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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Rußland im fernen Osten nach dem Kriege

er Glaube an die Unbesiegbarkeit Rußlands im fernen Osten, der
vor dem Kriege in Europa vorherrschend war, ist allmählich unter
dem Eindruck der japanischen Erfolge in das Gegenteil umgeschlagen.
Der sehr optimistischen Auffassung der Lage vor dem Kriege folgte
eine zu pessimistische Beurteilung am Schluß, in diese stimmten
Staatsmänner. Soldaten und die öffentliche Meinung gleichmäßig ein.

Als die Erneuerung des englisch-japanischen Abkommens dem Kriege ein
Ende machte, war eine wirkliche Entscheidung nicht gefallen. Für den. der die
Dinge ohne Voreingenommenheit betrachtete, konnte es nicht zweifelhaft sein,
daß das Übergewicht nicht mehr auf japanischer Seite lag, sondern mehr und
mehr auf die Russen überging. Rußland war beim Friedensschluß erst kriegs¬
bereit, es hatte 900000 Mann und 1600 Kanonen im Felde, mit dieser Zahl
übertraf es die der Japaner. Die Masse der russischen Truppen stand weit
südlich vom Sungariflusse, wohl verschanzt und vorbereitet, einem weitern Vorgehn
der Japaner Widerstand zu leisten. Japan dagegen hatte auf seine letzten Reserven
an Menschen und Geld zurückgegriffen, das bisher erreichte war mit solchen
Opfern an Gut und Blut erkauft worden, daß die japanischen Staatsmänner
zu der Überzeugung kamen, daß es ratsamer sei, Frieden zu schließen, als zur¬
zeit weitere kriegerische Entscheidungen zu suchen.

Auch Nußland zog mit Rücksicht auf seine innern Schwierigkeiten, nicht
aber wegen der Hoffnungslosigkeit seiner militärischen Lage, den Frieden vor,
sodaß es den großen Armeen nicht vergönnt war, die Niederlagen auszuwetzen.

Was aber die russische Armee selbst betrifft, so bestehn bei sachverständigen
Beurteilern keine Zweifel darüber, daß sie durch den Krieg bedeutend an Wert
und Erfahrung gewonnen hat und am Schluß des Krieges, weit davon entfernt,
irgendwie demoralisiert zu sein, im Gegenteil ein recht gutes Kampfwerkzeug
darstellte. Die sibirische Bahn hatte dabei trotz der gewaltigen Schwierigkeiten,
die zu überwinden waren, geradezu erstaunliche Leistungen vollbracht und war
am Ende des Feldzugs leistungsfähiger als je zuvor.


Grenzboten 1 1908 ^


Rußland im fernen Osten nach dem Kriege

er Glaube an die Unbesiegbarkeit Rußlands im fernen Osten, der
vor dem Kriege in Europa vorherrschend war, ist allmählich unter
dem Eindruck der japanischen Erfolge in das Gegenteil umgeschlagen.
Der sehr optimistischen Auffassung der Lage vor dem Kriege folgte
eine zu pessimistische Beurteilung am Schluß, in diese stimmten
Staatsmänner. Soldaten und die öffentliche Meinung gleichmäßig ein.

Als die Erneuerung des englisch-japanischen Abkommens dem Kriege ein
Ende machte, war eine wirkliche Entscheidung nicht gefallen. Für den. der die
Dinge ohne Voreingenommenheit betrachtete, konnte es nicht zweifelhaft sein,
daß das Übergewicht nicht mehr auf japanischer Seite lag, sondern mehr und
mehr auf die Russen überging. Rußland war beim Friedensschluß erst kriegs¬
bereit, es hatte 900000 Mann und 1600 Kanonen im Felde, mit dieser Zahl
übertraf es die der Japaner. Die Masse der russischen Truppen stand weit
südlich vom Sungariflusse, wohl verschanzt und vorbereitet, einem weitern Vorgehn
der Japaner Widerstand zu leisten. Japan dagegen hatte auf seine letzten Reserven
an Menschen und Geld zurückgegriffen, das bisher erreichte war mit solchen
Opfern an Gut und Blut erkauft worden, daß die japanischen Staatsmänner
zu der Überzeugung kamen, daß es ratsamer sei, Frieden zu schließen, als zur¬
zeit weitere kriegerische Entscheidungen zu suchen.

