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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Neue Schönheiten und neue Aufgabe"

breite Kluft zwischen ihnen erzeugt, die nun wieder geschlossen werden soll und
wird. Das kann natürlich nicht dadurch geschehen, daß der Ingenieur Unter¬
richt in den historischen Stilen, der Architekt solchen in: Berechnen von Jngenicur-
konstruktionen erhält, sondern nur dadurch, daß der eine ganz allgemein ästhetisch
erzogen wird und der andre ganz allgemein die Konstruktionsweise des modernen
Ingenieurs kennen lernt.

Außerdem aber sollen es sich die Verbandsvereine zur Aufgabe machen,
durch Vorträge, Ausstellungen und durch die Presse die Aufmerksamkeit und
das Verständnis des Publikums zu wecken. Denn das große Publikum ist ja
nicht allein kunstgenießend, sondern es kann durch Kunstvereine, durch die
städtischen Körperschaften oder gar selbst ausführend einen nicht unbedeutenden
Einfluß ausüben. Es muß anerkannt werden, daß sich durch die Werke eines
Menzel, Kampmann, besonders aber durch die Schöpfungen jenes großen
Belgiers, dessen "Denkmal der Arbeit" jeden Beschauer bezwingt, durch Ge¬
wöhnung und durch allmähliches Verstehenlernen mich im Publikum eine
Wendung zum Bessern angebahnt hat.

Um das zu Erstrebende recht klar heraustreten zu lassen, will ich die
Gegensätze einmal nebeneinanderstellen. Man halte sich die Kronprinzenbrücke
in Berlin gegen die neue Rheinbrücke der Umgehungsbahn bei Mainz und
diese gegen die Treskvwbrücke bei Oberschöneweide oder den Kaisersteg bei Nieder¬
schöneweide, man halte sich den Hauptbahnhof in Dresden gegen den in Frank¬
furt am Main oder den neuen Hauptbahnhof in Hamburg; man halte sich die
Bauten der Berliner Stadtbahn gegen die der Berliner Hoch- und Untergrund¬
bahn, der Fortschritt springt in die Augen. Aber gewiß ist, daß wir erst im
Anfang der Entwicklung steh", und daß noch viel zu tun übrig bleibt. Die
Wassertürmc unsrer Städte, die in der Silhouette der Stadt eine Rolle spielen,
die Elektrizitüts - und Wasserwerke und überhaupt alle industriellen Anlagen,
die dickbäuchigen Gasometer, die himmelanstrebenden Schornsteine, all das fordert
zur Gestaltung auf.

Das sind allerdings Aufgaben, die bisher mit Geringschätzung angesehen
wurden, die aber mehr Gestaltungskraft und Vertiefung verlangen als die rein
architektonischen Programme, die immer mit voller Hingabe und einem wahren
Feuereifer behandelt wurden. Es geht bei jenen allerdings schwer vorwärts,
denn es ist Neuland, was wir hier betreten, und man darf hier nicht die er¬
lernten historischen Stilformen zum tausendunderstenmale wiederbringen, wohl
aber darf und muß man sogar hier offen und ehrlich, und das ist das wichtige
und große bei der Arbeit, die modernen Konstruktionselemente! das Eisen, das
Eisenfachwerk und den Eisenbeton, zeigen und bilden.




Neue Schönheiten und neue Aufgabe»

breite Kluft zwischen ihnen erzeugt, die nun wieder geschlossen werden soll und
wird. Das kann natürlich nicht dadurch geschehen, daß der Ingenieur Unter¬
richt in den historischen Stilen, der Architekt solchen in: Berechnen von Jngenicur-
konstruktionen erhält, sondern nur dadurch, daß der eine ganz allgemein ästhetisch
erzogen wird und der andre ganz allgemein die Konstruktionsweise des modernen
Ingenieurs kennen lernt.

Außerdem aber sollen es sich die Verbandsvereine zur Aufgabe machen,
durch Vorträge, Ausstellungen und durch die Presse die Aufmerksamkeit und
das Verständnis des Publikums zu wecken. Denn das große Publikum ist ja
nicht allein kunstgenießend, sondern es kann durch Kunstvereine, durch die
städtischen Körperschaften oder gar selbst ausführend einen nicht unbedeutenden
Einfluß ausüben. Es muß anerkannt werden, daß sich durch die Werke eines
Menzel, Kampmann, besonders aber durch die Schöpfungen jenes großen
Belgiers, dessen „Denkmal der Arbeit" jeden Beschauer bezwingt, durch Ge¬
wöhnung und durch allmähliches Verstehenlernen mich im Publikum eine
Wendung zum Bessern angebahnt hat.

