Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.können, reichlich genügen, so brauchte die Frage gar nicht aufgeworfen zu werden, können, reichlich genügen, so brauchte die Frage gar nicht aufgeworfen zu werden, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311484"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1980" prev="#ID_1979" next="#ID_1981"> können, reichlich genügen, so brauchte die Frage gar nicht aufgeworfen zu werden,<lb/> wenn Herder nicht eine Eigenschaft hätte, die für den größern Teil der Anschaffungs¬<lb/> lustigen keine geringe Bedeutung hat: er kostet nur etwa halb so viel wie jene<lb/> beiden Riesen. Hat freilich demgemäß auch nur den halben — nicht ganz den<lb/> halben — Umfang. Das wirkt weniger auf die Zahl der Artikel ein (obgleich<lb/> auch darin der Unterschied nicht ganz unbeträchtlich ist; doch fehlen im Herder nur<lb/> Dinge von geringem Wert, nach denen wohl selten jemand fragt, zum Beispiel<lb/> unbedeutende mythologische Namen wie Alkathoos) als im Umfange der größern<lb/> Artikel. In Naturwissenschaft und Technik ersetzen die andern beiden beinahe die<lb/> Lehrbücher. Da aber dem, der diese Wissenschaften wirklich studieren will, die<lb/> Lehrbücher doch nicht erspart bleiben, und das Konversationslexikon nur oberflächlich<lb/> orientieren soll, so genügt Herder den Ansprüchen von neunundneunzig unter hundert<lb/> Jnformativnsbedürftigen. In geographischen Artikeln würde man hier und da<lb/> etwas mehr wünschen; so sind zum Beispiel die genauen Angaben über die heutige<lb/> wirtschaftliche Entwicklung Ägyptens im Brockhaus doch sehr dankenswert. Prägnanz<lb/> der gedrängten Darstellung erreicht in den meisten Fällen, daß nichts wesentliches<lb/> fehlt, so in dem sehr kurzen Artikel „Adam Smith". In andern ergänzen die<lb/> verwandten Artikel den Gegenstand bis zur Vollständigkeit. Doch wird in einer<lb/> weitern Auflage manche Lücke auszufüllen sein; so zum Beispiel fehlt die nicht ganz<lb/> unwichtige Tatsache, daß führende Chemiker und Physiker den Atomismus durch<lb/> den Energismus zu ersetzen versuchen. Was der durchschnittliche Benutzer am<lb/> häufigsten braucht: Biographisches, Topographisches, statistisches, das findet er in<lb/> ausreichendem Maße, zum Beispiel auch, daß unter den Klassikerausgaben Adolf<lb/> Sterns die Otto Ludwig-Ausgabe die wertvollste ist (und gleich daneben empfängt<lb/> man die gründlichste Auskunft über die himmlischen Sterne). So haben denn<lb/> angesehene protestantische Organe: die norddeutsche, die Münchner Allgemeine<lb/> Zeitung, der Reichsanzeiger, die Leipziger Illustrierte Zeitung dieses Nachschlage¬<lb/> werk als zuverlässig, ausreichend und durchaus tüchtig charakterisiert. Daß alles,<lb/> was Weltanschauung, Religion und Kirche betrifft, vom katholischen Standpunkt<lb/> ans behandelt wird, versteht sich von selbst, doch geschieht es ohne verletzende<lb/> Polemik und mit weiser Zurückhaltung. Die das Alte Testament korrigierendem<lb/> Ergebnisse der babylonischen Ausgrabungen werden einfach angeführt. Die Lehren<lb/> der Reformatoren werden natürlich als irrig bezeichnet, die Spaltung wird beklagt,<lb/> die Reformation als durch die kirchlichen Zustände zwar veranlaßt, jedoch in dieser<lb/> Form nicht notwendig dargestellt, aber Luthers Charakterfehler werden nnr mit<lb/> den Worten des Protestanten Seeberg hervorgehoben, und am Schluß wird bemerkt,<lb/> aus seiner dämonischen Größe folge noch nicht, daß ihm die Geschichte auch „Un¬<lb/> tugenden von heroischen Charakter" (Seeberg) nachzusehen habe. Die deutschen<lb/> Dichterfürsten werden nicht im Stile des (freilich in dieser Enzyklopädie gelobte»)<lb/> Jesuiten Baumgartner abgekanzelt. Schiller wird geradezu enthusiastisch gepriesen.<lb/> Der Dichter Goethe, der Kritiker und Dichter Lessing werden ohne Nörgeln und<lb/> Makeln anerkannt. Der heutige Goethekultus wird jedoch mit Recht übertrieben<lb/> gefunden, und Goethes Philosophie und sittlicher Charakter werden so beurteilt,<lb/> wie es auch in gläubigen protestantischen Kreisen üblich ist. Daß Lessings religiöser<lb/> Standpunkt nicht gebilligt wird, kann nicht verwundern, wohl aber, daß unerwähnt<lb/> bleibt, wie der Amel-Goeze das katholische Traditionsprinzip gegen das lutherische<lb/> Schriftprinzip vertritt, ebenso, daß Eduard von Hartmanns dreißigjähriger erfolg¬<lb/> reicher Kampf gegen die Haeckelei, seine meisterhafte Kritik des Darwinismus ver¬<lb/> schwiegen wird, die meiner Ansicht nach ein Bestandteil von unvergänglichen Wert<lb/> in seiner Philosophie ist. freilich wohl der einzige. Mit Karten und Textillustrationen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0403]