Auch Nußland zog mit Rücksicht auf seine innern Schwierigkeiten, nicht
aber wegen der Hoffnungslosigkeit seiner militärischen Lage, den Frieden vor,
sodaß es den großen Armeen nicht vergönnt war, die Niederlagen auszuwetzen.

Was aber die russische Armee selbst betrifft, so bestehn bei sachverständigen
Beurteilern keine Zweifel darüber, daß sie durch den Krieg bedeutend an Wert
und Erfahrung gewonnen hat und am Schluß des Krieges, weit davon entfernt,
irgendwie demoralisiert zu sein, im Gegenteil ein recht gutes Kampfwerkzeug
darstellte. Die sibirische Bahn hatte dabei trotz der gewaltigen Schwierigkeiten,
die zu überwinden waren, geradezu erstaunliche Leistungen vollbracht und war
am Ende des Feldzugs leistungsfähiger als je zuvor.


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[0557] [Abbildung] Rußland im fernen Osten nach dem Kriege er Glaube an die Unbesiegbarkeit Rußlands im fernen Osten, der vor dem Kriege in Europa vorherrschend war, ist allmählich unter dem Eindruck der japanischen Erfolge in das Gegenteil umgeschlagen. Der sehr optimistischen Auffassung der Lage vor dem Kriege folgte eine zu pessimistische Beurteilung am Schluß, in diese stimmten Staatsmänner. Soldaten und die öffentliche Meinung gleichmäßig ein. Als die Erneuerung des englisch-japanischen Abkommens dem Kriege ein Ende machte, war eine wirkliche Entscheidung nicht gefallen. Für den. der die Dinge ohne Voreingenommenheit betrachtete, konnte es nicht zweifelhaft sein, daß das Übergewicht nicht mehr auf japanischer Seite lag, sondern mehr und mehr auf die Russen überging. Rußland war beim Friedensschluß erst kriegs¬ bereit, es hatte 900000 Mann und 1600 Kanonen im Felde, mit dieser Zahl übertraf es die der Japaner. Die Masse der russischen Truppen stand weit südlich vom Sungariflusse, wohl verschanzt und vorbereitet, einem weitern Vorgehn der Japaner Widerstand zu leisten. Japan dagegen hatte auf seine letzten Reserven an Menschen und Geld zurückgegriffen, das bisher erreichte war mit solchen Opfern an Gut und Blut erkauft worden, daß die japanischen Staatsmänner zu der Überzeugung kamen, daß es ratsamer sei, Frieden zu schließen, als zur¬ zeit weitere kriegerische Entscheidungen zu suchen. Auch Nußland zog mit Rücksicht auf seine innern Schwierigkeiten, nicht aber wegen der Hoffnungslosigkeit seiner militärischen Lage, den Frieden vor, sodaß es den großen Armeen nicht vergönnt war, die Niederlagen auszuwetzen. Was aber die russische Armee selbst betrifft, so bestehn bei sachverständigen Beurteilern keine Zweifel darüber, daß sie durch den Krieg bedeutend an Wert und Erfahrung gewonnen hat und am Schluß des Krieges, weit davon entfernt, irgendwie demoralisiert zu sein, im Gegenteil ein recht gutes Kampfwerkzeug darstellte. Die sibirische Bahn hatte dabei trotz der gewaltigen Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, geradezu erstaunliche Leistungen vollbracht und war am Ende des Feldzugs leistungsfähiger als je zuvor. Grenzboten 1 1908 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/557>, abgerufen am 22.07.2024.