Um das zu Erstrebende recht klar heraustreten zu lassen, will ich die
Gegensätze einmal nebeneinanderstellen. Man halte sich die Kronprinzenbrücke
in Berlin gegen die neue Rheinbrücke der Umgehungsbahn bei Mainz und
diese gegen die Treskvwbrücke bei Oberschöneweide oder den Kaisersteg bei Nieder¬
schöneweide, man halte sich den Hauptbahnhof in Dresden gegen den in Frank¬
furt am Main oder den neuen Hauptbahnhof in Hamburg; man halte sich die
Bauten der Berliner Stadtbahn gegen die der Berliner Hoch- und Untergrund¬
bahn, der Fortschritt springt in die Augen. Aber gewiß ist, daß wir erst im
Anfang der Entwicklung steh», und daß noch viel zu tun übrig bleibt. Die
Wassertürmc unsrer Städte, die in der Silhouette der Stadt eine Rolle spielen,
die Elektrizitüts - und Wasserwerke und überhaupt alle industriellen Anlagen,
die dickbäuchigen Gasometer, die himmelanstrebenden Schornsteine, all das fordert
zur Gestaltung auf.

Das sind allerdings Aufgaben, die bisher mit Geringschätzung angesehen
wurden, die aber mehr Gestaltungskraft und Vertiefung verlangen als die rein
architektonischen Programme, die immer mit voller Hingabe und einem wahren
Feuereifer behandelt wurden. Es geht bei jenen allerdings schwer vorwärts,
denn es ist Neuland, was wir hier betreten, und man darf hier nicht die er¬
lernten historischen Stilformen zum tausendunderstenmale wiederbringen, wohl
aber darf und muß man sogar hier offen und ehrlich, und das ist das wichtige
und große bei der Arbeit, die modernen Konstruktionselemente! das Eisen, das
Eisenfachwerk und den Eisenbeton, zeigen und bilden.




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[0436] Neue Schönheiten und neue Aufgabe» breite Kluft zwischen ihnen erzeugt, die nun wieder geschlossen werden soll und wird. Das kann natürlich nicht dadurch geschehen, daß der Ingenieur Unter¬ richt in den historischen Stilen, der Architekt solchen in: Berechnen von Jngenicur- konstruktionen erhält, sondern nur dadurch, daß der eine ganz allgemein ästhetisch erzogen wird und der andre ganz allgemein die Konstruktionsweise des modernen Ingenieurs kennen lernt. Außerdem aber sollen es sich die Verbandsvereine zur Aufgabe machen, durch Vorträge, Ausstellungen und durch die Presse die Aufmerksamkeit und das Verständnis des Publikums zu wecken. Denn das große Publikum ist ja nicht allein kunstgenießend, sondern es kann durch Kunstvereine, durch die städtischen Körperschaften oder gar selbst ausführend einen nicht unbedeutenden Einfluß ausüben. Es muß anerkannt werden, daß sich durch die Werke eines Menzel, Kampmann, besonders aber durch die Schöpfungen jenes großen Belgiers, dessen „Denkmal der Arbeit" jeden Beschauer bezwingt, durch Ge¬ wöhnung und durch allmähliches Verstehenlernen mich im Publikum eine Wendung zum Bessern angebahnt hat. Um das zu Erstrebende recht klar heraustreten zu lassen, will ich die Gegensätze einmal nebeneinanderstellen. Man halte sich die Kronprinzenbrücke in Berlin gegen die neue Rheinbrücke der Umgehungsbahn bei Mainz und diese gegen die Treskvwbrücke bei Oberschöneweide oder den Kaisersteg bei Nieder¬ schöneweide, man halte sich den Hauptbahnhof in Dresden gegen den in Frank¬ furt am Main oder den neuen Hauptbahnhof in Hamburg; man halte sich die Bauten der Berliner Stadtbahn gegen die der Berliner Hoch- und Untergrund¬ bahn, der Fortschritt springt in die Augen. Aber gewiß ist, daß wir erst im Anfang der Entwicklung steh», und daß noch viel zu tun übrig bleibt. Die Wassertürmc unsrer Städte, die in der Silhouette der Stadt eine Rolle spielen, die Elektrizitüts - und Wasserwerke und überhaupt alle industriellen Anlagen, die dickbäuchigen Gasometer, die himmelanstrebenden Schornsteine, all das fordert zur Gestaltung auf. Das sind allerdings Aufgaben, die bisher mit Geringschätzung angesehen wurden, die aber mehr Gestaltungskraft und Vertiefung verlangen als die rein architektonischen Programme, die immer mit voller Hingabe und einem wahren Feuereifer behandelt wurden. Es geht bei jenen allerdings schwer vorwärts, denn es ist Neuland, was wir hier betreten, und man darf hier nicht die er¬ lernten historischen Stilformen zum tausendunderstenmale wiederbringen, wohl aber darf und muß man sogar hier offen und ehrlich, und das ist das wichtige und große bei der Arbeit, die modernen Konstruktionselemente! das Eisen, das Eisenfachwerk und den Eisenbeton, zeigen und bilden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/436>, abgerufen am 24.08.2024.