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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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der Fall. Die religiöse Persönlichkeit werde noch dazu Objekt der Mythcn-
bildung und wandle sich auch als sittliches Ideal beständig, sei darum nicht
bloß in jeder Glaubensform, sondern auch in jedem einzelnen Bewußtsein ein
andres. Und eben dieser Wandlungsfähigkeit verdanke das Christentum seinen
den Wechsel der Zeiten überdauernden Bestand. "Ein religiöses Ideal, das alle
Stufen religiösen Denkens von den niedern Formen fetischistischen Aberglaubens
bis zur sittlich geläuterten Gottesidee in sich zu vereinigen vermag, kann un¬
möglich für alle diese Stufen das nämliche sein. Aber eben darum kann es
zugleich die Hoffnung erwecken, daß es noch auf unabsehbare Zeit hinaus die
Entwicklung der religiösen Ideen zum Ausdruck bringen und in dieser Ent¬
wicklung den höhern Formen des religiösen Denkens zum Siege über die niedern
verhelfen werde." Ans diesem Boden könne das Christentum auch mit der
Philosophie in Einklang gebracht werden. Dem allen stimme ich bei. Auch der
Bemerkung, daß von den Bedingungen, die die Philosophie stellen müsse, die
eine schon erfüllt sei, nämlich die Anerkennung der Geistigkeit und absoluten
Transzendenz des Weltgrundes. Dagegen gebe ich nicht zu, daß, wie weiter
gefordert wird, die Gottheit Christi preisgegeben werden müsse, weil deren
Annahme die geschichtliche Glaubwürdigkeit aufhebe, an die der Wert des
Glaubens an das menschliche Ideal gebunden sei; weil sie dem ins Übermensch¬
liche gesteigerten sittlichen Ideal seine praktische Bedeutung nehme; und weil
die Annahme von Wundern die Idee Gottes selbst Herabdrücke. Darauf ist
zu erwidern, daß Unerklürbarkeit historisch beglaubigte Tatsachen noch nicht
unglaubwürdig macht; daß die Bedeutung der Person Christi nicht auf die des
verkörperten sittlichen Ideals reduziert werden darf, besonders da die meisten
der Handlungen, die von Jesus erzählt werden, gar nicht nachgeahmt werden
können, und da es an andern menschlichen Idealen, in denen sich der christliche
Geist verkörpert hat, nicht fehlt; endlich, da^ es Gottes nicht unwürdig ist,
zu besondern Zwecken Dinge zu wirken, die sich in den Lauf der Natur nicht
einreihen lassen, und die darum nicht Gegenstand der Naturwissenschaft werden
können. Dem folgenden ist wieder zuzustimmen. Die religiösen Ideen werden
in kultischen Symbolen ausgedrückt. Die Symbole sind Vorstellungsformcn
zu dem Zwecke, durch den Ausdruck bestimmter religiöser Ideen diese Ideen
in den Gemütern zu wecken. "Jede Anschauung, die ihnen neben dieser innern
Wirkung auf das religiöse Gefühl noch eine äußere Wunderkraft beilegt, be¬
deutet einen Rückfall auf die primitive Stufe des Zauberglaubens und arbeitet
darum mit an der Entsittlichung der Religion."

Ju dem Glauben an Gott verwirkliche sich die Idee des Weltgrundes, in
dem Unsterblichkeitsglauben die des Weltzwecks. Die Unsterblichkeit dürfe aber
nicht als Fortdauer der Personen gedacht werden; eine solche werde auch von
der Idee der Gerechtigkeit nicht gefordert. Die Annahme einer substantiellen
Seele, eines Seelenatoms, die sowohl die Unsterblichkeit sichern als die Einheit
des Bewußtseins erklären solle, beeinträchtige die Untersuchung der psycho-


der Fall. Die religiöse Persönlichkeit werde noch dazu Objekt der Mythcn-
bildung und wandle sich auch als sittliches Ideal beständig, sei darum nicht
bloß in jeder Glaubensform, sondern auch in jedem einzelnen Bewußtsein ein
andres. Und eben dieser Wandlungsfähigkeit verdanke das Christentum seinen
den Wechsel der Zeiten überdauernden Bestand. „Ein religiöses Ideal, das alle
Stufen religiösen Denkens von den niedern Formen fetischistischen Aberglaubens
bis zur sittlich geläuterten Gottesidee in sich zu vereinigen vermag, kann un¬
möglich für alle diese Stufen das nämliche sein. Aber eben darum kann es
zugleich die Hoffnung erwecken, daß es noch auf unabsehbare Zeit hinaus die
Entwicklung der religiösen Ideen zum Ausdruck bringen und in dieser Ent¬
wicklung den höhern Formen des religiösen Denkens zum Siege über die niedern
verhelfen werde." Ans diesem Boden könne das Christentum auch mit der
Philosophie in Einklang gebracht werden. Dem allen stimme ich bei. Auch der
Bemerkung, daß von den Bedingungen, die die Philosophie stellen müsse, die
eine schon erfüllt sei, nämlich die Anerkennung der Geistigkeit und absoluten
Transzendenz des Weltgrundes. Dagegen gebe ich nicht zu, daß, wie weiter
gefordert wird, die Gottheit Christi preisgegeben werden müsse, weil deren
Annahme die geschichtliche Glaubwürdigkeit aufhebe, an die der Wert des
Glaubens an das menschliche Ideal gebunden sei; weil sie dem ins Übermensch¬
liche gesteigerten sittlichen Ideal seine praktische Bedeutung nehme; und weil
die Annahme von Wundern die Idee Gottes selbst Herabdrücke. Darauf ist
zu erwidern, daß Unerklürbarkeit historisch beglaubigte Tatsachen noch nicht
unglaubwürdig macht; daß die Bedeutung der Person Christi nicht auf die des
verkörperten sittlichen Ideals reduziert werden darf, besonders da die meisten
der Handlungen, die von Jesus erzählt werden, gar nicht nachgeahmt werden
können, und da es an andern menschlichen Idealen, in denen sich der christliche
Geist verkörpert hat, nicht fehlt; endlich, da^ es Gottes nicht unwürdig ist,
zu besondern Zwecken Dinge zu wirken, die sich in den Lauf der Natur nicht
einreihen lassen, und die darum nicht Gegenstand der Naturwissenschaft werden
können. Dem folgenden ist wieder zuzustimmen. Die religiösen Ideen werden
in kultischen Symbolen ausgedrückt. Die Symbole sind Vorstellungsformcn
zu dem Zwecke, durch den Ausdruck bestimmter religiöser Ideen diese Ideen
in den Gemütern zu wecken. „Jede Anschauung, die ihnen neben dieser innern
Wirkung auf das religiöse Gefühl noch eine äußere Wunderkraft beilegt, be¬
deutet einen Rückfall auf die primitive Stufe des Zauberglaubens und arbeitet
darum mit an der Entsittlichung der Religion."

