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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Airche und Staat in Frankreich

gefallen. Die Geschichte der Aufhebung des Ordens ist bekannt. Daß sich
der König lange drängen ließ, ist nach dem oben angeführten erklärlich. Er
äußerte, er gebe nur um des lieben Friedens willen nach; er liebe die Jesuiten
nicht eigentlich, aber es sei ein unanfechtbares Zeugnis für sie, daß sie von
allen Ketzern gehaßt würden, und wenn er sie preisgebe, so wolle er doch
die Meinung nicht aufkommen lassen, als halte er alle die Beschuldigungen
für begründet, die von den Parlamenten gegen sie erhoben worden seien.
Choiseul hatte in des Königs Namen den vermittelnden Vorschlag gemacht,
der Jesuitengeneral solle einem in Frankreich residierenden Stellvertreter die
Leitung der französischen Ordensprovinz überlassen; aber Clemens der Drei¬
zehnte wollte von einer Änderung der Ordensstatuten nichts wissen, und nach
Desdevises tat er, nicht Ricci, den Ausspruch: 8i"t, ut 8unt, ant mein sint.
In Spanien, Portugal und mehreren italienischen Staaten wurden die Jesuiten,
ohne daß ihnen ein Verbrechen nachgewiesen worden wäre, mit raffinierter
Grausamkeit behandelt. In England, Preußen und Rußland haben sie Zuflucht-
stätten gefunden; Friedrich der Große hat seine französischen Freunde, die
dadurch verstimmt wurden, mit Spott über ihren unphilosophischen Haß und
ihre Leichtgläubigkeit abgefertigt. Trotz diesem fanatischen Haß ihrer Gegner
sind sie in Frankreich nicht grausam, sondern bloß einigermaßen rücksichtslos
behandelt worden. Die konfiszierten Güter der Jesuiten waren 53 Millionen
wert und brachten 1200000 Livres Reinertrag; das habe bei 4000 Ordens-
Mitgliedern auf den Kopf 300 Livres gemacht, wahrlich nicht viel in einer
Zeit, wo die Pfarrer bei 700 Livres Einkommen bitter klagten. (Von den
Pfarrern hatte freilich jeder seinen Einzelhaushalt, und es wurde ihnen nicht
bloß Wohltätigkeit, sondern auch eine ziemlich kostspielige Gastfreundschaft zu¬
gemutet.) Den Professen nun bewilligten die Parlamente Pensionen in ver-
schiedner Höhe, das Pariser 20 Sous für den Tag, das von Grenoble 30,
das von Toulouse bloß 12 Sous. Hier jedoch brachte ihnen ein eigentümlicher
Anlaß bald eine Aufbesserung. Die dortigen Jesuiten pflegten, so oft ein
neuer Transport von Galeerensträflingen ankam, diesen Unglücklichen ein
Mahl zu geben und dabei ihre Schüler zur Übung in der Demut und Barm¬
herzigkeit aufwarten zu lassen. Nach Schließung des Kollegs wollte das
Parlament diesen christlichen Brauch nicht eingehn lassen und bewilligte die
Kosten dafür aus den Zinsen der konfiszierten Jesuitengüter. Da ergab es
sich denn, daß diese Speisung 17 Sous für den Mann kostete, und das
Parlament hielt es für unanständig, den Tagesbedarf eines ExPaters niedriger
als eine Sträflingsmahlzeit zu bemessen, erhöhte deshalb die Pension auf
20 Sous.

Den Geist der Revolution, meint Desdevises, könne man den Geist
Voltaires nennen, multipliziert mit dem Geiste Ludwigs des Vierzehnten.
Der Absolutismus sei die hohe Schule gewesen, aus der die Jakobiner hervor¬
gingen, die ihre subjektive Einsicht und ihr Belieben an die Stelle des Rechts


Airche und Staat in Frankreich

gefallen. Die Geschichte der Aufhebung des Ordens ist bekannt. Daß sich
der König lange drängen ließ, ist nach dem oben angeführten erklärlich. Er
äußerte, er gebe nur um des lieben Friedens willen nach; er liebe die Jesuiten
nicht eigentlich, aber es sei ein unanfechtbares Zeugnis für sie, daß sie von
allen Ketzern gehaßt würden, und wenn er sie preisgebe, so wolle er doch
die Meinung nicht aufkommen lassen, als halte er alle die Beschuldigungen
für begründet, die von den Parlamenten gegen sie erhoben worden seien.
Choiseul hatte in des Königs Namen den vermittelnden Vorschlag gemacht,
der Jesuitengeneral solle einem in Frankreich residierenden Stellvertreter die
Leitung der französischen Ordensprovinz überlassen; aber Clemens der Drei¬
zehnte wollte von einer Änderung der Ordensstatuten nichts wissen, und nach
Desdevises tat er, nicht Ricci, den Ausspruch: 8i»t, ut 8unt, ant mein sint.
In Spanien, Portugal und mehreren italienischen Staaten wurden die Jesuiten,
ohne daß ihnen ein Verbrechen nachgewiesen worden wäre, mit raffinierter
Grausamkeit behandelt. In England, Preußen und Rußland haben sie Zuflucht-
stätten gefunden; Friedrich der Große hat seine französischen Freunde, die
dadurch verstimmt wurden, mit Spott über ihren unphilosophischen Haß und
ihre Leichtgläubigkeit abgefertigt. Trotz diesem fanatischen Haß ihrer Gegner
sind sie in Frankreich nicht grausam, sondern bloß einigermaßen rücksichtslos
behandelt worden. Die konfiszierten Güter der Jesuiten waren 53 Millionen
wert und brachten 1200000 Livres Reinertrag; das habe bei 4000 Ordens-
Mitgliedern auf den Kopf 300 Livres gemacht, wahrlich nicht viel in einer
Zeit, wo die Pfarrer bei 700 Livres Einkommen bitter klagten. (Von den
Pfarrern hatte freilich jeder seinen Einzelhaushalt, und es wurde ihnen nicht
bloß Wohltätigkeit, sondern auch eine ziemlich kostspielige Gastfreundschaft zu¬
gemutet.) Den Professen nun bewilligten die Parlamente Pensionen in ver-
schiedner Höhe, das Pariser 20 Sous für den Tag, das von Grenoble 30,
das von Toulouse bloß 12 Sous. Hier jedoch brachte ihnen ein eigentümlicher
Anlaß bald eine Aufbesserung. Die dortigen Jesuiten pflegten, so oft ein
neuer Transport von Galeerensträflingen ankam, diesen Unglücklichen ein
Mahl zu geben und dabei ihre Schüler zur Übung in der Demut und Barm¬
herzigkeit aufwarten zu lassen. Nach Schließung des Kollegs wollte das
Parlament diesen christlichen Brauch nicht eingehn lassen und bewilligte die
Kosten dafür aus den Zinsen der konfiszierten Jesuitengüter. Da ergab es
sich denn, daß diese Speisung 17 Sous für den Mann kostete, und das
Parlament hielt es für unanständig, den Tagesbedarf eines ExPaters niedriger
als eine Sträflingsmahlzeit zu bemessen, erhöhte deshalb die Pension auf
20 Sous.

