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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Gustav Lreytags Soll und Haben

spätere Bismarckbewundrer wie Treitschke, Simson, Sybel, anders empfanden,
das hat Hans Lindau hier sehr schön gesagt: "Uns wird es vergleichsweise
leicht, den stärkern Verstand Bismarcks an dem seiner Gegner, unter denen sich
doch wahrlich die klügsten Köpfe der Nation befanden, abzumessen. Es ist uns
deshalb nun schon ein heitrer Anblick, das Genie aus dem Ringkampfe mit der
irrenden Vorsicht siegreich hervorgehn zu sehen, und leicht unterschätzen wir die
Klugheit und Feinheit der überwundnen Geister. Damit tuten wir freilich auch
dem Ruhme Bismarcks keinen Dienst. Denn das ist gerade die leuchtende
künstlerische Herrlichkeit dieses gottbegnadeter Herakles, daß er mit einer bis
dahin in der Weltgeschichte, die sich ja immer mehr ins Geistige hinüberarbeitet,
vielleicht noch gar nicht dagewesnen rein geistigen Überlegenheit den Sieg über
die allergrößten Gegenmächte des Geistes errang. Dieser Mann mit einer er¬
staunlichen Kraft der Einsicht, der die Leidenschaft einer Feuerseele zum Voll¬
strecker diente, war für den nationalliberalen Parteimann lange ein Gegenstand
des Ärgernisses, des Mißtrauens, ja der Entrüstung. . . . Dabei ist uns, wie
gesagt, der Standpunkt wohlfeiler kritischer Treppenweisheit, nachdem der Er¬
folg so klar entschieden hat, keineswegs ein wünschenswerter Gesichtspunkt. Wo
Geister wie Freytag oder Virchow irrten, da ist der Irrtum offenbar einer sehr
tief liegenden geschichtlichen Notwendigkeit entsprossen. Es liegt indessen kein
Grund vor, diese Komödie der Irrungen, die wohl auch eine reinigende Kraft
ausüben mag, zu verheimlichen."

Ich bin in den Zitaten etwas ausführlich gewesen, weil ich auf diese
Weise von dem Stil des fleißigen Lindauschen Werks einen Begriff geben
wollte. Er ist nicht immer ganz gleichmäßig und arbeitet hier und da zu oft
mit liebenswürdigen Beiworten -- Eigentümlichkeiten, die auch andre Arbeiten
Hans Lindaus aufweisen, und die man künftig gern zugunsten des spröden
Stils seines Oheims Rudolf, des Meisters der Novelle, zurückgesetzt sähe. Die
starken Anregungen, die die Biographie bietet, werden dadurch freilich nicht
berührt. Und aller Anregungen kräftigste und zugleich wünschenswerteste ist
doch die, daß ein solches Werk den innern Zwang hervorruft, sich nun mit
den Schriften des dargestellten Dichters wieder einmal zu befassen und erneut
in stiller Versenkung das Ergebnis dieser Lebensarbeit für sich zu ziehen.
Hans Lindau gibt ja einen Überblick nach der Richtung hin nicht, daß er
Gustav Freytag nun schließlich darstellte im Gewebe einer literarischen Periode
und der ganzen Dichtung des Jahrhunderts. Aber er macht doch erfreulicher¬
weise nicht den Fehler so vieler Biographen mit, seinen Helden in beständiger
Begeisterung ob allem Volke unerreicht schweben zu lassen. Er spricht es
ruhig, wenn auch seiner ganzen Natur nach nicht scharf aus, daß Gustav
Freytag auch in seiner Zeit Größere neben sich gehabt habe und unter die
allerersten Meister nicht zu zählen sei. Damit befindet sich Lindau sicherlich
auch in Übereinstimmung mit Freytag selbst. Denn wenn dieser in den siebziger
Jahren seinem Herzog schreibt, daß er keinen deutschen Schriftsteller der Gegen-


Gustav Lreytags Soll und Haben

spätere Bismarckbewundrer wie Treitschke, Simson, Sybel, anders empfanden,
das hat Hans Lindau hier sehr schön gesagt: „Uns wird es vergleichsweise
leicht, den stärkern Verstand Bismarcks an dem seiner Gegner, unter denen sich
doch wahrlich die klügsten Köpfe der Nation befanden, abzumessen. Es ist uns
deshalb nun schon ein heitrer Anblick, das Genie aus dem Ringkampfe mit der
irrenden Vorsicht siegreich hervorgehn zu sehen, und leicht unterschätzen wir die
Klugheit und Feinheit der überwundnen Geister. Damit tuten wir freilich auch
dem Ruhme Bismarcks keinen Dienst. Denn das ist gerade die leuchtende
künstlerische Herrlichkeit dieses gottbegnadeter Herakles, daß er mit einer bis
dahin in der Weltgeschichte, die sich ja immer mehr ins Geistige hinüberarbeitet,
vielleicht noch gar nicht dagewesnen rein geistigen Überlegenheit den Sieg über
die allergrößten Gegenmächte des Geistes errang. Dieser Mann mit einer er¬
staunlichen Kraft der Einsicht, der die Leidenschaft einer Feuerseele zum Voll¬
strecker diente, war für den nationalliberalen Parteimann lange ein Gegenstand
des Ärgernisses, des Mißtrauens, ja der Entrüstung. . . . Dabei ist uns, wie
gesagt, der Standpunkt wohlfeiler kritischer Treppenweisheit, nachdem der Er¬
folg so klar entschieden hat, keineswegs ein wünschenswerter Gesichtspunkt. Wo
Geister wie Freytag oder Virchow irrten, da ist der Irrtum offenbar einer sehr
tief liegenden geschichtlichen Notwendigkeit entsprossen. Es liegt indessen kein
Grund vor, diese Komödie der Irrungen, die wohl auch eine reinigende Kraft
ausüben mag, zu verheimlichen."

