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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Der Marquis von (Larabas

ans Werk geht, muß das Erdreich vorbereitet und gelockert werden, worin die
neuen Ideen keimen sollen, muß durch die Kunst, die das Hohe im Gewände
des Einfachen ist, unter allen Stünden eine Atmosphäre der Verständigung
geschaffen werden. Zu dieser Arbeit bedeuten die Werke Thackerays einige
Bausteine. Als einer der Gebildetsten der Nation hatte er die Mittel, fremde
Bildung in sich aufzunehmen und das in seiner Art für England zu tun, was der
allumfassende Geist Goethes für Deutschland geleistet hat. Alle scheinbar wider¬
sprechenden Züge in seinem Charakter, seine Auflehnung gegen die Romantiker,
der Satiriker und der Moralist, das unsicher Tastende in seinem Wesen sehen
sich anders an, wenn man es in diesem Lichte betrachtet -- im Lichte zweier
Kulturen, die ineinander übergehen.

Es konnte nicht fehlen, daß ein solcher Geist und ein solches Unternehmen
Widersacher fanden. Wie Goethe ist Thackeray von den verschiedensten Stand-
Punkten aus beurteilt und verurteilt worden: als Zyniker gebrandmarkt, als
Höfling der Verachtung anheimgegeben worden. Er galt als ein Voltairischer
Geist, ein Verbreiter der Skepsis, ein Verfechter des Kant, als ein Un¬
gläubiger, und die berühmte Apostrophe Alfred de Müssets fällt auch zum Teil
auf ihn. Ich habe eingangs von den schöpferischen Geistern gesprochen: ein
solcher war Thackeray nicht. Wir verdanken ihm keine neuen Gedanken, er
hatte nicht den Funken, der mächtig in die Brust der Menschen fällt, nicht den
Zauberstab, bei dessen Berührung ein frischer Quell aus dem tauben Gestein
der Gewohnheit des Tages hervorspringt. Aber er trug dazu bei, daß, so¬
lange das Neue nicht vorhanden war, das Bestehende erhalten bleibe, und
wurde damit zum Träger jenes zusammenfassenden Eklektizismus, worin die
vornehmliche Arbeit einer gedeihlichen Kultur liegt. Er war mit einem Worte
A. sank manu ein Goethischer Geist. _




T>er Marquis von (Larabas
j?alle Rosenkrantz Roman von
Zehntes Aar-nel

(worin Kalt wieder die Moral berührt, während Jörgen Steenfeld, die unzusammengesetzte Natur,
vemcihe unmoralisch ist, und worin, um allen Schandtaten die Krone aufzusetzen, Friedrich Nietzsche
zitiert wird, ausnahmsweise richtig)

s war zur Weihnachtszeit. Jörgen und Kalt brachten das Fest ein¬
sam auf Steensgaard zu. Eine etwas trübselige Junggescllenweihnacht
war es, ohne Christbaum oder dergleichen, nur mit der Bescherung der
Leute und einigen guten Gaben verbunden. Sie saßen zur Abendzeit
in der Bibliothek, wo vor ein paar Jahren Kalt seinen Einzug ge¬
halten hatte. Jörgen war stumm, ein wenig zerstreut, Kalt trübselig,
wie es einsame Menschen immer bei hohen Festen sind, die nur zur Freude derer
bestehn, die sich einen Herd geschaffen haben. Sie nippten an ihren mit Wein


Der Marquis von (Larabas

ans Werk geht, muß das Erdreich vorbereitet und gelockert werden, worin die
neuen Ideen keimen sollen, muß durch die Kunst, die das Hohe im Gewände
des Einfachen ist, unter allen Stünden eine Atmosphäre der Verständigung
geschaffen werden. Zu dieser Arbeit bedeuten die Werke Thackerays einige
Bausteine. Als einer der Gebildetsten der Nation hatte er die Mittel, fremde
Bildung in sich aufzunehmen und das in seiner Art für England zu tun, was der
allumfassende Geist Goethes für Deutschland geleistet hat. Alle scheinbar wider¬
sprechenden Züge in seinem Charakter, seine Auflehnung gegen die Romantiker,
der Satiriker und der Moralist, das unsicher Tastende in seinem Wesen sehen
sich anders an, wenn man es in diesem Lichte betrachtet — im Lichte zweier
Kulturen, die ineinander übergehen.

