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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Adel und Lauern in Osteuropa

ist, den Bauernstand vor dem um sich greifenden Großgrundbesitzertum zu be¬
schützen. Dreimal erfolgten kräftige Aktionen in dieser Richtung, zuerst unter
Leo dem Armenier im achten Jahrhundert, dann unter Romanos Lakapenos
im zehnten und Basilios dem Zweiten im elften Jahrhundert. Die erste war
mehr positiver Art, auf die Befreiung des Bauernstandes gerichtet, die zweite
und die dritte mehr negativ, auf die Einschränkung des Großgrundbesitzes
bedacht.

Das Ackergesetz Kaiser Leos kann als eine Art Bauernrecht bezeichnet
werden; seine wichtigsten Bestimmungen sind Aufhebung des Patronats und
Gewährung voller Freizügigkeit sowie gemeinsamer Anteil sämtlicher Gemeinde¬
glieder an der Gemeindeflur, also eine Art Kommunismus, der sich wahrschein¬
lich aus dem Prinzip des Steuerzuschlags entwickelt hat, indem jeder, der für
die Steuer der ganzen Gemeindeflur haftbar ist, auch ein Recht ans Besitzanteil
daran hat, eine Bestimmung, die ebenfalls in das slawische Recht übergegangen
und dort noch in Geltung ist. Aus der Lockerung des Verhältnisses zwischen
Bauer und Grundherr ergab sich weiter die Scheidung der Bauern in sogenannte
Halbbauern und Zehntbauern; jene traten an die Stelle der alten Kolonen,
diese an die der adsorixtitii; jene sind ganz unabhängig und übernehmen nnr
gegen Überlassung der Hälfte des Ertrages die Bestellung der Felder eines
andern mit, wobei sie sich in der Regel nur auf ein Jahr verpflichten; diese
dagegen hatten außer einem Zehnten an den Grundherrn auch noch den auf
ihn fallenden Anteil der Abgaben zu entrichten, wofür sie von zehn Garben
neun zu beanspruchen hatten, der Grundherr dagegen nur eine. "Wer anders
teilt, fügt das Gesetz hinzu, sei Gott verflucht."

Es ist wichtig, zu wissen, daß sich diese auf der Agrarreform des achten
Jahrhunderts beruhenden Verhältnisse in der Türkei, zumal in Kleinasien, und
in den Landschaften von Griechenland, wo noch der Großgrundbesitz herrscht,
das heißt Thessalien, Mittelgriechenland und Euböa, bis heute nicht nur er¬
halten haben, sondern sogar die fast allgemein herrschenden sind,*) und zwar
gilt das mehr von dem ein freies Verhältnis voraussetzenden Teilbausystem als
von dem des Zehntners. Kulturgeschichtlich interessant sind die Bezeichnungen
des Teilbauern im heutigen Griechisch: in den östlichen Gebieten, in Thessalien,
Attika und dem Archipel heißt er Kolliga, was das lateinische oollöAg. mit neu¬
griechischer Aussprache ist; im Westen dagegen, in Epirus, auf den Ionischen
Inseln und im Peloponnes nennt man ihn mit einem slawischen Worte Sembros
oder Sebros, das eigentlich "Hälftner" bedeutet und so auch noch in Nord¬
griechenland gebraucht wird von Bauern, deren jeder nur einen Ochsen hat und
diesen mit dem des andern zu einem Gespann vereinigt.



*) Für die Türkei vgl. Arslanian, Das System des ländlichen Grundeigentums im
osmanischen Reiche, Leipzig 1888, S. 49 ff., für Griechenland: Deccrsos, Die Landwirtschaft
im heutigen Griechenland, Leipzig 1904.
Adel und Lauern in Osteuropa

ist, den Bauernstand vor dem um sich greifenden Großgrundbesitzertum zu be¬
schützen. Dreimal erfolgten kräftige Aktionen in dieser Richtung, zuerst unter
Leo dem Armenier im achten Jahrhundert, dann unter Romanos Lakapenos
im zehnten und Basilios dem Zweiten im elften Jahrhundert. Die erste war
mehr positiver Art, auf die Befreiung des Bauernstandes gerichtet, die zweite
und die dritte mehr negativ, auf die Einschränkung des Großgrundbesitzes
bedacht.

Das Ackergesetz Kaiser Leos kann als eine Art Bauernrecht bezeichnet
werden; seine wichtigsten Bestimmungen sind Aufhebung des Patronats und
Gewährung voller Freizügigkeit sowie gemeinsamer Anteil sämtlicher Gemeinde¬
glieder an der Gemeindeflur, also eine Art Kommunismus, der sich wahrschein¬
lich aus dem Prinzip des Steuerzuschlags entwickelt hat, indem jeder, der für
die Steuer der ganzen Gemeindeflur haftbar ist, auch ein Recht ans Besitzanteil
daran hat, eine Bestimmung, die ebenfalls in das slawische Recht übergegangen
und dort noch in Geltung ist. Aus der Lockerung des Verhältnisses zwischen
Bauer und Grundherr ergab sich weiter die Scheidung der Bauern in sogenannte
Halbbauern und Zehntbauern; jene traten an die Stelle der alten Kolonen,
diese an die der adsorixtitii; jene sind ganz unabhängig und übernehmen nnr
gegen Überlassung der Hälfte des Ertrages die Bestellung der Felder eines
andern mit, wobei sie sich in der Regel nur auf ein Jahr verpflichten; diese
dagegen hatten außer einem Zehnten an den Grundherrn auch noch den auf
ihn fallenden Anteil der Abgaben zu entrichten, wofür sie von zehn Garben
neun zu beanspruchen hatten, der Grundherr dagegen nur eine. „Wer anders
teilt, fügt das Gesetz hinzu, sei Gott verflucht."