Den Geist der Revolution, meint Desdevises, könne man den Geist
Voltaires nennen, multipliziert mit dem Geiste Ludwigs des Vierzehnten.
Der Absolutismus sei die hohe Schule gewesen, aus der die Jakobiner hervor¬
gingen, die ihre subjektive Einsicht und ihr Belieben an die Stelle des Rechts


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[0574] Airche und Staat in Frankreich gefallen. Die Geschichte der Aufhebung des Ordens ist bekannt. Daß sich der König lange drängen ließ, ist nach dem oben angeführten erklärlich. Er äußerte, er gebe nur um des lieben Friedens willen nach; er liebe die Jesuiten nicht eigentlich, aber es sei ein unanfechtbares Zeugnis für sie, daß sie von allen Ketzern gehaßt würden, und wenn er sie preisgebe, so wolle er doch die Meinung nicht aufkommen lassen, als halte er alle die Beschuldigungen für begründet, die von den Parlamenten gegen sie erhoben worden seien. Choiseul hatte in des Königs Namen den vermittelnden Vorschlag gemacht, der Jesuitengeneral solle einem in Frankreich residierenden Stellvertreter die Leitung der französischen Ordensprovinz überlassen; aber Clemens der Drei¬ zehnte wollte von einer Änderung der Ordensstatuten nichts wissen, und nach Desdevises tat er, nicht Ricci, den Ausspruch: 8i»t, ut 8unt, ant mein sint. In Spanien, Portugal und mehreren italienischen Staaten wurden die Jesuiten, ohne daß ihnen ein Verbrechen nachgewiesen worden wäre, mit raffinierter Grausamkeit behandelt. In England, Preußen und Rußland haben sie Zuflucht- stätten gefunden; Friedrich der Große hat seine französischen Freunde, die dadurch verstimmt wurden, mit Spott über ihren unphilosophischen Haß und ihre Leichtgläubigkeit abgefertigt. Trotz diesem fanatischen Haß ihrer Gegner sind sie in Frankreich nicht grausam, sondern bloß einigermaßen rücksichtslos behandelt worden. Die konfiszierten Güter der Jesuiten waren 53 Millionen wert und brachten 1200000 Livres Reinertrag; das habe bei 4000 Ordens- Mitgliedern auf den Kopf 300 Livres gemacht, wahrlich nicht viel in einer Zeit, wo die Pfarrer bei 700 Livres Einkommen bitter klagten. (Von den Pfarrern hatte freilich jeder seinen Einzelhaushalt, und es wurde ihnen nicht bloß Wohltätigkeit, sondern auch eine ziemlich kostspielige Gastfreundschaft zu¬ gemutet.) Den Professen nun bewilligten die Parlamente Pensionen in ver- schiedner Höhe, das Pariser 20 Sous für den Tag, das von Grenoble 30, das von Toulouse bloß 12 Sous. Hier jedoch brachte ihnen ein eigentümlicher Anlaß bald eine Aufbesserung. Die dortigen Jesuiten pflegten, so oft ein neuer Transport von Galeerensträflingen ankam, diesen Unglücklichen ein Mahl zu geben und dabei ihre Schüler zur Übung in der Demut und Barm¬ herzigkeit aufwarten zu lassen. Nach Schließung des Kollegs wollte das Parlament diesen christlichen Brauch nicht eingehn lassen und bewilligte die Kosten dafür aus den Zinsen der konfiszierten Jesuitengüter. Da ergab es sich denn, daß diese Speisung 17 Sous für den Mann kostete, und das Parlament hielt es für unanständig, den Tagesbedarf eines ExPaters niedriger als eine Sträflingsmahlzeit zu bemessen, erhöhte deshalb die Pension auf 20 Sous. Den Geist der Revolution, meint Desdevises, könne man den Geist Voltaires nennen, multipliziert mit dem Geiste Ludwigs des Vierzehnten. Der Absolutismus sei die hohe Schule gewesen, aus der die Jakobiner hervor¬ gingen, die ihre subjektive Einsicht und ihr Belieben an die Stelle des Rechts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/574>, abgerufen am 22.07.2024.