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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Illustrator angeboten habe und zurückgewiesen worden sei. Jetzt ist die Gemeinde
Thackerays in England, obgleich seine Schriften nur dem Höhergebildeten zu¬
gänglich sind, eine mindestens ebenso große.

Dasselbe abwägende Urteil, das Thackeray in seiner Auffassung vom
Menschen trug, findet sich in seinen politischen Meinungen wieder, und auch
hier springt ein Goethischer Zug in die Augen. Er ist gleichgiltig, aber tolerant.
"Ich sehe die Wahrheit auf beiden Seiten, auf der konservativen Seite des
Hauses wie unter den Radikalen, ja selbst auf den Bänken der Minister. Ich
sehe sie in diesem Manne, der laut Parlamentsakte seinem Gott dient und mit
einer seidnen Schärpe und fünftausend Pfund per Jahr belohnt wird; in jenem,
der, von der unerbittlichen Logik seines Bekenntnisses getrieben, alles auf¬
gibt -- Freunde, Ruhm, die teuersten Bande, die liebgewordensten Eitelkeiten,
die Achtung einer Armee von Kirchenmännern, die anerkannte Stellung eines
Führers, und wahrheitsbezwungeu zu dem Feinde übergeht, in dessen Reihen
er fürderhin als ein namenloser Söldner dienen wird."

Er weiß wohl, daß ihm solche Haltung als Skeptizismus ausgelegt wird,
aber "es scheint mir, daß mein Skeptizismus achtungsvoll und bescheidner
ist als der revolutionäre Ungestüm andrer Leute. Mancher Patriot von achtzehn
Jahren, maucher junge Redner eines Studentenklubs möchte die Bischöfe morgen
aus dem Hause der Lords jagen und den Thron den Pairs und der Bischofs¬
bank in die Themse nachwerfen. Ist dieser Mann bescheidner als ich, der ich
die Dinge nehme, wie ich sie finde, und es der Zeit überlasse, sie zu entwickeln,
zu fördern oder zu verderben?"

Und wieder: "Ich bin nicht Moses. Ich habe keine Gesetze vom Himmel,
um sie dem Volke vom Berge herunter zu holen. Ich gehöre überhaupt nicht
zum Berge, noch gab ich mich dafür aus, ein Leiter und Reformer der Mensch¬
heit zu sein." Dazu sei sein Glaube nicht groß genug, noch seine Eitelkeit.

Und ein geradezu josephinisches Toleranzbekenntnis legt er in den folgenden
Worten ab: "Möchtest du, daß alle Vögel des Waldes mit einer Stimme
sängen und mit einer Feder flögen? Du nennst mich einen Skeptiker, weil ich
das anerkenne, was ist, und ich sage, daß das Studium und die Anerkennung
jener Verschiedenartigkeit unter den Menschen unsern Respekt und unsre Be¬
wunderung vermehrt für den Schöpfer, Lenker und Leiter aller dieser Geister,
so verschieden und doch so eins -- in einer gemeinsamen Anbetung zuvor¬
kommend und jeder nach seinem Grade und seinen Mitteln -- jeder sozusagen,
um beim Tropus zu bleiben, seine eigne Melodie pfeifend."

Alle diese Melodien, alle Stimmungen, in denen der menschliche Geist
denkt, glaubt und empfindet, klingen in seinen Werken wieder; er hatte sie alle
nötig. Er empfindet neben der Großartigkeit der christlich-asketischen Welt¬
anschauung die heitere Sinnlichkeit des Hellenismus, neben der schwärmerischen
Tiefe des Judaismus die klare Durchsichtigkeit der griechischen Philosophie,
neben der Mystik eines Jakob Böhme die Skepsis eines Rabelais. So erscheint


Thackemy

Illustrator angeboten habe und zurückgewiesen worden sei. Jetzt ist die Gemeinde
Thackerays in England, obgleich seine Schriften nur dem Höhergebildeten zu¬
gänglich sind, eine mindestens ebenso große.

Dasselbe abwägende Urteil, das Thackeray in seiner Auffassung vom
Menschen trug, findet sich in seinen politischen Meinungen wieder, und auch
hier springt ein Goethischer Zug in die Augen. Er ist gleichgiltig, aber tolerant.
„Ich sehe die Wahrheit auf beiden Seiten, auf der konservativen Seite des
Hauses wie unter den Radikalen, ja selbst auf den Bänken der Minister. Ich
sehe sie in diesem Manne, der laut Parlamentsakte seinem Gott dient und mit
einer seidnen Schärpe und fünftausend Pfund per Jahr belohnt wird; in jenem,
der, von der unerbittlichen Logik seines Bekenntnisses getrieben, alles auf¬
gibt — Freunde, Ruhm, die teuersten Bande, die liebgewordensten Eitelkeiten,
die Achtung einer Armee von Kirchenmännern, die anerkannte Stellung eines
Führers, und wahrheitsbezwungeu zu dem Feinde übergeht, in dessen Reihen
er fürderhin als ein namenloser Söldner dienen wird."

Er weiß wohl, daß ihm solche Haltung als Skeptizismus ausgelegt wird,
aber „es scheint mir, daß mein Skeptizismus achtungsvoll und bescheidner
ist als der revolutionäre Ungestüm andrer Leute. Mancher Patriot von achtzehn
Jahren, maucher junge Redner eines Studentenklubs möchte die Bischöfe morgen
aus dem Hause der Lords jagen und den Thron den Pairs und der Bischofs¬
bank in die Themse nachwerfen. Ist dieser Mann bescheidner als ich, der ich
die Dinge nehme, wie ich sie finde, und es der Zeit überlasse, sie zu entwickeln,
zu fördern oder zu verderben?"

