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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands

einander 2,3 bis 3,5 Kilometer entfernt; er besteht aus acht Werken. Diese
wurden 1879 bis 1880 provisorisch erbaut, 1883 bis 1885 permaniert und
weisen mit Ausnahme der Werke VI und VII (Boreel und Wanowsky) denselben
Typ auf: Lünettform mit einfachem, reich traversiertem Wall für Geschütze,
granatsichern Kasematten, Kofferflankierung und Kontereskarpemauern, un¬
gedecktes Mauerwerk, schwache, aus einer einfachen Mauer mit Geschützkoffer
bestehende Kehle.

Die beiden genannten Werke an der Südwestfront sind ausgebessert und
haben einen Geschützhochwall und einen Niederwall für Infanterie und brisanz¬
bombensichere Decken. In allen Werken sind Minen und Landtorpedos, in den
Fortsintervallen liegen neue, bombensichere Munitionsmagazine und vorbereitete
Geschütziutervalle für Fernkampfbatterien. Der Bahndamm zwischen Werk VI
und VII ist für die Verteidigung eingerichtet. Unterkünfte dürften für 16000 bis
17000 Mann, an Armierung etwa 800 bis 900 ältere und neuere Geschütze
vorhanden sein. Die Festung besitzt ein Festungslazarett, große Artilleriewerk-
stütten, einen Festungseisenbahnpark, eine Fcstungstelegraphenabteilung, Be¬
leuchtungsmittel, viele eiserne Beobachtungsstände, mehrere Ballonabteilungen,
Brieftaubenstationen, Bäckereien, Dampfmühlen und große Vorratsmagazine für
die Besatzung und Feldtruppen.

Die Stärke der Befestigung liegt vor allem in dem ihr vorgelegnen sehr
schwierigen Augriffsgclände; ein förmlicher Gürtel nasser und zum Teil ver¬
sumpfter Niederungen, die vielfach mit Gestrüpp bestanden sind, erschwert die
Annäherung und die Angriffsarbeiten und schließt bei mehrtägigem Regenwetter
einen belagerungsmäßigen Angriff an manchen Punkten für längere Zeit völlig
aus. Außerhalb dieser Niederungen zieht sich auf etwa 7 bis 8 Kilometer von
den Brücken welliges Terrain mit dichter Waldbedeckung. Auf diesen Hügeln
finden sich gute Artilleriestellungen für deu Angreifer, der von hier aus auch
die Unterkunftsräume der Festung unter Feuer nehmen kann. Diese Hügelkette
ist für die Vorpositionen in Aussicht genommen. Bei anhaltend trockner
Witterung verliert die Niederung ihren Hindernischarakter, und dann scheint
angesichts der mindern fortifikatorischer Beschaffenheit der Werke des nahen
Gürtels selbst ein gewaltsamer Angriff nicht ohne Chancen zu sein. In Er¬
kenntnis der Schwächen des Platzes plant die russische Kriegsverwaltung die
Erbauung eines weitern Gürtels, die bombensichere Eindeckung der Unterkünfte
und den Bau einer zweiten Weichselbrücke aufwärts vou der Wieprzmündung.
Jwangorod ist von Warschau etwa 100 Kilometer entfernt, durch eine eingleisige
Bahn und eine Chaussee verbunden, die beide am rechten Weichselufer führen,
geschützt durch den mächtigen Strom. Der Umstand, daß zwischen beiden festen
Plätzen bei Potycz und G. Kalwarya günstige Übergangspunkte liegen, schmälert
die Bedeutung Jwangorods als Stützpunkt der Weichsel einigermaßen und läßt
die Errichtung eines Brückenkopfes bei diesen Übergängen im Kriegsfalle not¬
wendig erscheinen. Günstiger liegt Jwangorod im Hinblick auf die Verteidigung


Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands

einander 2,3 bis 3,5 Kilometer entfernt; er besteht aus acht Werken. Diese
wurden 1879 bis 1880 provisorisch erbaut, 1883 bis 1885 permaniert und
weisen mit Ausnahme der Werke VI und VII (Boreel und Wanowsky) denselben
Typ auf: Lünettform mit einfachem, reich traversiertem Wall für Geschütze,
granatsichern Kasematten, Kofferflankierung und Kontereskarpemauern, un¬
gedecktes Mauerwerk, schwache, aus einer einfachen Mauer mit Geschützkoffer
bestehende Kehle.

Die beiden genannten Werke an der Südwestfront sind ausgebessert und
haben einen Geschützhochwall und einen Niederwall für Infanterie und brisanz¬
bombensichere Decken. In allen Werken sind Minen und Landtorpedos, in den
Fortsintervallen liegen neue, bombensichere Munitionsmagazine und vorbereitete
Geschütziutervalle für Fernkampfbatterien. Der Bahndamm zwischen Werk VI
und VII ist für die Verteidigung eingerichtet. Unterkünfte dürften für 16000 bis
17000 Mann, an Armierung etwa 800 bis 900 ältere und neuere Geschütze
vorhanden sein. Die Festung besitzt ein Festungslazarett, große Artilleriewerk-
stütten, einen Festungseisenbahnpark, eine Fcstungstelegraphenabteilung, Be¬
leuchtungsmittel, viele eiserne Beobachtungsstände, mehrere Ballonabteilungen,
Brieftaubenstationen, Bäckereien, Dampfmühlen und große Vorratsmagazine für
die Besatzung und Feldtruppen.

