Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Kolonien Blumenau und Hansa

und für Massenkonsumartikel nahezu unmöglich, weil die Transportspesen die
Produktenwertc verschlangen. Dieser Zustand verschlimmerte sich um so mehr,
je weiter sich die Siedlungen ins Innere ausdehnten und vom Stadtplätze
Blumenau entfernten. Das nahrhafte Erdreich gab die schönsten Ernten, aber
da sein Hauptbestandteil auf Lehm als Grund beruhte, so machte jeder der
häufigen Regengüsse die Wege unfahrbar, und Verkehrsstockungen waren
die Folge.

Die fleißigen Ansiedler suchten diesem Übelstande zu begegnen, indem sie
sich auf die Erzeugung von Produkten legten, die bei geringem Gewicht höhere
Marktpreise erreichten. Sie verfütterten den Mais, der dort mehr als hundert¬
fältige Frucht gibt, an Schweine zur Mast, bereiteten Schmalz und exportierte"
dieses. Sie legten sich auch auf Butterwirtschaft und schlugen sich solcherart
nicht nur schlecht und recht durchs Dasein, sondern vermochten auch manchen
freilich sauer genug verdienten Spargroschen beiseite zu legen. Den Preis
für ihre Grundstücke, die sie auf Kredit gekauft hatten, zahlten sie im Laufe
der Jahre ab, wobei ihnen der Verdienst bei Wegbauten besonders anfänglich
nicht unwesentlich zu Hilfe kam; und einmal schuldenfrei, erwarb gar mancher
mit der Zeit ein bescheidnes kleines Vermögen. Einige tausend Mark ist
heute ein solches Kolonistenanwesen schon an und für sich wert. Einige
weitere tausend Mark haben viele im Laufe der Jahre dazu erspart, und manche
brachten es sogar auf 10000 bis 20000 Mark und noch mehr. Kurz und
gut, trotz aller Ungunst der Verkehrsverhältnisse wuchs die Behäbigkeit. Die
Familien sind meist von einem Kinderreichtum, der an Tacitus Berichte über
das alte Germanien erinnert. Die Jungmannschaft war heiratslustig und zog
hinaus an die Grenzen der Wildnis, um einen eignen Hausstand auf eignem
Grund und Boden zu gründen, und so dehnte sich, auch wenn Nachschub aus
der Stammheimat zeitweise ausblieb, die Kolonie immer weiter aus in die
Tiefen des Urwalds hinein.

Die Bevölkerung, durch einige tausend Italiener und Brasilianer verstärkt,
wuchs auf mehr als 40000 Seelen an, Im Süden dehnte sich die Siedlung
bis zur deutschen Kolonie Brusque aus, und nach Nordosten zu näherte sie
sich der volkreichen deutschen Kolonie Dona Franziska. Immer schwieriger
gestaltetem sich in den abgelegnen Gebirgstälern die Verkehrsverhältnisse. Im
Westen erwarb die hanseatische Kolonisationsgesellschaft ausgedehnte Ländereien
und gründete die Kolonie Hansa mit dem Stadtplätze Hammonia. Hier be¬
gann 1900, im Anschluß an die Siedlung Blumenau, die Kolonisation.
Nach dem gesagten ist es erklärlich, daß die neue Gründung bisher nur ein
langsames Gedeihen aufweisen konnte. Schon ihre Abgelegenheit schreckte die
Einwandrung ab. Dazu war in Deutschland, trotz der inzwischen erfolgten
Aufhebung des v. d. Hcydtschen Reskripts für die drei brasilianischen Süd-
staaten, eine merkliche Abnahme der Auswandrung zu verzeichnen, da hier eine
wirtschaftliche Entwicklung und Erstarkung eingetreten war, durch die den vor-
handnen Arbeitskräften lohnende Tätigkeitsfelder erschlossen wurden. Auch war


Die Kolonien Blumenau und Hansa

und für Massenkonsumartikel nahezu unmöglich, weil die Transportspesen die
Produktenwertc verschlangen. Dieser Zustand verschlimmerte sich um so mehr,
je weiter sich die Siedlungen ins Innere ausdehnten und vom Stadtplätze
Blumenau entfernten. Das nahrhafte Erdreich gab die schönsten Ernten, aber
da sein Hauptbestandteil auf Lehm als Grund beruhte, so machte jeder der
häufigen Regengüsse die Wege unfahrbar, und Verkehrsstockungen waren
die Folge.

