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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Im danebenliegenden Zimmer saß Kalt und arbeitete an dem Entwurf zu einem
Arbeitskontrakt, den er Bögedal versprochen hatte, und der ein einziges Grundstück
des großen Markdannerschen Karrees betraf? es war von Herrn o.lui. jnr. Kattrup
für ein katholisches Konsortium erworben worden.

Der Kammerherr und sein Sekretär genossen am Abend noch eine k eine Er¬
frischung aus Rinds Terrasse im Tivoli. Der Kammerherr war bei guter Laune.

Hin hin. sagte er zu seinem Faktotum. Johnnsen, glauben Sie an platonische Ehen

Herr Kammerherr, erwiderte der Sekretär. waS das betrifft, so kann ich nur
mit einem Worte des Papstes Sixtus des Fünften über eine schwärmerische Sekte
wiederholen: Mu si olnava, in Wssta i'öliAwus, noir ckiirsra; dieses hat Seine Hoch-
wohlgeboren der Baron Holberg sehr herrlich folgendermaßen übersetzt: In d,e,em
Sekt ist alle Lust des Fleisches enthalten, und daher kann er nicht von langer
Dauer sein! . . <

-
Der Kammerherr lachte. Aber weder er noch sein Sekretär sprachen irgendwo
von der Hochzeit Kalks, und so blieb diese Begebenheit allen verborgen: den Glück¬
lichen auf Trudstrnp, Ihrer Gnaden. Seiner Exzellenz und dem ganzen Steen-
feldschen Hause.

So hatte es Kalt gewünscht, und so wurde es.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Aeichsspiegel.

(Der nahe Orient und die europäische Politik. Die innere Lage. Sozialpolitik
im Reichstage. Der Brief des Kaisers an Lord Tweedmouth.)

Schnell wird jetzt das Rad der Weltgeschichte herumgeworfen. Die orien¬
talische Frage, die solange Zeit hindurch die große Politik beherrscht hatte schien
eines Tages gänzlich in die Rumpelkammer verwiesen zu sein, als Rußland, w,e
man annehmen mußte, seine ganze Kraft auf die Befestigung seiner Stellung im
fernen Osten verwandte. Die Völker im Balkan kümmerten sich freilich wenig
darum. Hier lebte die alte Feindschaft der Nationalitäten ungestört fort, und die
Mißwirtschaft des türkischen Vcrwaltnngssystems gab den willkommnen Vorwand,
unter dem Scheine gerechter Empörung gegen harten Druck alle zügellosen Leiden¬
schaften des Nationalhasses und der Raubgier walten zu lassen. Und als die
Lage nun glücklich wieder so weit gediehen war, daß das Einschreiten des ..euro¬
päischen Konzerts" bevorzustehen schien. erfolgte im Oktober 1903 jene bekannte
Verständigung zwischen Österreich-Ungarn und Rußland, die als das Murzteger
Programm bekannt geworden ist. Wenn die beiden Ostmttchte, die so oft als gnvalen
>n den Balkanfraqen aufgetreten waren und ihre Bestrebungen gegenseitig d.nxh-
kreuzt hatten, jetzt Hand in Hand marschierten und die Frage der mazedoni,chen
Reform gemeinsam auf eiuer vereinbarten Grundlage gegenüber der tur tscheu Re¬
gierung zu vertreten entschlossen waren, dann schien in der Tat die Losung nahe.
Da Deutschland den Ostmächten eine feste Rückendeckung gewährte und zugleich eine"
Einfluß auf die Pforte hatte, der im Sinne des Mürzsteger Programms nur günstig
wirken konnte, da ferner Frankreich ans Rußland, Italien ans Österreich-Ungarn


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Im danebenliegenden Zimmer saß Kalt und arbeitete an dem Entwurf zu einem
Arbeitskontrakt, den er Bögedal versprochen hatte, und der ein einziges Grundstück
des großen Markdannerschen Karrees betraf? es war von Herrn o.lui. jnr. Kattrup
für ein katholisches Konsortium erworben worden.

Der Kammerherr und sein Sekretär genossen am Abend noch eine k eine Er¬
frischung aus Rinds Terrasse im Tivoli. Der Kammerherr war bei guter Laune.

Hin hin. sagte er zu seinem Faktotum. Johnnsen, glauben Sie an platonische Ehen

Herr Kammerherr, erwiderte der Sekretär. waS das betrifft, so kann ich nur
mit einem Worte des Papstes Sixtus des Fünften über eine schwärmerische Sekte
wiederholen: Mu si olnava, in Wssta i'öliAwus, noir ckiirsra; dieses hat Seine Hoch-
wohlgeboren der Baron Holberg sehr herrlich folgendermaßen übersetzt: In d,e,em
Sekt ist alle Lust des Fleisches enthalten, und daher kann er nicht von langer
Dauer sein! . . <

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Der Kammerherr lachte. Aber weder er noch sein Sekretär sprachen irgendwo
von der Hochzeit Kalks, und so blieb diese Begebenheit allen verborgen: den Glück¬
lichen auf Trudstrnp, Ihrer Gnaden. Seiner Exzellenz und dem ganzen Steen-
feldschen Hause.

So hatte es Kalt gewünscht, und so wurde es.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Aeichsspiegel.

(Der nahe Orient und die europäische Politik. Die innere Lage. Sozialpolitik
im Reichstage. Der Brief des Kaisers an Lord Tweedmouth.)