Es konnte nicht fehlen, daß ein solcher Geist und ein solches Unternehmen
Widersacher fanden. Wie Goethe ist Thackeray von den verschiedensten Stand-
Punkten aus beurteilt und verurteilt worden: als Zyniker gebrandmarkt, als
Höfling der Verachtung anheimgegeben worden. Er galt als ein Voltairischer
Geist, ein Verbreiter der Skepsis, ein Verfechter des Kant, als ein Un¬
gläubiger, und die berühmte Apostrophe Alfred de Müssets fällt auch zum Teil
auf ihn. Ich habe eingangs von den schöpferischen Geistern gesprochen: ein
solcher war Thackeray nicht. Wir verdanken ihm keine neuen Gedanken, er
hatte nicht den Funken, der mächtig in die Brust der Menschen fällt, nicht den
Zauberstab, bei dessen Berührung ein frischer Quell aus dem tauben Gestein
der Gewohnheit des Tages hervorspringt. Aber er trug dazu bei, daß, so¬
lange das Neue nicht vorhanden war, das Bestehende erhalten bleibe, und
wurde damit zum Träger jenes zusammenfassenden Eklektizismus, worin die
vornehmliche Arbeit einer gedeihlichen Kultur liegt. Er war mit einem Worte
A. sank manu ein Goethischer Geist. _




T>er Marquis von (Larabas
j?alle Rosenkrantz Roman von
Zehntes Aar-nel

(worin Kalt wieder die Moral berührt, während Jörgen Steenfeld, die unzusammengesetzte Natur,
vemcihe unmoralisch ist, und worin, um allen Schandtaten die Krone aufzusetzen, Friedrich Nietzsche
zitiert wird, ausnahmsweise richtig)

s war zur Weihnachtszeit. Jörgen und Kalt brachten das Fest ein¬
sam auf Steensgaard zu. Eine etwas trübselige Junggescllenweihnacht
war es, ohne Christbaum oder dergleichen, nur mit der Bescherung der
Leute und einigen guten Gaben verbunden. Sie saßen zur Abendzeit
in der Bibliothek, wo vor ein paar Jahren Kalt seinen Einzug ge¬
halten hatte. Jörgen war stumm, ein wenig zerstreut, Kalt trübselig,
wie es einsame Menschen immer bei hohen Festen sind, die nur zur Freude derer
bestehn, die sich einen Herd geschaffen haben. Sie nippten an ihren mit Wein


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[0387] Der Marquis von (Larabas ans Werk geht, muß das Erdreich vorbereitet und gelockert werden, worin die neuen Ideen keimen sollen, muß durch die Kunst, die das Hohe im Gewände des Einfachen ist, unter allen Stünden eine Atmosphäre der Verständigung geschaffen werden. Zu dieser Arbeit bedeuten die Werke Thackerays einige Bausteine. Als einer der Gebildetsten der Nation hatte er die Mittel, fremde Bildung in sich aufzunehmen und das in seiner Art für England zu tun, was der allumfassende Geist Goethes für Deutschland geleistet hat. Alle scheinbar wider¬ sprechenden Züge in seinem Charakter, seine Auflehnung gegen die Romantiker, der Satiriker und der Moralist, das unsicher Tastende in seinem Wesen sehen sich anders an, wenn man es in diesem Lichte betrachtet — im Lichte zweier Kulturen, die ineinander übergehen. Es konnte nicht fehlen, daß ein solcher Geist und ein solches Unternehmen Widersacher fanden. Wie Goethe ist Thackeray von den verschiedensten Stand- Punkten aus beurteilt und verurteilt worden: als Zyniker gebrandmarkt, als Höfling der Verachtung anheimgegeben worden. Er galt als ein Voltairischer Geist, ein Verbreiter der Skepsis, ein Verfechter des Kant, als ein Un¬ gläubiger, und die berühmte Apostrophe Alfred de Müssets fällt auch zum Teil auf ihn. Ich habe eingangs von den schöpferischen Geistern gesprochen: ein solcher war Thackeray nicht. Wir verdanken ihm keine neuen Gedanken, er hatte nicht den Funken, der mächtig in die Brust der Menschen fällt, nicht den Zauberstab, bei dessen Berührung ein frischer Quell aus dem tauben Gestein der Gewohnheit des Tages hervorspringt. Aber er trug dazu bei, daß, so¬ lange das Neue nicht vorhanden war, das Bestehende erhalten bleibe, und wurde damit zum Träger jenes zusammenfassenden Eklektizismus, worin die vornehmliche Arbeit einer gedeihlichen Kultur liegt. Er war mit einem Worte A. sank manu ein Goethischer Geist. _ T>er Marquis von (Larabas j?alle Rosenkrantz Roman von Zehntes Aar-nel (worin Kalt wieder die Moral berührt, während Jörgen Steenfeld, die unzusammengesetzte Natur, vemcihe unmoralisch ist, und worin, um allen Schandtaten die Krone aufzusetzen, Friedrich Nietzsche zitiert wird, ausnahmsweise richtig) s war zur Weihnachtszeit. Jörgen und Kalt brachten das Fest ein¬ sam auf Steensgaard zu. Eine etwas trübselige Junggescllenweihnacht war es, ohne Christbaum oder dergleichen, nur mit der Bescherung der Leute und einigen guten Gaben verbunden. Sie saßen zur Abendzeit in der Bibliothek, wo vor ein paar Jahren Kalt seinen Einzug ge¬ halten hatte. Jörgen war stumm, ein wenig zerstreut, Kalt trübselig, wie es einsame Menschen immer bei hohen Festen sind, die nur zur Freude derer bestehn, die sich einen Herd geschaffen haben. Sie nippten an ihren mit Wein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/387>, abgerufen am 22.07.2024.