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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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so gibt es dazwischen doch noch zwei große Gebiete, wo er äußerlich noch auf
der Höhe und in der Fülle seiner Macht steht, Rumänien und Ungarn.

Beide Länder sind noch das Paradies des Großgrundbesitzes, ebenso wie
-- als Korrelat dazu -- die Hölle des Bauerntums. In Rumänien hat das
der jüngste blutige Bauernaufstand gezeigt, dessen wahre Ursachen nur zu wenig
bekannt geworden sind. Zunächst ist es sehr bezeichnend, daß der Aufstand ge¬
rade in der Moldau zum heftigsten Ausbruch kam, während er in der Walachei
nur künstlich geschürt wurde; denn gerade die Moldau erfreute sich zur Zeit
ihrer höchste" Blüte im sechzehnten Jahrhundert, unter Stephan dem Großen,
eines freien und starken Bauernstandes, ja sie verdankte diesem erst ihre Macht.
In der Walachei dagegen herrschten damals schon die Bojaren als Vasallen
der Türken oder ihrer byzantinisch-fanariotischeu Statthalter, die dort ihre Lehns¬
güter (Timare) hatten und dnrch Verschwägerungen mit den einheimischen
Bojaren großen Einfluß erlangten und das Land aussogen. Hier fanden des¬
halb schon bald Auskaufungen verarmter Dorfgemeinden durch große und kleine
Bojaren statt, während in der Moldau der lauflustiger Großen weniger waren,
die einheimischen Grundbesitzer aber mehr Großmut und weniger Habsucht zeigten.
Wenn dennoch hier die bäuerlichen Kleingüter binnen wenigen Jahren ausgesogen
wurden und die wenigen großen Bojaren den größten Teil des Bodens an sich
brachten, so geschah dies nicht gewaltsam, sondern unmerklich, ohne daß man
sagen könnte, wie.^) So sanken allmählich die moldauischen Bauern auf die
Stufe der walachischen herab, das heißt, sie wurden zu Leibeignen. Schon im
siebzehnten Jahrhundert erhielt ein moldauischer Bojar von einem walachischen
Fürsten die Erlaubnis, die Leibeignen seiner in der Moldau liegenden Güter
überallhin zu verfolgen. Auch nachdem ein solcher von Haus und Hof verjagt
worden war, blieb er steuerpflichtig, und es blieb ihm nichts übrig, als sich dem
Bojaren "mit Leib und Seele" zu verkaufen, womit er seine Menschenrechte ver¬
loren hatte. Da nun der Bauer seinem Herrn noch den Zehnten zahlte, den früher
der Fürst bezog, der Herr selbst aber höchstens einen Zehnten von seinem Vieh¬
bestand als Steuer zahlte, so begreift man die fast unumschränkte Stellung der
Bojaren sowohl dem Bauern wie dem Fürsten gegenüber. Der Bauer war an
die Scholle gebunden, konnte von ihr zwar nicht vertrieben, wohl aber mit ihr
verkauft werden. War er entflohen, so konnte er, wie aus noch erhaltnen Urkunden
hervorgeht, zu seinem ursprünglichen Herrn wieder zurückgebracht werden. Die
Bojarenfamilicn wuchsen nun zu einer gewaltigen Macht, besonders wieder in
der Walachei, wo jeder über unzählige Dörfer herrscht und ein ganzes Heer
von Bauern befehligt. Noch der jetzige rumäuische Ministerpräsident Cantacuziuo
besitzt Nicht weniger als 32 Dörfer und 12 Gebirge, die ihm jährlich drei



Vgl. N. Jorga, Geschichte des rumänischen Volkes, Gotha 1905, Band 2, S, 85,
Diesem sowie H, Grothe, Zur Landeskunde von Rumänien, Halle 1907, schließe ich mich auch
im folgenden an.

so gibt es dazwischen doch noch zwei große Gebiete, wo er äußerlich noch auf
der Höhe und in der Fülle seiner Macht steht, Rumänien und Ungarn.

Beide Länder sind noch das Paradies des Großgrundbesitzes, ebenso wie
— als Korrelat dazu — die Hölle des Bauerntums. In Rumänien hat das
der jüngste blutige Bauernaufstand gezeigt, dessen wahre Ursachen nur zu wenig
bekannt geworden sind. Zunächst ist es sehr bezeichnend, daß der Aufstand ge¬
rade in der Moldau zum heftigsten Ausbruch kam, während er in der Walachei
nur künstlich geschürt wurde; denn gerade die Moldau erfreute sich zur Zeit
ihrer höchste» Blüte im sechzehnten Jahrhundert, unter Stephan dem Großen,
eines freien und starken Bauernstandes, ja sie verdankte diesem erst ihre Macht.
In der Walachei dagegen herrschten damals schon die Bojaren als Vasallen
der Türken oder ihrer byzantinisch-fanariotischeu Statthalter, die dort ihre Lehns¬
güter (Timare) hatten und dnrch Verschwägerungen mit den einheimischen
Bojaren großen Einfluß erlangten und das Land aussogen. Hier fanden des¬
halb schon bald Auskaufungen verarmter Dorfgemeinden durch große und kleine
Bojaren statt, während in der Moldau der lauflustiger Großen weniger waren,
die einheimischen Grundbesitzer aber mehr Großmut und weniger Habsucht zeigten.
Wenn dennoch hier die bäuerlichen Kleingüter binnen wenigen Jahren ausgesogen
wurden und die wenigen großen Bojaren den größten Teil des Bodens an sich
brachten, so geschah dies nicht gewaltsam, sondern unmerklich, ohne daß man
sagen könnte, wie.^) So sanken allmählich die moldauischen Bauern auf die
Stufe der walachischen herab, das heißt, sie wurden zu Leibeignen. Schon im
siebzehnten Jahrhundert erhielt ein moldauischer Bojar von einem walachischen
Fürsten die Erlaubnis, die Leibeignen seiner in der Moldau liegenden Güter
überallhin zu verfolgen. Auch nachdem ein solcher von Haus und Hof verjagt
worden war, blieb er steuerpflichtig, und es blieb ihm nichts übrig, als sich dem
Bojaren „mit Leib und Seele" zu verkaufen, womit er seine Menschenrechte ver¬
loren hatte. Da nun der Bauer seinem Herrn noch den Zehnten zahlte, den früher
der Fürst bezog, der Herr selbst aber höchstens einen Zehnten von seinem Vieh¬
bestand als Steuer zahlte, so begreift man die fast unumschränkte Stellung der
Bojaren sowohl dem Bauern wie dem Fürsten gegenüber. Der Bauer war an
die Scholle gebunden, konnte von ihr zwar nicht vertrieben, wohl aber mit ihr
verkauft werden. War er entflohen, so konnte er, wie aus noch erhaltnen Urkunden
hervorgeht, zu seinem ursprünglichen Herrn wieder zurückgebracht werden. Die
Bojarenfamilicn wuchsen nun zu einer gewaltigen Macht, besonders wieder in
der Walachei, wo jeder über unzählige Dörfer herrscht und ein ganzes Heer
von Bauern befehligt. Noch der jetzige rumäuische Ministerpräsident Cantacuziuo
besitzt Nicht weniger als 32 Dörfer und 12 Gebirge, die ihm jährlich drei



Vgl. N. Jorga, Geschichte des rumänischen Volkes, Gotha 1905, Band 2, S, 85,
Diesem sowie H, Grothe, Zur Landeskunde von Rumänien, Halle 1907, schließe ich mich auch
im folgenden an.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/370>, abgerufen am 22.07.2024.