Die fleißigen Ansiedler suchten diesem Übelstande zu begegnen, indem sie
sich auf die Erzeugung von Produkten legten, die bei geringem Gewicht höhere
Marktpreise erreichten. Sie verfütterten den Mais, der dort mehr als hundert¬
fältige Frucht gibt, an Schweine zur Mast, bereiteten Schmalz und exportierte»
dieses. Sie legten sich auch auf Butterwirtschaft und schlugen sich solcherart
nicht nur schlecht und recht durchs Dasein, sondern vermochten auch manchen
freilich sauer genug verdienten Spargroschen beiseite zu legen. Den Preis
für ihre Grundstücke, die sie auf Kredit gekauft hatten, zahlten sie im Laufe
der Jahre ab, wobei ihnen der Verdienst bei Wegbauten besonders anfänglich
nicht unwesentlich zu Hilfe kam; und einmal schuldenfrei, erwarb gar mancher
mit der Zeit ein bescheidnes kleines Vermögen. Einige tausend Mark ist
heute ein solches Kolonistenanwesen schon an und für sich wert. Einige
weitere tausend Mark haben viele im Laufe der Jahre dazu erspart, und manche
brachten es sogar auf 10000 bis 20000 Mark und noch mehr. Kurz und
gut, trotz aller Ungunst der Verkehrsverhältnisse wuchs die Behäbigkeit. Die
Familien sind meist von einem Kinderreichtum, der an Tacitus Berichte über
das alte Germanien erinnert. Die Jungmannschaft war heiratslustig und zog
hinaus an die Grenzen der Wildnis, um einen eignen Hausstand auf eignem
Grund und Boden zu gründen, und so dehnte sich, auch wenn Nachschub aus
der Stammheimat zeitweise ausblieb, die Kolonie immer weiter aus in die
Tiefen des Urwalds hinein.

Die Bevölkerung, durch einige tausend Italiener und Brasilianer verstärkt,
wuchs auf mehr als 40000 Seelen an, Im Süden dehnte sich die Siedlung
bis zur deutschen Kolonie Brusque aus, und nach Nordosten zu näherte sie
sich der volkreichen deutschen Kolonie Dona Franziska. Immer schwieriger
gestaltetem sich in den abgelegnen Gebirgstälern die Verkehrsverhältnisse. Im
Westen erwarb die hanseatische Kolonisationsgesellschaft ausgedehnte Ländereien
und gründete die Kolonie Hansa mit dem Stadtplätze Hammonia. Hier be¬
gann 1900, im Anschluß an die Siedlung Blumenau, die Kolonisation.
Nach dem gesagten ist es erklärlich, daß die neue Gründung bisher nur ein
langsames Gedeihen aufweisen konnte. Schon ihre Abgelegenheit schreckte die
Einwandrung ab. Dazu war in Deutschland, trotz der inzwischen erfolgten
Aufhebung des v. d. Hcydtschen Reskripts für die drei brasilianischen Süd-
staaten, eine merkliche Abnahme der Auswandrung zu verzeichnen, da hier eine
wirtschaftliche Entwicklung und Erstarkung eingetreten war, durch die den vor-
handnen Arbeitskräften lohnende Tätigkeitsfelder erschlossen wurden. Auch war