Ju dem Glauben an Gott verwirkliche sich die Idee des Weltgrundes, in
dem Unsterblichkeitsglauben die des Weltzwecks. Die Unsterblichkeit dürfe aber
nicht als Fortdauer der Personen gedacht werden; eine solche werde auch von
der Idee der Gerechtigkeit nicht gefordert. Die Annahme einer substantiellen
Seele, eines Seelenatoms, die sowohl die Unsterblichkeit sichern als die Einheit
des Bewußtseins erklären solle, beeinträchtige die Untersuchung der psycho-


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[0426] der Fall. Die religiöse Persönlichkeit werde noch dazu Objekt der Mythcn- bildung und wandle sich auch als sittliches Ideal beständig, sei darum nicht bloß in jeder Glaubensform, sondern auch in jedem einzelnen Bewußtsein ein andres. Und eben dieser Wandlungsfähigkeit verdanke das Christentum seinen den Wechsel der Zeiten überdauernden Bestand. „Ein religiöses Ideal, das alle Stufen religiösen Denkens von den niedern Formen fetischistischen Aberglaubens bis zur sittlich geläuterten Gottesidee in sich zu vereinigen vermag, kann un¬ möglich für alle diese Stufen das nämliche sein. Aber eben darum kann es zugleich die Hoffnung erwecken, daß es noch auf unabsehbare Zeit hinaus die Entwicklung der religiösen Ideen zum Ausdruck bringen und in dieser Ent¬ wicklung den höhern Formen des religiösen Denkens zum Siege über die niedern verhelfen werde." Ans diesem Boden könne das Christentum auch mit der Philosophie in Einklang gebracht werden. Dem allen stimme ich bei. Auch der Bemerkung, daß von den Bedingungen, die die Philosophie stellen müsse, die eine schon erfüllt sei, nämlich die Anerkennung der Geistigkeit und absoluten Transzendenz des Weltgrundes. Dagegen gebe ich nicht zu, daß, wie weiter gefordert wird, die Gottheit Christi preisgegeben werden müsse, weil deren Annahme die geschichtliche Glaubwürdigkeit aufhebe, an die der Wert des Glaubens an das menschliche Ideal gebunden sei; weil sie dem ins Übermensch¬ liche gesteigerten sittlichen Ideal seine praktische Bedeutung nehme; und weil die Annahme von Wundern die Idee Gottes selbst Herabdrücke. Darauf ist zu erwidern, daß Unerklürbarkeit historisch beglaubigte Tatsachen noch nicht unglaubwürdig macht; daß die Bedeutung der Person Christi nicht auf die des verkörperten sittlichen Ideals reduziert werden darf, besonders da die meisten der Handlungen, die von Jesus erzählt werden, gar nicht nachgeahmt werden können, und da es an andern menschlichen Idealen, in denen sich der christliche Geist verkörpert hat, nicht fehlt; endlich, da^ es Gottes nicht unwürdig ist, zu besondern Zwecken Dinge zu wirken, die sich in den Lauf der Natur nicht einreihen lassen, und die darum nicht Gegenstand der Naturwissenschaft werden können. Dem folgenden ist wieder zuzustimmen. Die religiösen Ideen werden in kultischen Symbolen ausgedrückt. Die Symbole sind Vorstellungsformcn zu dem Zwecke, durch den Ausdruck bestimmter religiöser Ideen diese Ideen in den Gemütern zu wecken. „Jede Anschauung, die ihnen neben dieser innern Wirkung auf das religiöse Gefühl noch eine äußere Wunderkraft beilegt, be¬ deutet einen Rückfall auf die primitive Stufe des Zauberglaubens und arbeitet darum mit an der Entsittlichung der Religion." Ju dem Glauben an Gott verwirkliche sich die Idee des Weltgrundes, in dem Unsterblichkeitsglauben die des Weltzwecks. Die Unsterblichkeit dürfe aber nicht als Fortdauer der Personen gedacht werden; eine solche werde auch von der Idee der Gerechtigkeit nicht gefordert. Die Annahme einer substantiellen Seele, eines Seelenatoms, die sowohl die Unsterblichkeit sichern als die Einheit des Bewußtseins erklären solle, beeinträchtige die Untersuchung der psycho-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/426>, abgerufen am 02.10.2024.