Ich bin in den Zitaten etwas ausführlich gewesen, weil ich auf diese
Weise von dem Stil des fleißigen Lindauschen Werks einen Begriff geben
wollte. Er ist nicht immer ganz gleichmäßig und arbeitet hier und da zu oft
mit liebenswürdigen Beiworten — Eigentümlichkeiten, die auch andre Arbeiten
Hans Lindaus aufweisen, und die man künftig gern zugunsten des spröden
Stils seines Oheims Rudolf, des Meisters der Novelle, zurückgesetzt sähe. Die
starken Anregungen, die die Biographie bietet, werden dadurch freilich nicht
berührt. Und aller Anregungen kräftigste und zugleich wünschenswerteste ist
doch die, daß ein solches Werk den innern Zwang hervorruft, sich nun mit
den Schriften des dargestellten Dichters wieder einmal zu befassen und erneut
in stiller Versenkung das Ergebnis dieser Lebensarbeit für sich zu ziehen.
Hans Lindau gibt ja einen Überblick nach der Richtung hin nicht, daß er
Gustav Freytag nun schließlich darstellte im Gewebe einer literarischen Periode
und der ganzen Dichtung des Jahrhunderts. Aber er macht doch erfreulicher¬
weise nicht den Fehler so vieler Biographen mit, seinen Helden in beständiger
Begeisterung ob allem Volke unerreicht schweben zu lassen. Er spricht es
ruhig, wenn auch seiner ganzen Natur nach nicht scharf aus, daß Gustav
Freytag auch in seiner Zeit Größere neben sich gehabt habe und unter die
allerersten Meister nicht zu zählen sei. Damit befindet sich Lindau sicherlich
auch in Übereinstimmung mit Freytag selbst. Denn wenn dieser in den siebziger
Jahren seinem Herzog schreibt, daß er keinen deutschen Schriftsteller der Gegen-


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[0480] Gustav Lreytags Soll und Haben spätere Bismarckbewundrer wie Treitschke, Simson, Sybel, anders empfanden, das hat Hans Lindau hier sehr schön gesagt: „Uns wird es vergleichsweise leicht, den stärkern Verstand Bismarcks an dem seiner Gegner, unter denen sich doch wahrlich die klügsten Köpfe der Nation befanden, abzumessen. Es ist uns deshalb nun schon ein heitrer Anblick, das Genie aus dem Ringkampfe mit der irrenden Vorsicht siegreich hervorgehn zu sehen, und leicht unterschätzen wir die Klugheit und Feinheit der überwundnen Geister. Damit tuten wir freilich auch dem Ruhme Bismarcks keinen Dienst. Denn das ist gerade die leuchtende künstlerische Herrlichkeit dieses gottbegnadeter Herakles, daß er mit einer bis dahin in der Weltgeschichte, die sich ja immer mehr ins Geistige hinüberarbeitet, vielleicht noch gar nicht dagewesnen rein geistigen Überlegenheit den Sieg über die allergrößten Gegenmächte des Geistes errang. Dieser Mann mit einer er¬ staunlichen Kraft der Einsicht, der die Leidenschaft einer Feuerseele zum Voll¬ strecker diente, war für den nationalliberalen Parteimann lange ein Gegenstand des Ärgernisses, des Mißtrauens, ja der Entrüstung. . . . Dabei ist uns, wie gesagt, der Standpunkt wohlfeiler kritischer Treppenweisheit, nachdem der Er¬ folg so klar entschieden hat, keineswegs ein wünschenswerter Gesichtspunkt. Wo Geister wie Freytag oder Virchow irrten, da ist der Irrtum offenbar einer sehr tief liegenden geschichtlichen Notwendigkeit entsprossen. Es liegt indessen kein Grund vor, diese Komödie der Irrungen, die wohl auch eine reinigende Kraft ausüben mag, zu verheimlichen." Ich bin in den Zitaten etwas ausführlich gewesen, weil ich auf diese Weise von dem Stil des fleißigen Lindauschen Werks einen Begriff geben wollte. Er ist nicht immer ganz gleichmäßig und arbeitet hier und da zu oft mit liebenswürdigen Beiworten — Eigentümlichkeiten, die auch andre Arbeiten Hans Lindaus aufweisen, und die man künftig gern zugunsten des spröden Stils seines Oheims Rudolf, des Meisters der Novelle, zurückgesetzt sähe. Die starken Anregungen, die die Biographie bietet, werden dadurch freilich nicht berührt. Und aller Anregungen kräftigste und zugleich wünschenswerteste ist doch die, daß ein solches Werk den innern Zwang hervorruft, sich nun mit den Schriften des dargestellten Dichters wieder einmal zu befassen und erneut in stiller Versenkung das Ergebnis dieser Lebensarbeit für sich zu ziehen. Hans Lindau gibt ja einen Überblick nach der Richtung hin nicht, daß er Gustav Freytag nun schließlich darstellte im Gewebe einer literarischen Periode und der ganzen Dichtung des Jahrhunderts. Aber er macht doch erfreulicher¬ weise nicht den Fehler so vieler Biographen mit, seinen Helden in beständiger Begeisterung ob allem Volke unerreicht schweben zu lassen. Er spricht es ruhig, wenn auch seiner ganzen Natur nach nicht scharf aus, daß Gustav Freytag auch in seiner Zeit Größere neben sich gehabt habe und unter die allerersten Meister nicht zu zählen sei. Damit befindet sich Lindau sicherlich auch in Übereinstimmung mit Freytag selbst. Denn wenn dieser in den siebziger Jahren seinem Herzog schreibt, daß er keinen deutschen Schriftsteller der Gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/480>, abgerufen am 22.07.2024.