt
war und in Waldlichtungen Gottesdienst gehalten hatte?" Das Konkordat
und die (vertragswidrig) angehängten organischen Artikel gefallen dem Ver¬
fasser nicht. Das Volk habe sich an die Freiheit gewöhnt gehabt und weder
das Bedürfnis empfunden noch den Wunsch gehegt, die Kirche aufs neue an
den Staat zu fesseln, wie Bonapartes Herrschsucht es getan habe; nur in



*) Über diese ist, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, vor ein paar Jahren einmal
in den Grenzboten ausführlich berichtet worden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0575" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311658"/>
          <fw type="header" place="top"> Kirche und Staat in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2698" prev="#ID_2697"> und des Gemeinwohls setzten. Speziell die Kirche hätten die absoluten<lb/>
Monarchen, ganz so wie es später die Gesetzgebende Versammlung tat, als eine<lb/>
Staatsanstalt und als ihr Werkzeug behandelt. Und diese Versammlung sei<lb/>
anfangs besser gewesen als der Absolutismus, von wirklich christlichen Ideen<lb/>
beseelt. Daß diese nicht, vom Klerus unterstützt, die Oberhand gewannen,<lb/>
daran seien die Prälaten schuld gewesen, die in dem Zwiespalt mit den vielen<lb/>
demokratisch, liberal und christlich denkenden Pfarrern siegten. Das wird in<lb/>
einer Durchmusterung der Cahiers des Klerus*) gezeigt, über die der Ver¬<lb/>
fasser folgendes Gesamturteil fällt: &#x201E;Das also ist, in großen Zügen, der<lb/>
Reformplan des Klerus von 1789 gewesen. Aufgeklärt genug, die Unabwend-<lb/>
barkeit einer politischen Reform zu erkennen, liberal genug, eine ernste und<lb/>
wirksame Reform zu wollen, hat er sich doch, wo immer es sich um seine<lb/>
eignen Angelegenheiten handelte, durch seinen Eigennutz und seinen Korpsgeist<lb/>
verblenden lassen. Er will eine Macht im Staate und der erste Stand sein.<lb/>
Er will seine Hierarchie, seine Privilegien, seine Zehnten, sein Selbstregierungs¬<lb/>
und Selbstverwaltungsrecht ungeschmälert erhalten. Er beschließt, daß die<lb/>
Klöster fortbestehn sollen. Er beansprucht für den Katholizismus das Monopol<lb/>
des Unterrichts und des öffentlichen Kultus und fordert von der Regierung<lb/>
strenge Maßregeln gegen die Protestanten, die Juden und die &#x201E;Philosophen"<lb/>
sowie den Beistand des weltlichen Armes gegen die Zügellosigkeit der Presse,<lb/>
des Theaters und der Sitten. Im ganzen Bereiche der Religion, der Wissen¬<lb/>
schaft und der Moral soll alles unter seiner Aufsicht stehn, ohne seine Er¬<lb/>
laubnis nichts keimen, wachsen und sich regen dürfen. Die Regierungsform,<lb/>
von der er träumt, ist die Theokratie; diese aber konnte man dem französischen<lb/>
Volke von 1789 nur zumuten, wenn man es gar nicht kannte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2699" next="#ID_2700"> Der Verfasser begleitet mit seiner Kritik die Zivilkonstitution des Klerus,<lb/>
die Konfiskation der Kirchengüter (die er als eine den Kommunismus recht¬<lb/>
fertigende Verletzung des Eigentumsrechts charakterisiert), die Verfolgung des<lb/>
Klerus, die stufenweise Abkehr des Volkes vom Christentum und seine stürmische<lb/>
Rückkehr, die Napoleon zur Neuordnung des Kirchenwesens zwang. Nach<lb/>
einer Schilderung des Lebens der gehetzten Eidverweigerer fragt er: &#x201E;Ob wohl<lb/>
einer dieser Priester einmal daran gedacht haben mag, wie hart seine Kirche<lb/>
gegen die Protestanten gewesen ist, und daß kaum dreißig Jahre vorher so<lb/>
mancher Prediger, gleich ihm als Hausierer verkleidet, geächtet umhergeirrt<lb/>
war und in Waldlichtungen Gottesdienst gehalten hatte?" Das Konkordat<lb/>
und die (vertragswidrig) angehängten organischen Artikel gefallen dem Ver¬<lb/>