können, reichlich genügen, so brauchte die Frage gar nicht aufgeworfen zu werden,
wenn Herder nicht eine Eigenschaft hätte, die für den größern Teil der Anschaffungs¬
lustigen keine geringe Bedeutung hat: er kostet nur etwa halb so viel wie jene
beiden Riesen. Hat freilich demgemäß auch nur den halben — nicht ganz den
halben — Umfang. Das wirkt weniger auf die Zahl der Artikel ein (obgleich
auch darin der Unterschied nicht ganz unbeträchtlich ist; doch fehlen im Herder nur
Dinge von geringem Wert, nach denen wohl selten jemand fragt, zum Beispiel
unbedeutende mythologische Namen wie Alkathoos) als im Umfange der größern
Artikel. In Naturwissenschaft und Technik ersetzen die andern beiden beinahe die
Lehrbücher. Da aber dem, der diese Wissenschaften wirklich studieren will, die
Lehrbücher doch nicht erspart bleiben, und das Konversationslexikon nur oberflächlich
orientieren soll, so genügt Herder den Ansprüchen von neunundneunzig unter hundert
Jnformativnsbedürftigen. In geographischen Artikeln würde man hier und da
etwas mehr wünschen; so sind zum Beispiel die genauen Angaben über die heutige
wirtschaftliche Entwicklung Ägyptens im Brockhaus doch sehr dankenswert. Prägnanz
der gedrängten Darstellung erreicht in den meisten Fällen, daß nichts wesentliches
fehlt, so in dem sehr kurzen Artikel „Adam Smith". In andern ergänzen die
verwandten Artikel den Gegenstand bis zur Vollständigkeit. Doch wird in einer
weitern Auflage manche Lücke auszufüllen sein; so zum Beispiel fehlt die nicht ganz
unwichtige Tatsache, daß führende Chemiker und Physiker den Atomismus durch
den Energismus zu ersetzen versuchen. Was der durchschnittliche Benutzer am
häufigsten braucht: Biographisches, Topographisches, statistisches, das findet er in
ausreichendem Maße, zum Beispiel auch, daß unter den Klassikerausgaben Adolf
Sterns die Otto Ludwig-Ausgabe die wertvollste ist (und gleich daneben empfängt
man die gründlichste Auskunft über die himmlischen Sterne). So haben denn
angesehene protestantische Organe: die norddeutsche, die Münchner Allgemeine
Zeitung, der Reichsanzeiger, die Leipziger Illustrierte Zeitung dieses Nachschlage¬
werk als zuverlässig, ausreichend und durchaus tüchtig charakterisiert. Daß alles,
was Weltanschauung, Religion und Kirche betrifft, vom katholischen Standpunkt
ans behandelt wird, versteht sich von selbst, doch geschieht es ohne verletzende
Polemik und mit weiser Zurückhaltung. Die das Alte Testament korrigierendem
Ergebnisse der babylonischen Ausgrabungen werden einfach angeführt. Die Lehren
der Reformatoren werden natürlich als irrig bezeichnet, die Spaltung wird beklagt,
die Reformation als durch die kirchlichen Zustände zwar veranlaßt, jedoch in dieser
Form nicht notwendig dargestellt, aber Luthers Charakterfehler werden nnr mit
den Worten des Protestanten Seeberg hervorgehoben, und am Schluß wird bemerkt,
aus seiner dämonischen Größe folge noch nicht, daß ihm die Geschichte auch „Un¬
tugenden von heroischen Charakter" (Seeberg) nachzusehen habe. Die deutschen
Dichterfürsten werden nicht im Stile des (freilich in dieser Enzyklopädie gelobte»)
Jesuiten Baumgartner abgekanzelt. Schiller wird geradezu enthusiastisch gepriesen.
Der Dichter Goethe, der Kritiker und Dichter Lessing werden ohne Nörgeln und
Makeln anerkannt. Der heutige Goethekultus wird jedoch mit Recht übertrieben
gefunden, und Goethes Philosophie und sittlicher Charakter werden so beurteilt,
wie es auch in gläubigen protestantischen Kreisen üblich ist. Daß Lessings religiöser
Standpunkt nicht gebilligt wird, kann nicht verwundern, wohl aber, daß unerwähnt
bleibt, wie der Amel-Goeze das katholische Traditionsprinzip gegen das lutherische
Schriftprinzip vertritt, ebenso, daß Eduard von Hartmanns dreißigjähriger erfolg¬
reicher Kampf gegen die Haeckelei, seine meisterhafte Kritik des Darwinismus ver¬
schwiegen wird, die meiner Ansicht nach ein Bestandteil von unvergänglichen Wert
in seiner Philosophie ist. freilich wohl der einzige. Mit Karten und Textillustrationen
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