Schnell wird jetzt das Rad der Weltgeschichte herumgeworfen. Die orien¬
talische Frage, die solange Zeit hindurch die große Politik beherrscht hatte schien
eines Tages gänzlich in die Rumpelkammer verwiesen zu sein, als Rußland, w,e
man annehmen mußte, seine ganze Kraft auf die Befestigung seiner Stellung im
fernen Osten verwandte. Die Völker im Balkan kümmerten sich freilich wenig
darum. Hier lebte die alte Feindschaft der Nationalitäten ungestört fort, und die
Mißwirtschaft des türkischen Vcrwaltnngssystems gab den willkommnen Vorwand,
unter dem Scheine gerechter Empörung gegen harten Druck alle zügellosen Leiden¬
schaften des Nationalhasses und der Raubgier walten zu lassen. Und als die
Lage nun glücklich wieder so weit gediehen war, daß das Einschreiten des ..euro¬
päischen Konzerts" bevorzustehen schien. erfolgte im Oktober 1903 jene bekannte
Verständigung zwischen Österreich-Ungarn und Rußland, die als das Murzteger
Programm bekannt geworden ist. Wenn die beiden Ostmttchte, die so oft als gnvalen
>n den Balkanfraqen aufgetreten waren und ihre Bestrebungen gegenseitig d.nxh-
kreuzt hatten, jetzt Hand in Hand marschierten und die Frage der mazedoni,chen
Reform gemeinsam auf eiuer vereinbarten Grundlage gegenüber der tur tscheu Re¬
gierung zu vertreten entschlossen waren, dann schien in der Tat die Losung nahe.
Da Deutschland den Ostmächten eine feste Rückendeckung gewährte und zugleich eine»
Einfluß auf die Pforte hatte, der im Sinne des Mürzsteger Programms nur günstig
wirken konnte, da ferner Frankreich ans Rußland, Italien ans Österreich-Ungarn


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[0547] Maßgebliches und Unmaßgebliches Im danebenliegenden Zimmer saß Kalt und arbeitete an dem Entwurf zu einem Arbeitskontrakt, den er Bögedal versprochen hatte, und der ein einziges Grundstück des großen Markdannerschen Karrees betraf? es war von Herrn o.lui. jnr. Kattrup für ein katholisches Konsortium erworben worden. Der Kammerherr und sein Sekretär genossen am Abend noch eine k eine Er¬ frischung aus Rinds Terrasse im Tivoli. Der Kammerherr war bei guter Laune. Hin hin. sagte er zu seinem Faktotum. Johnnsen, glauben Sie an platonische Ehen Herr Kammerherr, erwiderte der Sekretär. waS das betrifft, so kann ich nur mit einem Worte des Papstes Sixtus des Fünften über eine schwärmerische Sekte wiederholen: Mu si olnava, in Wssta i'öliAwus, noir ckiirsra; dieses hat Seine Hoch- wohlgeboren der Baron Holberg sehr herrlich folgendermaßen übersetzt: In d,e,em Sekt ist alle Lust des Fleisches enthalten, und daher kann er nicht von langer Dauer sein! . . < - Der Kammerherr lachte. Aber weder er noch sein Sekretär sprachen irgendwo von der Hochzeit Kalks, und so blieb diese Begebenheit allen verborgen: den Glück¬ lichen auf Trudstrnp, Ihrer Gnaden. Seiner Exzellenz und dem ganzen Steen- feldschen Hause. So hatte es Kalt gewünscht, und so wurde es. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Aeichsspiegel. (Der nahe Orient und die europäische Politik. Die innere Lage. Sozialpolitik im Reichstage. Der Brief des Kaisers an Lord Tweedmouth.) Schnell wird jetzt das Rad der Weltgeschichte herumgeworfen. Die orien¬ talische Frage, die solange Zeit hindurch die große Politik beherrscht hatte schien eines Tages gänzlich in die Rumpelkammer verwiesen zu sein, als Rußland, w,e man annehmen mußte, seine ganze Kraft auf die Befestigung seiner Stellung im fernen Osten verwandte. Die Völker im Balkan kümmerten sich freilich wenig darum. Hier lebte die alte Feindschaft der Nationalitäten ungestört fort, und die Mißwirtschaft des türkischen Vcrwaltnngssystems gab den willkommnen Vorwand, unter dem Scheine gerechter Empörung gegen harten Druck alle zügellosen Leiden¬ schaften des Nationalhasses und der Raubgier walten zu lassen. Und als die Lage nun glücklich wieder so weit gediehen war, daß das Einschreiten des ..euro¬ päischen Konzerts" bevorzustehen schien. erfolgte im Oktober 1903 jene bekannte Verständigung zwischen Österreich-Ungarn und Rußland, die als das Murzteger Programm bekannt geworden ist. Wenn die beiden Ostmttchte, die so oft als gnvalen >n den Balkanfraqen aufgetreten waren und ihre Bestrebungen gegenseitig d.nxh- kreuzt hatten, jetzt Hand in Hand marschierten und die Frage der mazedoni,chen Reform gemeinsam auf eiuer vereinbarten Grundlage gegenüber der tur tscheu Re¬ gierung zu vertreten entschlossen waren, dann schien in der Tat die Losung nahe. Da Deutschland den Ostmächten eine feste Rückendeckung gewährte und zugleich eine» Einfluß auf die Pforte hatte, der im Sinne des Mürzsteger Programms nur günstig wirken konnte, da ferner Frankreich ans Rußland, Italien ans Österreich-Ungarn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/547>, abgerufen am 22.07.2024.