Die Stärke der Befestigung liegt vor allem in dem ihr vorgelegnen sehr
schwierigen Augriffsgclände; ein förmlicher Gürtel nasser und zum Teil ver¬
sumpfter Niederungen, die vielfach mit Gestrüpp bestanden sind, erschwert die
Annäherung und die Angriffsarbeiten und schließt bei mehrtägigem Regenwetter
einen belagerungsmäßigen Angriff an manchen Punkten für längere Zeit völlig
aus. Außerhalb dieser Niederungen zieht sich auf etwa 7 bis 8 Kilometer von
den Brücken welliges Terrain mit dichter Waldbedeckung. Auf diesen Hügeln
finden sich gute Artilleriestellungen für deu Angreifer, der von hier aus auch
die Unterkunftsräume der Festung unter Feuer nehmen kann. Diese Hügelkette
ist für die Vorpositionen in Aussicht genommen. Bei anhaltend trockner
Witterung verliert die Niederung ihren Hindernischarakter, und dann scheint
angesichts der mindern fortifikatorischer Beschaffenheit der Werke des nahen
Gürtels selbst ein gewaltsamer Angriff nicht ohne Chancen zu sein. In Er¬
kenntnis der Schwächen des Platzes plant die russische Kriegsverwaltung die
Erbauung eines weitern Gürtels, die bombensichere Eindeckung der Unterkünfte
und den Bau einer zweiten Weichselbrücke aufwärts vou der Wieprzmündung.
Jwangorod ist von Warschau etwa 100 Kilometer entfernt, durch eine eingleisige
Bahn und eine Chaussee verbunden, die beide am rechten Weichselufer führen,
geschützt durch den mächtigen Strom. Der Umstand, daß zwischen beiden festen
Plätzen bei Potycz und G. Kalwarya günstige Übergangspunkte liegen, schmälert
die Bedeutung Jwangorods als Stützpunkt der Weichsel einigermaßen und läßt
die Errichtung eines Brückenkopfes bei diesen Übergängen im Kriegsfalle not¬
wendig erscheinen. Günstiger liegt Jwangorod im Hinblick auf die Verteidigung


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[0311] Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands einander 2,3 bis 3,5 Kilometer entfernt; er besteht aus acht Werken. Diese wurden 1879 bis 1880 provisorisch erbaut, 1883 bis 1885 permaniert und weisen mit Ausnahme der Werke VI und VII (Boreel und Wanowsky) denselben Typ auf: Lünettform mit einfachem, reich traversiertem Wall für Geschütze, granatsichern Kasematten, Kofferflankierung und Kontereskarpemauern, un¬ gedecktes Mauerwerk, schwache, aus einer einfachen Mauer mit Geschützkoffer bestehende Kehle. Die beiden genannten Werke an der Südwestfront sind ausgebessert und haben einen Geschützhochwall und einen Niederwall für Infanterie und brisanz¬ bombensichere Decken. In allen Werken sind Minen und Landtorpedos, in den Fortsintervallen liegen neue, bombensichere Munitionsmagazine und vorbereitete Geschütziutervalle für Fernkampfbatterien. Der Bahndamm zwischen Werk VI und VII ist für die Verteidigung eingerichtet. Unterkünfte dürften für 16000 bis 17000 Mann, an Armierung etwa 800 bis 900 ältere und neuere Geschütze vorhanden sein. Die Festung besitzt ein Festungslazarett, große Artilleriewerk- stütten, einen Festungseisenbahnpark, eine Fcstungstelegraphenabteilung, Be¬ leuchtungsmittel, viele eiserne Beobachtungsstände, mehrere Ballonabteilungen, Brieftaubenstationen, Bäckereien, Dampfmühlen und große Vorratsmagazine für die Besatzung und Feldtruppen. Die Stärke der Befestigung liegt vor allem in dem ihr vorgelegnen sehr schwierigen Augriffsgclände; ein förmlicher Gürtel nasser und zum Teil ver¬ sumpfter Niederungen, die vielfach mit Gestrüpp bestanden sind, erschwert die Annäherung und die Angriffsarbeiten und schließt bei mehrtägigem Regenwetter einen belagerungsmäßigen Angriff an manchen Punkten für längere Zeit völlig aus. Außerhalb dieser Niederungen zieht sich auf etwa 7 bis 8 Kilometer von den Brücken welliges Terrain mit dichter Waldbedeckung. Auf diesen Hügeln finden sich gute Artilleriestellungen für deu Angreifer, der von hier aus auch die Unterkunftsräume der Festung unter Feuer nehmen kann. Diese Hügelkette ist für die Vorpositionen in Aussicht genommen. Bei anhaltend trockner Witterung verliert die Niederung ihren Hindernischarakter, und dann scheint angesichts der mindern fortifikatorischer Beschaffenheit der Werke des nahen Gürtels selbst ein gewaltsamer Angriff nicht ohne Chancen zu sein. In Er¬ kenntnis der Schwächen des Platzes plant die russische Kriegsverwaltung die Erbauung eines weitern Gürtels, die bombensichere Eindeckung der Unterkünfte und den Bau einer zweiten Weichselbrücke aufwärts vou der Wieprzmündung. Jwangorod ist von Warschau etwa 100 Kilometer entfernt, durch eine eingleisige Bahn und eine Chaussee verbunden, die beide am rechten Weichselufer führen, geschützt durch den mächtigen Strom. Der Umstand, daß zwischen beiden festen Plätzen bei Potycz und G. Kalwarya günstige Übergangspunkte liegen, schmälert die Bedeutung Jwangorods als Stützpunkt der Weichsel einigermaßen und läßt die Errichtung eines Brückenkopfes bei diesen Übergängen im Kriegsfalle not¬ wendig erscheinen. Günstiger liegt Jwangorod im Hinblick auf die Verteidigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/311>, abgerufen am 22.07.2024.