Es ist wichtig, zu wissen, daß sich diese auf der Agrarreform des achten
Jahrhunderts beruhenden Verhältnisse in der Türkei, zumal in Kleinasien, und
in den Landschaften von Griechenland, wo noch der Großgrundbesitz herrscht,
das heißt Thessalien, Mittelgriechenland und Euböa, bis heute nicht nur er¬
halten haben, sondern sogar die fast allgemein herrschenden sind,*) und zwar
gilt das mehr von dem ein freies Verhältnis voraussetzenden Teilbausystem als
von dem des Zehntners. Kulturgeschichtlich interessant sind die Bezeichnungen
des Teilbauern im heutigen Griechisch: in den östlichen Gebieten, in Thessalien,
Attika und dem Archipel heißt er Kolliga, was das lateinische oollöAg. mit neu¬
griechischer Aussprache ist; im Westen dagegen, in Epirus, auf den Ionischen
Inseln und im Peloponnes nennt man ihn mit einem slawischen Worte Sembros
oder Sebros, das eigentlich „Hälftner" bedeutet und so auch noch in Nord¬
griechenland gebraucht wird von Bauern, deren jeder nur einen Ochsen hat und
diesen mit dem des andern zu einem Gespann vereinigt.



*) Für die Türkei vgl. Arslanian, Das System des ländlichen Grundeigentums im
osmanischen Reiche, Leipzig 1888, S. 49 ff., für Griechenland: Deccrsos, Die Landwirtschaft
im heutigen Griechenland, Leipzig 1904.
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[0364] Adel und Lauern in Osteuropa ist, den Bauernstand vor dem um sich greifenden Großgrundbesitzertum zu be¬ schützen. Dreimal erfolgten kräftige Aktionen in dieser Richtung, zuerst unter Leo dem Armenier im achten Jahrhundert, dann unter Romanos Lakapenos im zehnten und Basilios dem Zweiten im elften Jahrhundert. Die erste war mehr positiver Art, auf die Befreiung des Bauernstandes gerichtet, die zweite und die dritte mehr negativ, auf die Einschränkung des Großgrundbesitzes bedacht. Das Ackergesetz Kaiser Leos kann als eine Art Bauernrecht bezeichnet werden; seine wichtigsten Bestimmungen sind Aufhebung des Patronats und Gewährung voller Freizügigkeit sowie gemeinsamer Anteil sämtlicher Gemeinde¬ glieder an der Gemeindeflur, also eine Art Kommunismus, der sich wahrschein¬ lich aus dem Prinzip des Steuerzuschlags entwickelt hat, indem jeder, der für die Steuer der ganzen Gemeindeflur haftbar ist, auch ein Recht ans Besitzanteil daran hat, eine Bestimmung, die ebenfalls in das slawische Recht übergegangen und dort noch in Geltung ist. Aus der Lockerung des Verhältnisses zwischen Bauer und Grundherr ergab sich weiter die Scheidung der Bauern in sogenannte Halbbauern und Zehntbauern; jene traten an die Stelle der alten Kolonen, diese an die der adsorixtitii; jene sind ganz unabhängig und übernehmen nnr gegen Überlassung der Hälfte des Ertrages die Bestellung der Felder eines andern mit, wobei sie sich in der Regel nur auf ein Jahr verpflichten; diese dagegen hatten außer einem Zehnten an den Grundherrn auch noch den auf ihn fallenden Anteil der Abgaben zu entrichten, wofür sie von zehn Garben neun zu beanspruchen hatten, der Grundherr dagegen nur eine. „Wer anders teilt, fügt das Gesetz hinzu, sei Gott verflucht." Es ist wichtig, zu wissen, daß sich diese auf der Agrarreform des achten Jahrhunderts beruhenden Verhältnisse in der Türkei, zumal in Kleinasien, und in den Landschaften von Griechenland, wo noch der Großgrundbesitz herrscht, das heißt Thessalien, Mittelgriechenland und Euböa, bis heute nicht nur er¬ halten haben, sondern sogar die fast allgemein herrschenden sind,*) und zwar gilt das mehr von dem ein freies Verhältnis voraussetzenden Teilbausystem als von dem des Zehntners. Kulturgeschichtlich interessant sind die Bezeichnungen des Teilbauern im heutigen Griechisch: in den östlichen Gebieten, in Thessalien, Attika und dem Archipel heißt er Kolliga, was das lateinische oollöAg. mit neu¬ griechischer Aussprache ist; im Westen dagegen, in Epirus, auf den Ionischen Inseln und im Peloponnes nennt man ihn mit einem slawischen Worte Sembros oder Sebros, das eigentlich „Hälftner" bedeutet und so auch noch in Nord¬ griechenland gebraucht wird von Bauern, deren jeder nur einen Ochsen hat und diesen mit dem des andern zu einem Gespann vereinigt. *) Für die Türkei vgl. Arslanian, Das System des ländlichen Grundeigentums im osmanischen Reiche, Leipzig 1888, S. 49 ff., für Griechenland: Deccrsos, Die Landwirtschaft im heutigen Griechenland, Leipzig 1904.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/364>, abgerufen am 22.07.2024.