fasser nicht. Das Volk habe sich an die Freiheit gewöhnt gehabt und weder<lb/>
das Bedürfnis empfunden noch den Wunsch gehegt, die Kirche aufs neue an<lb/>
den Staat zu fesseln, wie Bonapartes Herrschsucht es getan habe; nur in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_48" place="foot"> *) Über diese ist, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, vor ein paar Jahren einmal<lb/>
in den Grenzboten ausführlich berichtet worden.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0575] Kirche und Staat in Frankreich und des Gemeinwohls setzten. Speziell die Kirche hätten die absoluten Monarchen, ganz so wie es später die Gesetzgebende Versammlung tat, als eine Staatsanstalt und als ihr Werkzeug behandelt. Und diese Versammlung sei anfangs besser gewesen als der Absolutismus, von wirklich christlichen Ideen beseelt. Daß diese nicht, vom Klerus unterstützt, die Oberhand gewannen, daran seien die Prälaten schuld gewesen, die in dem Zwiespalt mit den vielen demokratisch, liberal und christlich denkenden Pfarrern siegten. Das wird in einer Durchmusterung der Cahiers des Klerus*) gezeigt, über die der Ver¬ fasser folgendes Gesamturteil fällt: „Das also ist, in großen Zügen, der Reformplan des Klerus von 1789 gewesen. Aufgeklärt genug, die Unabwend- barkeit einer politischen Reform zu erkennen, liberal genug, eine ernste und wirksame Reform zu wollen, hat er sich doch, wo immer es sich um seine eignen Angelegenheiten handelte, durch seinen Eigennutz und seinen Korpsgeist verblenden lassen. Er will eine Macht im Staate und der erste Stand sein. Er will seine Hierarchie, seine Privilegien, seine Zehnten, sein Selbstregierungs¬ und Selbstverwaltungsrecht ungeschmälert erhalten. Er beschließt, daß die Klöster fortbestehn sollen. Er beansprucht für den Katholizismus das Monopol des Unterrichts und des öffentlichen Kultus und fordert von der Regierung strenge Maßregeln gegen die Protestanten, die Juden und die „Philosophen" sowie den Beistand des weltlichen Armes gegen die Zügellosigkeit der Presse, des Theaters und der Sitten. Im ganzen Bereiche der Religion, der Wissen¬ schaft und der Moral soll alles unter seiner Aufsicht stehn, ohne seine Er¬ laubnis nichts keimen, wachsen und sich regen dürfen. Die Regierungsform, von der er träumt, ist die Theokratie; diese aber konnte man dem französischen Volke von 1789 nur zumuten, wenn man es gar nicht kannte." Der Verfasser begleitet mit seiner Kritik die Zivilkonstitution des Klerus, die Konfiskation der Kirchengüter (die er als eine den Kommunismus recht¬ fertigende Verletzung des Eigentumsrechts charakterisiert), die Verfolgung des Klerus, die stufenweise Abkehr des Volkes vom Christentum und seine stürmische Rückkehr, die Napoleon zur Neuordnung des Kirchenwesens zwang. Nach einer Schilderung des Lebens der gehetzten Eidverweigerer fragt er: „Ob wohl einer dieser Priester einmal daran gedacht haben mag, wie hart seine Kirche gegen die Protestanten gewesen ist, und daß kaum dreißig Jahre vorher so mancher Prediger, gleich ihm als Hausierer verkleidet, geächtet umhergeirrt war und in Waldlichtungen Gottesdienst gehalten hatte?" Das Konkordat und die (vertragswidrig) angehängten organischen Artikel gefallen dem Ver¬ fasser nicht. Das Volk habe sich an die Freiheit gewöhnt gehabt und weder das Bedürfnis empfunden noch den Wunsch gehegt, die Kirche aufs neue an den Staat zu fesseln, wie Bonapartes Herrschsucht es getan habe; nur in *) Über diese ist, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, vor ein paar Jahren einmal in den Grenzboten ausführlich berichtet worden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/575
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/575>, abgerufen am 24.08.2024.