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311595"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Kolonien Blumenau und Hansa</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2432" prev="#ID_2431"> und für Massenkonsumartikel nahezu unmöglich, weil die Transportspesen die<lb/>
Produktenwertc verschlangen. Dieser Zustand verschlimmerte sich um so mehr,<lb/>
je weiter sich die Siedlungen ins Innere ausdehnten und vom Stadtplätze<lb/>
Blumenau entfernten. Das nahrhafte Erdreich gab die schönsten Ernten, aber<lb/>
da sein Hauptbestandteil auf Lehm als Grund beruhte, so machte jeder der<lb/>
häufigen Regengüsse die Wege unfahrbar, und Verkehrsstockungen waren<lb/>
die Folge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2433"> Die fleißigen Ansiedler suchten diesem Übelstande zu begegnen, indem sie<lb/>
sich auf die Erzeugung von Produkten legten, die bei geringem Gewicht höhere<lb/>
Marktpreise erreichten. Sie verfütterten den Mais, der dort mehr als hundert¬<lb/>
fältige Frucht gibt, an Schweine zur Mast, bereiteten Schmalz und exportierte»<lb/>
dieses. Sie legten sich auch auf Butterwirtschaft und schlugen sich solcherart<lb/>
nicht nur schlecht und recht durchs Dasein, sondern vermochten auch manchen<lb/>
freilich sauer genug verdienten Spargroschen beiseite zu legen. Den Preis<lb/>
für ihre Grundstücke, die sie auf Kredit gekauft hatten, zahlten sie im Laufe<lb/>
der Jahre ab, wobei ihnen der Verdienst bei Wegbauten besonders anfänglich<lb/>
nicht unwesentlich zu Hilfe kam; und einmal schuldenfrei, erwarb gar mancher<lb/>
mit der Zeit ein bescheidnes kleines Vermögen. Einige tausend Mark ist<lb/>
heute ein solches Kolonistenanwesen schon an und für sich wert. Einige<lb/>
weitere tausend Mark haben viele im Laufe der Jahre dazu erspart, und manche<lb/>
brachten es sogar auf 10000 bis 20000 Mark und noch mehr. Kurz und<lb/>
gut, trotz aller Ungunst der Verkehrsverhältnisse wuchs die Behäbigkeit. Die<lb/>
Familien sind meist von einem Kinderreichtum, der an Tacitus Berichte über<lb/>
das alte Germanien erinnert. Die Jungmannschaft war heiratslustig und zog<lb/>
hinaus an die Grenzen der Wildnis, um einen eignen Hausstand auf eignem<lb/>
Grund und Boden zu gründen, und so dehnte sich, auch wenn Nachschub aus<lb/>
der Stammheimat zeitweise ausblieb, die Kolonie immer weiter aus in die<lb/>
Tiefen des Urwalds hinein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2434" next="#ID_2435"> Die Bevölkerung, durch einige tausend Italiener und Brasilianer verstärkt,<lb/>
wuchs auf mehr als 40000 Seelen an, Im Süden dehnte sich die Siedlung<lb/>
bis zur deutschen Kolonie Brusque aus, und nach Nordosten zu näherte sie<lb/>
sich der volkreichen deutschen Kolonie Dona Franziska. Immer schwieriger<lb/>
gestaltetem sich in den abgelegnen Gebirgstälern die Verkehrsverhältnisse. Im<lb/>
Westen erwarb die hanseatische Kolonisationsgesellschaft ausgedehnte Ländereien<lb/>
und gründete die Kolonie Hansa mit dem Stadtplätze Hammonia. Hier be¬<lb/>
gann 1900, im Anschluß an die Siedlung Blumenau, die Kolonisation.<lb/>
Nach dem gesagten ist es erklärlich, daß die neue Gründung bisher nur ein<lb/>
langsames Gedeihen aufweisen konnte. Schon ihre Abgelegenheit schreckte die<lb/>
Einwandrung ab. Dazu war in Deutschland, trotz der inzwischen erfolgten<lb/>
Aufhebung des v. d. Hcydtschen Reskripts für die drei brasilianischen Süd-<lb/>
staaten, eine merkliche Abnahme der Auswandrung zu verzeichnen, da hier eine<lb/>
