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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Lin englisches Urteil über die Uaisermanöver von ^9^?

sah, hatten, weil sie verständigerweise die elenden Dorfwirtshäuser verschmähten,
einen mächtigen Vorrat von Würsten und kaltem Fleisch bei sich (oder ein "bei¬
gelegtes Brötchen") nebst einem Fläschchen mit Wein oder Bier, außerdem eine
Decke und einen Schal, meist auch eine Kamera, einen Feldstecher und einige
Karten und -- nicht zu vergessen! -- ein paar Bücher. Während sich die
Frauen mit einer Handtasche oder mit einem Kofferchen begnügten, hatten sich
die Männer einen mächtigen Sack aus Segeltuch umgehängt, der zwischen ihren
Schultern baumelte. Derart belastet, trampelt der deutsche Hausvater den ganzen
Tag über die Felder herum, ganz vergnügt, trotz seines Alters und seiner Be¬
leibtheit. "Sehen Sie sich einmal dieses Subjekt an!" rief mein afrikanischer
Leutnant spöttisch. Das "Subjekt" war etwa 46 Jahre alt und hatte ein
volles, stark gerötetes Gesicht. Verglichen mit meinem Freunde, der groß und
mager und in den leichtesten Sommeranzug gekleidet war, nahm er sich nicht
gerade dekorativ in der Landschaft aus. Als aber die stattlichen Mecklenburger
Grenadiere rüstigen Schrittes einen steilen Hügel hinaufmarschierten und wir
mit ihnen, blieb das "Subjekt" trotz seiner schweren BePackung nicht weit hinter
dem flinken Afrikaner zurück, und oben auf dem Hügel, wo die Kolonne Halt
machte, stand er kerzengerade da und war durchaus nicht erschöpft. Über diese
Elastizität und Ausdauer des deutschen Bürgersmannes, selbst in höherm Alter,
müssen wir Engländer sicherlich staunen. Doch ist die Sache leicht zu erklären.
Die Stärke und die Geschmeidigkeit seiner Muskulatur, in der Jugend durch
die Turnerei gewonnen und später beim Regiment immer mehr gefestigt, hält
viele Jahre aus, trotz Biergenuß und allzuviel Rauchers. Und was die jungen
Herren des Handelsstandes betrifft, die viel und gut essen und wenig Geschmack
an sportlicher Gymnastik finden, sie werden durch die zwei Jahre Militärdienst
gerade noch zur rechten Zeit aus dem Schlamm sinnlichen Wohllebens gerettet.

Außer meinem afrikanischen Freunde bemerkte ich unter den Zuschauern
keinen einzigen Engländer. Ich bedaure das sehr. Da halten sich Tausende
meiner Landsleute während der Ferien weit zerstreut in ganz Deutschland auf
und bemühen sich, das deutsche Wesen kennen und verstehen zu lernen, aber
leider nur mit Hilfe der Hoteliers und der Kellner. Das Charakteristisch-
Nationale bleibt ihnen dabei fremd; denn das Charakteristischste der deutschen
Nation ist ihre Armee. Unzweifelhaft hat diese, nur vom militärischen Stand-
Punkt und als Kriegswerkzeug betrachtet, einige Mängel und überragt nicht in
jeder Beziehung die Armeen andrer Länder. So glaube ich, daß sie aus keinem
bessern Material besteht als etwa eines unsrer bestrenommierten Regimenter.
Auch scheinen mir die Offiziere bei den Friedensübungen in einen Zustand der
Aufgeregtheit zu geraten, der leicht zur Gewohnheit werden und dann im Ernst¬
falle schädlich auf die Mannschaft wirken kann. Oftmals sah ich die Offiziere
in Karriere hin und her jagen und hörte sie donnern und schreien. Am meisten
krankt die deutsche Armee (wie die meisten Armeen zur Friedenszeit nach einem
siegreichen Kriege) an der Neigung zur Pedanterie, am hartnäckigen Festhalten


