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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Granada

wenigstens für den Ausgang der menschlichen Entwicklung von einer der Tier-
heit nahen Stufe aus. Nach Wundt ist die Völkerpsychologie nicht in der
Lage, für eine der beiden Ansichten zu entscheiden; "der Widerstreit der
Meinungen hat in diesem Falle nicht sowohl in den Tatsachen als in sonstigen
"Lari Jentsch allgemeinen Überzeugungen seine Quelle".




Granada
Klara Lincke von 1

er sich mit der Geschichte Spaniens vertraut gemacht hat, den
zieht es mit mächtiger Sehnsucht nach der alten Manrenstadt
am Darro, zu dem stolzen Königsschloß Boabdils, des letzten
Maurenfürsten. Schon durch den Klang des Namens übt die
Alhambra einen unnennbaren Zauber auf uns aus, und gleichsam
mit heiligen Schauern betritt mau deu Boden, auf dem eine über¬
wältigende Fülle historischer Erinnerungen zu uns spricht, und eins der köstlichsten
Architekturdenkmäler aller Zeiten uns den Geist und den Sinn einer Nation ver¬
gegenwärtigt, die eine überaus wichtige Rolle in der Geschichte des europüischeu
Mittelalters gespielt hat. Die Natur bildet einen herrlichen Nahmen für die
alte Pracht. Üppige, südländische Vegetation schmiegt sich un? die Alhambra-
hügel, die fast tropische Sonnenglut wird durch nie versiegende, murmelnde
Quellen gemildert, und neben Palmen, Lorbeer und Granate gedeihen Ulme,
Eiche und zahlreiche Baumarten des deutschen Waldes. Den erquickendsten
Anblick gewährt uns die Sierra Nevada, die, das südlichste Schneegebirge
Europas, ihren Hermelinmantel immer auf den Schultern behält und stets er¬
frischenden Hauch herniedersendet. Der Gipfel ist 3480 Meter hoch, er schaut auf
die Vega von Granada herab, wo der Ölbaum wie die Weinrebe reiche Ernten
spenden, Weizen, Roggen und Gerste gedeihen, und wo es vorzügliche Alpen¬
weide noch bis zu 2200 Meter Höhe gibt. Die Mauren hatten durch kunst¬
reiche Bewässerungsanlagen diese Vega zu einem wahren Paradies gemacht,
das für den fruchtbarsten und reichsten Landstrich der Erde galt. Ein großer
Teil dieser Kanäle ist noch heute erhalten und läßt uns diese Ebene sowie die
Umgebung des Zauberschlosses als eine Oase erscheinen, die in ihrer lachenden
Schönheit auf den Fremden einen geradezu überwältigenden Eindruck macht,
nachdem er sich durch den landschaftlichen Charakter Andalusiens enttäuscht
gesehen hat. Denn es ist zum größten Teil ödes, unfruchtbares Land, wo
unter der Tyrannei der Sonne im Sommer alles Leben erstirbt.

Schon bei der Wanderung durch die Stadt versinken die Jahrhunderte vor
unserm geistigen Auge, und die Erinnerung an die Blütezeit maurischer Kultur
steigt vor uns herauf. Ist hier auch durch die christlichen Eroberer, Jsabella
die Katholische und Ferdinand, mit einem wahren Wandalismus gewütet geworden,
sodaß wenig Kunstdenkmäler jener glorreichen Zeit erhalten sind, so hat doch die
Stadt mit ihrem Gewirr enger und regellos gefügter Straßen den echt arabischen
Charakter bewahrt. Granada hatte ja auch am längsten Widerstand geleistet,


Granada

wenigstens für den Ausgang der menschlichen Entwicklung von einer der Tier-
heit nahen Stufe aus. Nach Wundt ist die Völkerpsychologie nicht in der
Lage, für eine der beiden Ansichten zu entscheiden; „der Widerstreit der
Meinungen hat in diesem Falle nicht sowohl in den Tatsachen als in sonstigen
«Lari Jentsch allgemeinen Überzeugungen seine Quelle".




Granada
Klara Lincke von 1

er sich mit der Geschichte Spaniens vertraut gemacht hat, den
zieht es mit mächtiger Sehnsucht nach der alten Manrenstadt
am Darro, zu dem stolzen Königsschloß Boabdils, des letzten
Maurenfürsten. Schon durch den Klang des Namens übt die
Alhambra einen unnennbaren Zauber auf uns aus, und gleichsam
mit heiligen Schauern betritt mau deu Boden, auf dem eine über¬
wältigende Fülle historischer Erinnerungen zu uns spricht, und eins der köstlichsten
Architekturdenkmäler aller Zeiten uns den Geist und den Sinn einer Nation ver¬
gegenwärtigt, die eine überaus wichtige Rolle in der Geschichte des europüischeu
Mittelalters gespielt hat. Die Natur bildet einen herrlichen Nahmen für die
alte Pracht. Üppige, südländische Vegetation schmiegt sich un? die Alhambra-
hügel, die fast tropische Sonnenglut wird durch nie versiegende, murmelnde
Quellen gemildert, und neben Palmen, Lorbeer und Granate gedeihen Ulme,
Eiche und zahlreiche Baumarten des deutschen Waldes. Den erquickendsten
Anblick gewährt uns die Sierra Nevada, die, das südlichste Schneegebirge
Europas, ihren Hermelinmantel immer auf den Schultern behält und stets er¬
frischenden Hauch herniedersendet. Der Gipfel ist 3480 Meter hoch, er schaut auf
die Vega von Granada herab, wo der Ölbaum wie die Weinrebe reiche Ernten
spenden, Weizen, Roggen und Gerste gedeihen, und wo es vorzügliche Alpen¬
weide noch bis zu 2200 Meter Höhe gibt. Die Mauren hatten durch kunst¬
reiche Bewässerungsanlagen diese Vega zu einem wahren Paradies gemacht,
das für den fruchtbarsten und reichsten Landstrich der Erde galt. Ein großer
Teil dieser Kanäle ist noch heute erhalten und läßt uns diese Ebene sowie die
Umgebung des Zauberschlosses als eine Oase erscheinen, die in ihrer lachenden
Schönheit auf den Fremden einen geradezu überwältigenden Eindruck macht,
nachdem er sich durch den landschaftlichen Charakter Andalusiens enttäuscht
gesehen hat. Denn es ist zum größten Teil ödes, unfruchtbares Land, wo
unter der Tyrannei der Sonne im Sommer alles Leben erstirbt.