wirtschaftliche Entwicklung und Erstarkung eingetreten war, durch die den vor-<lb/>
handnen Arbeitskräften lohnende Tätigkeitsfelder erschlossen wurden. Auch war</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0514] Die Kolonien Blumenau und Hansa und für Massenkonsumartikel nahezu unmöglich, weil die Transportspesen die Produktenwertc verschlangen. Dieser Zustand verschlimmerte sich um so mehr, je weiter sich die Siedlungen ins Innere ausdehnten und vom Stadtplätze Blumenau entfernten. Das nahrhafte Erdreich gab die schönsten Ernten, aber da sein Hauptbestandteil auf Lehm als Grund beruhte, so machte jeder der häufigen Regengüsse die Wege unfahrbar, und Verkehrsstockungen waren die Folge. Die fleißigen Ansiedler suchten diesem Übelstande zu begegnen, indem sie sich auf die Erzeugung von Produkten legten, die bei geringem Gewicht höhere Marktpreise erreichten. Sie verfütterten den Mais, der dort mehr als hundert¬ fältige Frucht gibt, an Schweine zur Mast, bereiteten Schmalz und exportierte» dieses. Sie legten sich auch auf Butterwirtschaft und schlugen sich solcherart nicht nur schlecht und recht durchs Dasein, sondern vermochten auch manchen freilich sauer genug verdienten Spargroschen beiseite zu legen. Den Preis für ihre Grundstücke, die sie auf Kredit gekauft hatten, zahlten sie im Laufe der Jahre ab, wobei ihnen der Verdienst bei Wegbauten besonders anfänglich nicht unwesentlich zu Hilfe kam; und einmal schuldenfrei, erwarb gar mancher mit der Zeit ein bescheidnes kleines Vermögen. Einige tausend Mark ist heute ein solches Kolonistenanwesen schon an und für sich wert. Einige weitere tausend Mark haben viele im Laufe der Jahre dazu erspart, und manche brachten es sogar auf 10000 bis 20000 Mark und noch mehr. Kurz und gut, trotz aller Ungunst der Verkehrsverhältnisse wuchs die Behäbigkeit. Die Familien sind meist von einem Kinderreichtum, der an Tacitus Berichte über das alte Germanien erinnert. Die Jungmannschaft war heiratslustig und zog hinaus an die Grenzen der Wildnis, um einen eignen Hausstand auf eignem Grund und Boden zu gründen, und so dehnte sich, auch wenn Nachschub aus der Stammheimat zeitweise ausblieb, die Kolonie immer weiter aus in die Tiefen des Urwalds hinein. Die Bevölkerung, durch einige tausend Italiener und Brasilianer verstärkt, wuchs auf mehr als 40000 Seelen an, Im Süden dehnte sich die Siedlung bis zur deutschen Kolonie Brusque aus, und nach Nordosten zu näherte sie sich der volkreichen deutschen Kolonie Dona Franziska. Immer schwieriger gestaltetem sich in den abgelegnen Gebirgstälern die Verkehrsverhältnisse. Im Westen erwarb die hanseatische Kolonisationsgesellschaft ausgedehnte Ländereien und gründete die Kolonie Hansa mit dem Stadtplätze Hammonia. Hier be¬ gann 1900, im Anschluß an die Siedlung Blumenau, die Kolonisation. Nach dem gesagten ist es erklärlich, daß die neue Gründung bisher nur ein langsames Gedeihen aufweisen konnte. Schon ihre Abgelegenheit schreckte die Einwandrung ab. Dazu war in Deutschland, trotz der inzwischen erfolgten Aufhebung des v. d. Hcydtschen Reskripts für die drei brasilianischen Süd- staaten, eine merkliche Abnahme der Auswandrung zu verzeichnen, da hier eine wirtschaftliche Entwicklung und Erstarkung eingetreten war, durch die den vor- handnen Arbeitskräften lohnende Tätigkeitsfelder erschlossen wurden. Auch war

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/514
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/514>, abgerufen am 24.08.2024.