Lin englisches Urteil über die Uaisermanöver von ^9^?

sah, hatten, weil sie verständigerweise die elenden Dorfwirtshäuser verschmähten,
einen mächtigen Vorrat von Würsten und kaltem Fleisch bei sich (oder ein »bei¬
gelegtes Brötchen«) nebst einem Fläschchen mit Wein oder Bier, außerdem eine
Decke und einen Schal, meist auch eine Kamera, einen Feldstecher und einige
Karten und — nicht zu vergessen! — ein paar Bücher. Während sich die
Frauen mit einer Handtasche oder mit einem Kofferchen begnügten, hatten sich
die Männer einen mächtigen Sack aus Segeltuch umgehängt, der zwischen ihren
Schultern baumelte. Derart belastet, trampelt der deutsche Hausvater den ganzen
Tag über die Felder herum, ganz vergnügt, trotz seines Alters und seiner Be¬
leibtheit. »Sehen Sie sich einmal dieses Subjekt an!« rief mein afrikanischer
Leutnant spöttisch. Das »Subjekt« war etwa 46 Jahre alt und hatte ein
volles, stark gerötetes Gesicht. Verglichen mit meinem Freunde, der groß und
mager und in den leichtesten Sommeranzug gekleidet war, nahm er sich nicht
gerade dekorativ in der Landschaft aus. Als aber die stattlichen Mecklenburger
Grenadiere rüstigen Schrittes einen steilen Hügel hinaufmarschierten und wir
mit ihnen, blieb das »Subjekt« trotz seiner schweren BePackung nicht weit hinter
dem flinken Afrikaner zurück, und oben auf dem Hügel, wo die Kolonne Halt
machte, stand er kerzengerade da und war durchaus nicht erschöpft. Über diese
Elastizität und Ausdauer des deutschen Bürgersmannes, selbst in höherm Alter,
müssen wir Engländer sicherlich staunen. Doch ist die Sache leicht zu erklären.
Die Stärke und die Geschmeidigkeit seiner Muskulatur, in der Jugend durch
die Turnerei gewonnen und später beim Regiment immer mehr gefestigt, hält
viele Jahre aus, trotz Biergenuß und allzuviel Rauchers. Und was die jungen
Herren des Handelsstandes betrifft, die viel und gut essen und wenig Geschmack
an sportlicher Gymnastik finden, sie werden durch die zwei Jahre Militärdienst
gerade noch zur rechten Zeit aus dem Schlamm sinnlichen Wohllebens gerettet.

Außer meinem afrikanischen Freunde bemerkte ich unter den Zuschauern
keinen einzigen Engländer. Ich bedaure das sehr. Da halten sich Tausende
meiner Landsleute während der Ferien weit zerstreut in ganz Deutschland auf
und bemühen sich, das deutsche Wesen kennen und verstehen zu lernen, aber
leider nur mit Hilfe der Hoteliers und der Kellner. Das Charakteristisch-
Nationale bleibt ihnen dabei fremd; denn das Charakteristischste der deutschen
Nation ist ihre Armee. Unzweifelhaft hat diese, nur vom militärischen Stand-
Punkt und als Kriegswerkzeug betrachtet, einige Mängel und überragt nicht in
jeder Beziehung die Armeen andrer Länder. So glaube ich, daß sie aus keinem
bessern Material besteht als etwa eines unsrer bestrenommierten Regimenter.
Auch scheinen mir die Offiziere bei den Friedensübungen in einen Zustand der
Aufgeregtheit zu geraten, der leicht zur Gewohnheit werden und dann im Ernst¬
falle schädlich auf die Mannschaft wirken kann. Oftmals sah ich die Offiziere
in Karriere hin und her jagen und hörte sie donnern und schreien. Am meisten
krankt die deutsche Armee (wie die meisten Armeen zur Friedenszeit nach einem
siegreichen Kriege) an der Neigung zur Pedanterie, am hartnäckigen Festhalten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/561>, abgerufen am 22.07.2024.