Und wieder: „Ich bin nicht Moses. Ich habe keine Gesetze vom Himmel,
um sie dem Volke vom Berge herunter zu holen. Ich gehöre überhaupt nicht
zum Berge, noch gab ich mich dafür aus, ein Leiter und Reformer der Mensch¬
heit zu sein." Dazu sei sein Glaube nicht groß genug, noch seine Eitelkeit.

Und ein geradezu josephinisches Toleranzbekenntnis legt er in den folgenden
Worten ab: „Möchtest du, daß alle Vögel des Waldes mit einer Stimme
sängen und mit einer Feder flögen? Du nennst mich einen Skeptiker, weil ich
das anerkenne, was ist, und ich sage, daß das Studium und die Anerkennung
jener Verschiedenartigkeit unter den Menschen unsern Respekt und unsre Be¬
wunderung vermehrt für den Schöpfer, Lenker und Leiter aller dieser Geister,
so verschieden und doch so eins — in einer gemeinsamen Anbetung zuvor¬
kommend und jeder nach seinem Grade und seinen Mitteln — jeder sozusagen,
um beim Tropus zu bleiben, seine eigne Melodie pfeifend."

Alle diese Melodien, alle Stimmungen, in denen der menschliche Geist
denkt, glaubt und empfindet, klingen in seinen Werken wieder; er hatte sie alle
nötig. Er empfindet neben der Großartigkeit der christlich-asketischen Welt¬
anschauung die heitere Sinnlichkeit des Hellenismus, neben der schwärmerischen
Tiefe des Judaismus die klare Durchsichtigkeit der griechischen Philosophie,
neben der Mystik eines Jakob Böhme die Skepsis eines Rabelais. So erscheint


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[0383] Thackemy Illustrator angeboten habe und zurückgewiesen worden sei. Jetzt ist die Gemeinde Thackerays in England, obgleich seine Schriften nur dem Höhergebildeten zu¬ gänglich sind, eine mindestens ebenso große. Dasselbe abwägende Urteil, das Thackeray in seiner Auffassung vom Menschen trug, findet sich in seinen politischen Meinungen wieder, und auch hier springt ein Goethischer Zug in die Augen. Er ist gleichgiltig, aber tolerant. „Ich sehe die Wahrheit auf beiden Seiten, auf der konservativen Seite des Hauses wie unter den Radikalen, ja selbst auf den Bänken der Minister. Ich sehe sie in diesem Manne, der laut Parlamentsakte seinem Gott dient und mit einer seidnen Schärpe und fünftausend Pfund per Jahr belohnt wird; in jenem, der, von der unerbittlichen Logik seines Bekenntnisses getrieben, alles auf¬ gibt — Freunde, Ruhm, die teuersten Bande, die liebgewordensten Eitelkeiten, die Achtung einer Armee von Kirchenmännern, die anerkannte Stellung eines Führers, und wahrheitsbezwungeu zu dem Feinde übergeht, in dessen Reihen er fürderhin als ein namenloser Söldner dienen wird." Er weiß wohl, daß ihm solche Haltung als Skeptizismus ausgelegt wird, aber „es scheint mir, daß mein Skeptizismus achtungsvoll und bescheidner ist als der revolutionäre Ungestüm andrer Leute. Mancher Patriot von achtzehn Jahren, maucher junge Redner eines Studentenklubs möchte die Bischöfe morgen aus dem Hause der Lords jagen und den Thron den Pairs und der Bischofs¬ bank in die Themse nachwerfen. Ist dieser Mann bescheidner als ich, der ich die Dinge nehme, wie ich sie finde, und es der Zeit überlasse, sie zu entwickeln, zu fördern oder zu verderben?" Und wieder: „Ich bin nicht Moses. Ich habe keine Gesetze vom Himmel, um sie dem Volke vom Berge herunter zu holen. Ich gehöre überhaupt nicht zum Berge, noch gab ich mich dafür aus, ein Leiter und Reformer der Mensch¬ heit zu sein." Dazu sei sein Glaube nicht groß genug, noch seine Eitelkeit. Und ein geradezu josephinisches Toleranzbekenntnis legt er in den folgenden Worten ab: „Möchtest du, daß alle Vögel des Waldes mit einer Stimme sängen und mit einer Feder flögen? Du nennst mich einen Skeptiker, weil ich das anerkenne, was ist, und ich sage, daß das Studium und die Anerkennung jener Verschiedenartigkeit unter den Menschen unsern Respekt und unsre Be¬ wunderung vermehrt für den Schöpfer, Lenker und Leiter aller dieser Geister, so verschieden und doch so eins — in einer gemeinsamen Anbetung zuvor¬ kommend und jeder nach seinem Grade und seinen Mitteln — jeder sozusagen, um beim Tropus zu bleiben, seine eigne Melodie pfeifend." Alle diese Melodien, alle Stimmungen, in denen der menschliche Geist denkt, glaubt und empfindet, klingen in seinen Werken wieder; er hatte sie alle nötig. Er empfindet neben der Großartigkeit der christlich-asketischen Welt¬ anschauung die heitere Sinnlichkeit des Hellenismus, neben der schwärmerischen Tiefe des Judaismus die klare Durchsichtigkeit der griechischen Philosophie, neben der Mystik eines Jakob Böhme die Skepsis eines Rabelais. So erscheint

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/383>, abgerufen am 22.07.2024.