Schon bei der Wanderung durch die Stadt versinken die Jahrhunderte vor
unserm geistigen Auge, und die Erinnerung an die Blütezeit maurischer Kultur
steigt vor uns herauf. Ist hier auch durch die christlichen Eroberer, Jsabella
die Katholische und Ferdinand, mit einem wahren Wandalismus gewütet geworden,
sodaß wenig Kunstdenkmäler jener glorreichen Zeit erhalten sind, so hat doch die
Stadt mit ihrem Gewirr enger und regellos gefügter Straßen den echt arabischen
Charakter bewahrt. Granada hatte ja auch am längsten Widerstand geleistet,


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[0338] Granada wenigstens für den Ausgang der menschlichen Entwicklung von einer der Tier- heit nahen Stufe aus. Nach Wundt ist die Völkerpsychologie nicht in der Lage, für eine der beiden Ansichten zu entscheiden; „der Widerstreit der Meinungen hat in diesem Falle nicht sowohl in den Tatsachen als in sonstigen «Lari Jentsch allgemeinen Überzeugungen seine Quelle". Granada Klara Lincke von 1 er sich mit der Geschichte Spaniens vertraut gemacht hat, den zieht es mit mächtiger Sehnsucht nach der alten Manrenstadt am Darro, zu dem stolzen Königsschloß Boabdils, des letzten Maurenfürsten. Schon durch den Klang des Namens übt die Alhambra einen unnennbaren Zauber auf uns aus, und gleichsam mit heiligen Schauern betritt mau deu Boden, auf dem eine über¬ wältigende Fülle historischer Erinnerungen zu uns spricht, und eins der köstlichsten Architekturdenkmäler aller Zeiten uns den Geist und den Sinn einer Nation ver¬ gegenwärtigt, die eine überaus wichtige Rolle in der Geschichte des europüischeu Mittelalters gespielt hat. Die Natur bildet einen herrlichen Nahmen für die alte Pracht. Üppige, südländische Vegetation schmiegt sich un? die Alhambra- hügel, die fast tropische Sonnenglut wird durch nie versiegende, murmelnde Quellen gemildert, und neben Palmen, Lorbeer und Granate gedeihen Ulme, Eiche und zahlreiche Baumarten des deutschen Waldes. Den erquickendsten Anblick gewährt uns die Sierra Nevada, die, das südlichste Schneegebirge Europas, ihren Hermelinmantel immer auf den Schultern behält und stets er¬ frischenden Hauch herniedersendet. Der Gipfel ist 3480 Meter hoch, er schaut auf die Vega von Granada herab, wo der Ölbaum wie die Weinrebe reiche Ernten spenden, Weizen, Roggen und Gerste gedeihen, und wo es vorzügliche Alpen¬ weide noch bis zu 2200 Meter Höhe gibt. Die Mauren hatten durch kunst¬ reiche Bewässerungsanlagen diese Vega zu einem wahren Paradies gemacht, das für den fruchtbarsten und reichsten Landstrich der Erde galt. Ein großer Teil dieser Kanäle ist noch heute erhalten und läßt uns diese Ebene sowie die Umgebung des Zauberschlosses als eine Oase erscheinen, die in ihrer lachenden Schönheit auf den Fremden einen geradezu überwältigenden Eindruck macht, nachdem er sich durch den landschaftlichen Charakter Andalusiens enttäuscht gesehen hat. Denn es ist zum größten Teil ödes, unfruchtbares Land, wo unter der Tyrannei der Sonne im Sommer alles Leben erstirbt. Schon bei der Wanderung durch die Stadt versinken die Jahrhunderte vor unserm geistigen Auge, und die Erinnerung an die Blütezeit maurischer Kultur steigt vor uns herauf. Ist hier auch durch die christlichen Eroberer, Jsabella die Katholische und Ferdinand, mit einem wahren Wandalismus gewütet geworden, sodaß wenig Kunstdenkmäler jener glorreichen Zeit erhalten sind, so hat doch die Stadt mit ihrem Gewirr enger und regellos gefügter Straßen den echt arabischen Charakter bewahrt. Granada hatte ja auch am längsten Widerstand geleistet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/338>, abgerufen am 22.07.2024.