Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Allerdings mutet es merkwürdig an, wenn man die starke Minderheit, die bei Etwas Gemeinsames bei dem Widerstande gegen den Enteignungsgedanken Aber diese Auffassung des Enteignungsprojekts ist nur möglich bei Festhaltung In dieser Beziehung sind die Ausführungen charakteristisch, die Generalfeld¬ Grenzboten I 1908 64
Maßgebliches und Unmaßgebliches Allerdings mutet es merkwürdig an, wenn man die starke Minderheit, die bei Etwas Gemeinsames bei dem Widerstande gegen den Enteignungsgedanken Aber diese Auffassung des Enteignungsprojekts ist nur möglich bei Festhaltung In dieser Beziehung sind die Ausführungen charakteristisch, die Generalfeld¬ Grenzboten I 1908 64
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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Allerdings mutet es merkwürdig an, wenn man die starke Minderheit, die bei
der Abstimmung gegen die Vorlage war, einer nähern Musterung unterzieht. Bei
dieser Gegnerschaft fanden sich offenbar sehr verschiedne Motive zusammen. Wenn
neben den polnischen Magnaten und den klerikalen Mitgliedern des Herrenhauses
auch Männer wie Generalfeldmarschall Graf Häseler und ein alter Mitarbeiter des
Fürsten Bismarck, Staatsminister Lucius von Balkhausen, endlich die Oberbürgermeister
der großen Städte des Ostens — Königsberg, Danzig, Posen, Breslau — gegen
die Vorlage stimmten, so darf man Wohl annehmen, daß das Wörtchen „nein" in
diesem Falle nicht in jedem Munde die gleiche Bedeutung hatte. Es wäre sehr
reizvoll, würde aber den Rahmen der Betrachtungen unsers Reichsspiegels bedenklich
überschreiten, wenn man die Motive dieser Abstimmung zergliedern wollte. Wir
müssen uns hier auf die Hervorhebung einiger der wichtigsten Gesichtspunkte be¬
schränken.
Etwas Gemeinsames bei dem Widerstande gegen den Enteignungsgedanken
kann man wohl darin erkennen, daß selbst realpolitisch und staatsmännisch angelegte
Naturen und Männer von großer politischer Erfahrung vollständig überwältigt
wurden von dem Gedanken, hier würden zwei Prinzipien durchbrochen, die als
Grundpfeiler eines geordneten Rechtsstaats gelten müssen. Diese beiden Prinzipien
sind die Gleichheit vor dem Gesetz und der Schutz des Eigentums. Wenn es
richtig wäre, daß die Enteignungsvorlage einen Präzedenzfall für die Verletzung
dieser beiden wichtigen Prinzipien bedeutete, dann wäre die Gegnerschaft gegen eine
solche Vorlage nicht unberechtigt; es würde damit eine Bresche eröffnet, durch die jeder
Feind der gegenwärtigen Staatsordnung im gegebnen Augenblick eindringen könnte.
Aber diese Auffassung des Enteignungsprojekts ist nur möglich bei Festhaltung
des mechanischen und formalistischen Charakters, den wir unsrer ganzen Gesetz¬
gebung aufgeprägt haben. Wir sind durch allmähliche Gewöhnung überzeugt, daß,
wenn ein Gesetz erst einmal auf dem Papier steht, die Exekutivbehörden und die
Richter sozusagen alles aus dem Gesetz herausholen, was durch spitzfindige Dialektik,
formalistische Deutuugskuust und gewagte Zurechtknetuug und Dehnung des Begriffs
nur irgend herausgeholt werden kann. Sobald daher in einem Gesetz überhaupt
der Begriff Enteignung vorkommt, denkt jeder sofort daran, daß damit der Schutz
des Eigentums prinzipiell aufgegeben wird, weil wir uns im Gesetz die Vrokla-
mierung dieses Schutzes nur in formalistischer Starrheit vorstellen können. Ähnlich
steht es mit demi Prinzip der Rechtsgleichheit, das doch nur so weit gewahrt werden
kann, als die notwendigen Voraussetzungen der Rechtsordnung selbst gewahrt
sind. Auch hier ist es nicht richtig, sogleich das Prinzip verletzt oder in Gefahr
zu glauben, wenn eine gesetzliche Bestimmung einmal nicht in das Schema einer
mechanisch aufgefaßten Rechtsgleichheit paßt.
In dieser Beziehung sind die Ausführungen charakteristisch, die Generalfeld¬
marschall Graf Httseler in einer Rede gegen die Vorlage vorbrachte. Der alte
Soldat hatte zutreffend das Bild eines Kampfes vor Augen, aber das Bild war
nicht vollständig durchdacht. Er meinte nämlich, während der Staat eine scharfe
Waffe erhalte, seien die Polen wehrlos, und das sei — so schien es seinem
ritterlichen Sinne — nicht in der Ordnung. Aber so ist die Sache nicht. Es ist dabei
vergessen worden, daß die Polen sogar eine sehr starke Waffe haben, nämlich die
Rechte, die ihnen als preußischen Staatsbürgern durch die Verfassung verbürgt sind.
Diese Rechte bedeuten in der Hand eines Bevölkerungsbestandteils, der die Voraus¬
setzung, unter der sie den Staatsbürgern gegeben sind, nicht erfüllen will, in
der Tat eine Waffe. Denn die Polen arbeiten gegen den Bestand und die Sicher¬
heit des preußischen Staates unter dem Schilde ihrer verfassungsmäßigen Rechte
Grenzboten I 1908 64
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