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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Ale Kolonien Blumenau und ^ansa

in Brasilien selbst das Nativistenelement zu Macht und Einfluß gelaugt und
brachte Einwcmdrung und Kolonisation zum Stillstand. Das Deutschtum wurde
angefeindet und verdächtigt, und das blödsinnige Geschrei über die deutsche
Gefahr machte Brasilien als Auswandruugsziel vollends unbeliebt. So erhielt
denn die Hansa nur spärlichen Zuzug, und was hinzukam, gehörte einer
modernen und anspruchsvollern Generation an, als es die alten Kolonisten ge¬
wesen waren, die einst Blumenau gegründet und sich mit Wegarbeit. Axt und Hacke
kümmerlich über die Schwierigkeiten des Anfangs hinweggearbeitet hatten.

Mancher Ankömmling zog aus der Hansa wieder weg. weil sie seinen
Ansprüchen nicht genügte. Wer aber blieb, sich an die eigenartigen reizvollen
Verhältnisse gewöhnte und den schweren Anfang hinter sich brachte, wurde
bald von dem Zauber brasilianischen Kolonistenlebens ebenso hingerissen und
gefangen genommen, wie es mit frühern Generationen geschehen war. Ja
einige nach andern Neuländern ausgewanderte kehrten bald wieder zurück,
denn der Urwald und das freie Bauernleben in ihm hatten es ihnen, ohne
daß sie es selbst gewußt hatten, angetan und sie mit Macht zur brasilianischen
Scholle zurückgezogen.

Alles das lieferte den Beweis, daß es sich hier um eine ausgedehnte
Region handelte, die gerade für Deutsche wie geschaffen schien. Deshalb ließ
die hanseatische Kolonisationsgesellschaft die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht
fahren. Es gelang ihr, deutsches Kapital für einen Bahnbau von Blumenau
nach Hammonia zu gewinnen. Wurde den Ansiedlern durch Schaffung eines
bequemen Verkehrswegs die Absatzmöglichkeit für ihre Produkte verschafft, so
mußte die Produktion der fleißigen, strebsamen Bevölkerung mächtig anschwellen
und die bisher durch unüberwindliche Schranken eingeengte und behinderte
Schaffenslust einen Ansporn erhalten und zu Ergebnissen führen, deren Ein¬
fluß auf die Zunahme des Wohlstandes und auf die Zufriedenheit auch an¬
spruchsvollerer Kolonistenelemente nicht ausbleiben konnte.

Heute ist diese Bahn im Bau. und wenn sie. wie Oberleutnant Weitstem
in seinem oben erwähnten Werke dartut, einerseits zu einem Meereshafen,
andrerseits aber durch mächtige westliche Urwaldgebiete hindurch bis zum reichen
viehzuchttreibenden Kamplande der Hochebene Fortsetzungen erfährt, so wird
sie sich voraussichtlich nicht nur gut rentieren, sondern auch die Kolonie
Blumenau zum Mittelpunkt eines Durchgangshandels machen, dessen be¬
lebende Wirkung auf die Entwicklung der Verhältnisse keines weitern Be¬
weises bedarf. ' -

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Zum Schluß dürfte es angebracht sein, im Interesse des braftkamschen
Deutschtums dem Wettstcinschen Buche und andern Schriften über Brasilien,
besonders solchen von Reiseschriftstellern, einige kritische Bemerkungen zu
widmen. Oberleutnant Wettstein bleibt in seinem 339 Seiten starken Werke
im allgemeinen, leider nicht durchweg, sachkundig und objektiv. Er liefert ein
ebenso anziehendes wie zutreffendes Bild der Allgemeinverhültmsse. em so
wertvolles und bis zu gewissem Grade zuverlässiges Buch, wie es noch über


Ale Kolonien Blumenau und ^ansa

in Brasilien selbst das Nativistenelement zu Macht und Einfluß gelaugt und
brachte Einwcmdrung und Kolonisation zum Stillstand. Das Deutschtum wurde
angefeindet und verdächtigt, und das blödsinnige Geschrei über die deutsche
Gefahr machte Brasilien als Auswandruugsziel vollends unbeliebt. So erhielt
denn die Hansa nur spärlichen Zuzug, und was hinzukam, gehörte einer
modernen und anspruchsvollern Generation an, als es die alten Kolonisten ge¬
wesen waren, die einst Blumenau gegründet und sich mit Wegarbeit. Axt und Hacke
kümmerlich über die Schwierigkeiten des Anfangs hinweggearbeitet hatten.

Mancher Ankömmling zog aus der Hansa wieder weg. weil sie seinen
Ansprüchen nicht genügte. Wer aber blieb, sich an die eigenartigen reizvollen
Verhältnisse gewöhnte und den schweren Anfang hinter sich brachte, wurde
bald von dem Zauber brasilianischen Kolonistenlebens ebenso hingerissen und
gefangen genommen, wie es mit frühern Generationen geschehen war. Ja
einige nach andern Neuländern ausgewanderte kehrten bald wieder zurück,
denn der Urwald und das freie Bauernleben in ihm hatten es ihnen, ohne
daß sie es selbst gewußt hatten, angetan und sie mit Macht zur brasilianischen
Scholle zurückgezogen.

Alles das lieferte den Beweis, daß es sich hier um eine ausgedehnte
Region handelte, die gerade für Deutsche wie geschaffen schien. Deshalb ließ
die hanseatische Kolonisationsgesellschaft die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht
fahren. Es gelang ihr, deutsches Kapital für einen Bahnbau von Blumenau
nach Hammonia zu gewinnen. Wurde den Ansiedlern durch Schaffung eines
bequemen Verkehrswegs die Absatzmöglichkeit für ihre Produkte verschafft, so
mußte die Produktion der fleißigen, strebsamen Bevölkerung mächtig anschwellen
und die bisher durch unüberwindliche Schranken eingeengte und behinderte
Schaffenslust einen Ansporn erhalten und zu Ergebnissen führen, deren Ein¬
fluß auf die Zunahme des Wohlstandes und auf die Zufriedenheit auch an¬
spruchsvollerer Kolonistenelemente nicht ausbleiben konnte.

Heute ist diese Bahn im Bau. und wenn sie. wie Oberleutnant Weitstem
in seinem oben erwähnten Werke dartut, einerseits zu einem Meereshafen,
andrerseits aber durch mächtige westliche Urwaldgebiete hindurch bis zum reichen
viehzuchttreibenden Kamplande der Hochebene Fortsetzungen erfährt, so wird
sie sich voraussichtlich nicht nur gut rentieren, sondern auch die Kolonie
Blumenau zum Mittelpunkt eines Durchgangshandels machen, dessen be¬
lebende Wirkung auf die Entwicklung der Verhältnisse keines weitern Be¬
weises bedarf. ' -

55
Zum Schluß dürfte es angebracht sein, im Interesse des braftkamschen
Deutschtums dem Wettstcinschen Buche und andern Schriften über Brasilien,
besonders solchen von Reiseschriftstellern, einige kritische Bemerkungen zu
widmen. Oberleutnant Wettstein bleibt in seinem 339 Seiten starken Werke
im allgemeinen, leider nicht durchweg, sachkundig und objektiv. Er liefert ein
ebenso anziehendes wie zutreffendes Bild der Allgemeinverhültmsse. em so
wertvolles und bis zu gewissem Grade zuverlässiges Buch, wie es noch über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/515>, abgerufen am 22.07.2024.